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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Blockade in Nürnberg Vier Aktivisten wegen Nötigung verurteilt: "Ich bereue nichts!"
In Nürnberg werden vier Aktivisten nach einer Sitzblockade verurteilt. Der Prozess ist ein Politikum. Es geht um die Frage: Hätte ein Rettungswagen passieren können?
Wäre ein Rettungswagen durchgekommen? Es ist eine entscheidende Frage in dem Prozess. Nein, sagt der Staatsanwalt. Doch, erklären die Aktivisten, die am Mittwoch auf der Anklagebank vor dem Amtsgericht Nürnberg sitzen. Sie hatten sich am 22. Februar 2022 auf eine Abfahrt der A73 in Nürnberg geklebt.
Unter den Angeklagten ist Achim Scheidl. Der wirkt vor der Verhandlung überraschend gut gelaunt. Allein die Nacht war kurz, erzählt er im Gespräch mit t-online. Bis zuletzt habe er an seiner Erklärung gearbeitet. Immer wieder seien ihm neue Aspekte eingefallen.
Gleich steht ihm ein schwerer Gang bevor. Die Staatsanwaltschaft hat eine Haftstrafe von neun Monaten gefordert, die auf Bewährung ausgesetzt werden soll. Die Anklage wirft dem 57-Jährigen gemeinschaftliche Nötigung in einem besonders schweren Fall in mindestens 18 Fällen vor. Vor Gericht sitzt er mit drei weiteren Angeklagten, die den Gruppierungen von "Extinction Rebellion" und "Die Letzte Generation" angehören und an der Sitzblockade an der Jansenbrücke beteiligt waren.
Aktivist: "Dafür schäme ich mich heute"
Dabei hätten sie den Autoverkehr bewusst behindert, so der Vorwurf. Dafür sind über ein Dutzend Aktivisten vor Ort gewesen. Vor Gericht verantworten müssen sich nun die vier Aktivisten, die sich bis zuletzt nicht wegbewegten – und die nur unter hohem Aufwand durch die Einsatzkräfte entfernt werden konnten.
Wie sehr fürchtet er das Urteil? "Meine Sorge ist, dass ich dann nicht für den Klimaschutz kämpfen kann", antwortet Scheidl im Hinblick auf eine mögliche Haftstrafe und sein Lächeln verschwindet. Was ist mit seiner Familie? Seinen drei Kindern gegenüber habe er ein schlechtes Gewissen, räumt er ein. Jedoch nicht wegen seines Aktivismus. Sondern wegen seines früheren Lebensstils: Geschäftsreisen, Urlaube, Auto, Managerposten. Dafür schäme er sich heute.
Nicht aber für seine Sitzblockade an dem hochfrequentierten Verkehrspunkt, der lange Staus im morgendlichen Berufsverkehr mit sich brachte. "Ich bereue nichts!" Damit habe er ein Zeichen gegen Lebensmittelverschwendung und für das Containern gesetzt – denn darum ging es bei dem Protest hauptsächlich. Scheidl engagiert sich seit Jahren bei "Extinction Rebellion", war etwa auch im Klimacamp aktiv.
Mahnwache und Medienrummel vor Gericht
Wie lange er an den Asphalt geklebt war, das wisse er nicht mehr, meint Scheidl. Vielleicht zwei Stunden. Und wie hat er die Festnahme erlebt? "Die war entspannt." Wie bitte? Ja, betont der Aktivist, alle Seiten seien friedlich geblieben. Friedlich – diesen Begriff hört man an diesem Tag häufiger. Er scheint sich gerne an die Aktion zurückzuerinnern, wegen des Zusammenhalts der Aktivisten etwa – trotz allem Ärger, die sie ihm einbrachte.
- "Die sollen arbeiten gehen": Aktivisten kleben sich vor Bahnhof
Der Prozess am Mittwoch wird zum Politikum. Davon zeugt nicht nur der Medienrummel, sondern auch die Mahnwache, die vor Beginn vor dem Justizpalast abgehalten wird. Etwa 40 Mitglieder der Gruppierungen signalisieren Solidarität mit den Angeklagten unter dem Motto: "Klimaschutz ist kein Verbrechen." Sie sprechen von Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die hier vor Gericht gezogen würden.
Gerade in Bayern werde die Demokratie untergraben, heißt es. Stichwort: Polizeiaufgabengesetz. So sind in München deshalb mehrere Aktivisten in Präventivhaft gelandet. Alle Anwesenden finden das unverhältnismäßig, fordern nun in Nürnberg Freisprüche. Begleitet wird der kurze Zug von einer Schar von Polizisten – und das Bild war wohl selten passender.
Staatsanwalt und Polizist widersprechen Aktivisten
Scheidl lacht, als er 20 Minuten später den Gerichtssaal betritt, nickt seinen Unterstützern auf den Gästeplätzen zu. Erst als sich für die Richterin erhoben wird, blitzt Anspannung in seiner Miene auf. In seiner Einlassung, die er vorträgt, erklärt er seine Motivation – und hält zugleich eine engagierte Rede für den Klimaschutz. Die drei weiteren Angeklagten im Alter zwischen 24 und 30 Jahren tun es ihm gleich.
Unruhig wird es im Saal, als es um die Frage geht: Hätte ein Rettungswagen passieren können? Eine Rettungsgasse sei aufgrund der Enge der Abfahrt nicht möglich gewesen, erklärt der Staatsanwalt. So biete die zweispurige Auffahrt auch keinen Standstreifen, wohin Einsatzfahrzeuge hätten ausweichen können. Diesen Eindruck bestätigt auch der als Zeuge geladene leitende Polizeibeamte, der bei dem Einsatz zugegen war.
"Wir haben alles getan, um niemanden zu gefährden"
Die Aktivisten dagegen erklären, dass sie vorab genau einkalkuliert hätten, wo Krankenwagen im Notfall vorbeikommen könnten. "Wir haben alles getan, um niemanden zu gefährden", erklärt der 30-jährige Angeklagte. Dafür hätten sie vorab extra ein Konzept erarbeitet und Schulungen zur Deeskalation absolviert.
- Klimaaktivisten versus Bürgermeister: Es ist zum Verzweifeln!
Nach etwa vier Stunden Verhandlung fällt das Urteil: Die Angeklagten werden zu Geldstrafen verurteilt. Alle vier erhalten eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen, urteilt Richterin Claudia Benick-Raum. Die Höhe der Tagessätze beträgt demnach zwischen zehn und 60 Euro – sie ist abhängig vom Einkommen der Verurteilten.
Das Gericht blieb damit unter der Forderung der Staatsanwaltschaft, welche die Straßenblockade als schwere Nötigung eingestuft und jeweils eine Bewährungsstrafe von neun Monaten gefordert hatte. Die Verteidigung plädierte der Gerichtssprecherin zufolge in allen vier Fällen auf Freispruch. Gegen das Urteil können noch Rechtsmittel eingelegt werden.
In Bezug auf ihre Forderung bei der so folgenreichen Sitzblockade können die Aktivisten zumindest etwas aufatmen: Containern ist mittlerweile unter Umständen straffrei. "Unser Protest hat Wirkung gezeigt", sagt eine der Angeklagten vor Gericht. Genug sei dieser Schritt jedoch noch lange nicht.
- Reporterin bei Gerichtsprozess vor Ort
- Gespräch mit Achim Scheidl
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa