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Forscher über Daniele Ganser: "Kritiker wirft er seinen Anhängern zum Fraß vor"


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Forscher über Daniele Ganser
"Kritiker wirft er seiner Anhängerschaft zum Fraß vor"

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InterviewVon Michael Ströbel

Aktualisiert am 26.03.2023Lesedauer: 8 Min.
Daniele Ganser bei einem Vortrag 2019 in Karlsruhe: Auf der Leinwand im Hintergrund wird sein Lieblingsthema behandelt: die USA.Vergrößern des Bildes
Daniele Ganser bei einem Vortrag 2019 in Karlsruhe: Auf der Leinwand im Hintergrund wird sein Lieblingsthema behandelt: die USA. (Quelle: Tim Carmele via www.imago-images.de)

Wo Daniele Ganser auch auftreten will, sorgt das für Protest. Doch genau das nutzt ihm, sagt der Tübinger Wissenschaftler Michael Butter im Interview.

Der promovierte Historiker und selbst ernannte Friedensforscher Daniele Ganser tourt gerade durch Deutschland. Wo er auch auftritt, sorgt das für Diskussionen: In Nürnberg wurde seine Veranstaltung von der Stadt untersagt, genauso war es auch in Dortmund – allerdings entschied dort ein Gericht, dass der Vortrag ermöglicht werden müsse. In der Region Stuttgart könnte eine Absage bevorstehen, während der Auftritt in Hannover bereits stattgefunden hat.

Einer derjenigen, die Ganser und dieses Theater um ihn schon seit Langem verfolgen, ist Michael Butter, Professor für amerikanische Literatur und Kulturgeschichte an der Universität Tübingen. Er hat sich wissenschaftlich eingehend mit Verschwörungstheorien auseinandergesetzt und ist in diesem Zuge auch auf den Schweizer Daniele Ganser aufmerksam geworden.

Im Interview mit t-online sagt Butter, wieso Ganser die Diskussion um ihn und seine Auftritter nur nutzt und was Ganser so erfolgreich macht. Außerdem erklärt er, weshalb er Gabriele Krone-Schmalz und Sahra Wagenknecht für gefährlicher hält.

t-online: Herr Professor Butter, Ihr Kollege Klaus Gestwa hält Daniele Ganser für brandgefährlich. Stimmen Sie zu?

Michael Butter: Ich sehe es etwas entspannter. Ich sehe ihn nicht als brandgefährlich, sondern als jemanden, der Verschwörungstheorien verbreitet und dadurch Geld macht. Ich halte das für nicht unproblematisch und würde mir wünschen, er wäre nicht so erfolgreich, aber ich glaube, es gibt größere Probleme als Daniele Ganser. Zumal er ein sehr überschaubares Publikum hat. Das ist nicht zu vergleichen mit dem Einfluss, den eine Sahra Wagenknecht oder eine Gabriele Krone-Schmalz haben. Die sagen ganz ähnliche Dinge in den millionenfach angesehenen Talkshows des deutschen Fernsehens. Ganser läuft eigentlich nur über die Alternativmedien.

Michael Butter.
Michael Butter. (Quelle: Berthold Steinhilber)

Prof. Michael Butter

Michael Butter ist seit 2014 Professor für amerikanische Literatur und Kulturgeschichte an der Universität Tübingen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Verschwörungstheorien. Er leitet in diesem Zusammenhang auch ein EU-Forschungsprojekt zur Analyse von Verschwörungstheorien.

Aber ist es nicht so, dass sich gerade Leute wie Wagenknecht, Krone-Schmalz und Co. oft auf sich gegenseitig beziehen und sich dadurch dann bestätigt sehen?

Ja, aber das ist momentan noch ein sehr, sehr einseitiger Verkehr. Daniele Ganser zum Beispiel verweist ganz oft auf Sahra Wagenknecht und auf Gabriele Krone-Schmalz. Ich glaube nicht, dass diese sonderlich häufig auf ihn verweisen. Insofern ist er jemand, der eher von diesen Figuren profitiert, als dass die von ihm profitieren.

Dann geht es ihm vor allem um Aufmerksamkeit bei einer bestimmten Zielgruppe mit dem Motiv, Geld zu verdienen?

Ich glaube, dass das seine Hauptmotivation ist. Ganser hat zwei Haupteinnahmequellen: seine Bücher und seine Vorträge. Die Vorträge konnte er lange Zeit nicht halten, aufgrund der Corona-Beschränkungen. Das hat ihm sicher wehgetan. Er hat versucht gegenzusteuern, indem er etwa Achtsamkeits-Seminare gegeben und eine kostenpflichtige Online-Community eingerichtet hat.

Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo diese Vorträge wieder möglich sind. Deshalb tourt er seit vielen Monaten durch Österreich, die Schweiz und Deutschland. Im Grunde war der Ukraine-Krieg das Beste, was ihm passieren konnte, weil ihm das erlaubt hat, das Publikum zu bespielen, das seit 2014 für diese Verschwörungstheorien quer über politische Lager hinweg empfänglich ist.


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"Was wie unterschiedliche Verschwörungstheorien aussieht, ist oft im Grunde ein und dieselbe"


Michael Butter


Es sind ja wahnsinnig viele Verschwörungstheorien, die Ganser bedient. Tut er das, um bei möglichst vielen dieser Gruppen Anschluss zu finden?

Ja. Wobei man auch klar sagen muss, dass das, was aus unserer Perspektive wie unterschiedliche Verschwörungstheorien aussieht, oft im Grunde ein und dieselbe ist. Bei Ganser läuft es immer darauf hinaus: Die USA sind an allem schuld. Da sitzen die großen Ober-Verschwörer, die mit ihren Helfershelfern das Volk – insbesondere auch die Deutschen – gängeln. Osteuropäer sind entweder nur die Spielbälle dieser Verschwörung. Wie das ukrainische Volk, das natürlich nicht selbst eine Revolution gestartet hat. Denn: Die wurde laut Ganser orchestriert von den Amerikanern. Dann gibt es noch diejenigen, die sich den USA entgegenstellen. Für Ganser ist Putin so eine Figur. Auch wenn Ganser dessen aktuelle Handlungen kritisiert, kommt Putin bei ihm immer noch sehr, sehr gut weg.

Die kritische Betrachtung von Ganser und seinen Anhängern würde man sich auch in Richtung Putin und Russland wünschen. Aber da bleibt es eher aus. Warum ist das so?

Ich glaube, es ist ein Trugschluss, dass Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, besonders kritisch sind. Die vertrauen nur anderen Quellen. Dafür sehen sie den Mainstream kritisch. Das heißt, sie sind kritisch in die eine Richtung, aber relativ naiv und vertrauensselig in die andere. Das gilt allerdings für uns auch. Wir glauben auch das, was die "Zeit" schreibt oder in der "Tagesschau" kommt. Wenn wir es dann auf "Rubikon" lesen, stehen wir dem Ganzen erst mal skeptisch gegenüber. Das ist im Grunde ein Spiegelbild dessen.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Wir sehen das gerade bei der Aufarbeitung der Corona-Pandemie. Es wurde – das muss man schon sagen – auch in den öffentlich-rechtlichen Medien oder in den Qualitätszeitungen sehr lange sehr wenig über Nebenwirkungen von Impfungen und solche Dinge berichtet. Da hätte man sich auch eine differenziertere Berichterstattung gewünscht, schon vor anderthalb Jahren. Das ist etwas, was aber für die verschwörungstheoretische Szene noch viel mehr gilt. Da ist das Gut-Böse-Denken noch viel extremer ausgeprägt.

Sind Verschwörungserzählungen also auch ein hausgemachtes Problem der Medien?

Es ist schon so, dass Verschwörungstheorien Antworten sein können auf Situationen, in denen die Informationslage nicht immer ganz eindeutig ist beziehungsweise die Informationen nicht so gut rübergebracht werden. In der Corona-Krise gab es viele, die die Pharmaindustrie kritisch sehen – und das aus guten Gründen. Oder die, die nicht wissen, wie Impfungen funktionieren. Die hatten Fragen zu einer neuartigen Impfung, und diese sind ihnen nicht immer gut beantwortet worden. In der medialen Berichterstattung wurden sie dann in eine bestimmte Ecke gerückt. Dadurch landet man vielleicht leichter bei diesen Verschwörungstheorien, als man es sonst getan hätte.


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"Ganser wurde aus dem gesellschaftlichen Konsens rausgeschrieben – auch von Leuten wie mir"


Michael Butter


Ganser nimmt ja Kontakt auf mit Rechtsradikalen, mit "Querdenkern", Verschwörungsideologen, mit verurteilten Straftätern, Sektenführern etc. Man fragt sich, ob er keine Grenzen kennt.

Die sind sicherlich weiter gefasst. Ich glaube, das liegt daran, dass er mittlerweile bei vielen anderen nicht mehr punkten kann. Das heißt, er muss sich sein Publikum und seine Kundschaft zusammensuchen. Diese Unterschiede zwischen links und rechts verschwimmen in einer gemeinsamen Opposition zum "Mainstream" und den Eliten. Auch das heißt nicht, dass die Positionen völlig homogenisiert werden, aber dass man da Koalitionen schmiedet. Ganser ist jemand, der es sehr lange geschafft hat, an den Mainstream anzudocken über seine Methode.

Was ist denn seine Methode?

Seine Methode lässt sich so umschreiben: "Ich stelle nur Fragen", "Ich trete sehr ruhig und sympathisch auf", und das alles in der Rhetorik sehr gemäßigt. Vor Jahren saß Ganser noch bei 3sat im Studio. Das wäre heute unvorstellbar, weil er aus diesem gesellschaftlichen Konsens rausgeschrieben wurde – auch von Leuten wie mir. Man sieht ihn in Deutschland mittlerweile deutlich kritischer. Das bedeutet aber, er muss sich sein Publikum, seine Kundschaft, woanders suchen. Deshalb verschieben sich die Grenzen.

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Letztlich stehen also die eigenen Interessen im Mittelpunkt – und der eigene Profit?

Ich glaube, dass das bei Ganser wirklich das Entscheidende ist. Ganser ist aus meiner Sicht der Prototyp dessen, was man im Englischen einen "conspiracy entrepreneur" nennt – einen Verschwörungsunternehmer. Er macht sein Geld damit, Verschwörungstheorien kostenpflichtig zu verbreiten. Letztendlich könnte man sagen, das ist halt die Logik des Kapitalismus. Waffen werden ja auch verkauft an Leute, denen man keine Waffen verkaufen sollte.

Er hat das Verbreiten von Verschwörungstheorien also professionalisiert?

Natürlich. Und das konnte er, weil er ein gewisses kulturelles Kapital besitzt, weil er ein promovierter Historiker ist, weil er lange Zeit eben auch entsprechende Lehraufträge an Universitäten hatte. In der Zeit, zu der er noch andocken wollte an den Mainstream, war das ganz wichtig für ihn. Inzwischen ist es so, dass er seine Popularität vor allem aus der Opposition zieht: "Ich sage, was die anderen, die Medien und die Politik, nicht hören wollen. Und deshalb versucht man, mich mundtot zu machen". Die gesamte Berichterstattung und die Proteste gegen seine Vorträge, das nützt ihm ökonomisch. Nichts davon schadet ihm.

Kann man denn etwas dagegen tun?

Wir sind hier in einem performativen Selbstwiderspruch. Bei Ganser ist es so, dass ich mir wünschte, es hätte diese ganze Debatte um diese Auftritte nicht gegeben. Ich finde es auch nicht gut, wenn er in Hallen auftritt, die in öffentlicher Hand sind. Aber ich glaube, dass er von all diesen Diskussionen letztendlich profitiert. Deshalb schlachtet er das auch so aus. Wenn man sich seinen Twitter-Account anschaut oder seine Facebook-Seite: Er postet ja über nichts anderes mehr. Seit Wochen. Er inszeniert sich als den einen Mutigen, den man nicht sprechen lassen will. Daraus zieht er seine Kraft und seine Popularität.


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"Aber alles, was auf t-online über ihn geschrieben wird, das schadet ihm nicht"


Michael Butter


Also wäre es am besten, wenn wir jetzt das Gespräch abbrechen und das Interview nicht veröffentlichen?

Eigentlich ja. Das ist ein Dilemma für die Medien, weil Medien natürlich auch eine Pflicht haben, über Dinge zu berichten, die im öffentlichen Interesse sind und die Menschen umtreiben. Das ist ein Spiel, das Ganser perfekt beherrscht. Für ihn gibt es nur gute Publicity. Vor allem von den sogenannten Mainstream-Medien. Für ihn wäre es schlimm, wenn "Rubikon" einen negativen Bericht schreiben würde. Aber alles, was auf t-online oder in der "Stuttgarter Zeitung" über ihn geschrieben wird, das schadet ihm nicht. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen jemandem wie Ganser und Leuten wie Sahra Wagenknecht oder Gabriele Krone-Schmalz, die bei Markus Lanz und "Hart aber fair" sitzen oder in der "Tagesschau" interviewt werden.

Ganser wirkt ein wenig wie der Gegenentwurf zu anderen Verschwörungsmythologen wie Ken Jebsen, der immer sehr wütend wird, sehr schnell redet und sehr emotionsgeladen die Themen vorstellt, wenig sachlich.

Bei Ganser hat man das Gefühl, dass das sachlich ist. Es ist zwar eine Ansammlung von Trivialitäten und Banalitäten, das muss man ganz klar sagen. Aber es wirkt ruhig und reflektiert, moderat und ausgleichend. Er spricht immer von der Menschheitsfamilie und von Frieden. Jede explizite Aggression ist da erst mal fremd.

Den Begriff "Menschheitsfamilie" gebraucht er gerne als universale Waffe gegen alle Angriffe und gegen die, die ihn in irgendeine bestimmte Ecke stellen wollen.

Ja, natürlich, damit betont er immer die Zusammengehörigkeit. Aber auf Facebook zum Beispiel wirft er die Kritiker dann seiner Anhängerschaft zum Fraß vor. Ganser hat es nicht nötig, mich zu attackieren oder wen anders. Der muss nur sagen "XY da, der greift mich an und diffamiert mich" – dann schreiben seine Anhänger schon genug E-Mails. Das ist auch Teil des Spiels.

Nutzt er das bewusst aus?

Da bin ich mir ganz sicher.

Gabriele Krone-Schmalz hatte sich ja auf dünnes Eis begeben mit ihrer Klage gegen eine Kritikerin – und ist damit letztendlich gescheitert. Wäre so etwas bei Ganser vorstellbar?

Ich halte das für nicht vorstellbar, weil er dazu zu klug ist; weil er auch weiß, dass er da nicht Recht bekommt. Außer die Leute werfen ihm weiterhin so sehr expliziten Antisemitismus vor. Ich glaube, das lässt sich wirklich nicht belegen. Zumindest nicht so, dass es justiziabel wäre. Da könnte ich mir vorstellen, dass er irgendwann mal aktiv wird. Aber eigentlich will er sich aus solchen Dingen rausziehen. Daran merkt man, dass er dann doch eher der Unternehmer ist als der Ideologe.

Er ist also anpassungsfähig, was seine Haltung angeht.

Ich glaube, er ist sehr anpassungsfähig, was Dinge angeht, die das Geschäftsmodell stützen.

Herr Butter, vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Michael Butter via Videokonferenz
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