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Syrischer Autor Jabbar Abdullah über den Sturz Assads: "Demokratie braucht Zeit"


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Er floh vor Assad
Syrischer Autor aus Köln: "Endlich frei atmen"

InterviewVon Nils Frenzel

11.12.2024 - 17:36 UhrLesedauer: 3 Min.
Konflikt in Syrien - DamaskusVergrößern des Bildes
Anhänger der Opposition tragen Oppositionsfahnen (Symbolbild): Der Syrer Jabbar Abdullah floh 2012 vor dem Assad-Regime. (Quelle: Hussein Malla/AP/dpa/dpa-bilder)
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Jabbar Abdullah, Archäologe, Autor und Kurator aus Syrien, spricht im Interview mit t-online über den Sturz des Assad-Regimes, seine Hoffnungen für das neue Syrien.

Jabbar Abdullah ist seit 10 Jahren in Deutschland. Der 35-Jährige stammt aus Raqqa in Syrien und musste 2012 vor dem Assad-Regime fliehen. Über Alexandria führte ihn sein Weg 2014 nach Köln, wo er heute lebt. Er arbeitete im Römisch-Germanischen Museum und engagiert sich für den kulturellen Austausch zwischen Syrern und Deutschen. Er kuratiert Kunstausstellungen und ist Mitglied des Kulturvereins "17_3_17". In seinem Buch "Raqqa am Rhein" schildert er seine Erfahrungen und seine Flucht aus Syrien. Nach dem Sturz des Assad-Regimes spricht er mit t-online über seine Hoffnungen, die Herausforderungen beim Wiederaufbau und warum Demokratie Zeit benötigt.

t-online: Herr Abdullah, waren Sie überrascht vom Fall des Regimes?

Jabbar Abdullah: Das war kein plötzlicher Moment. Es zeichnete sich bereits ab, dass große Veränderungen bevorstehen, besonders in den zehn Tagen vor dem Fall des Regimes. Natürlich war ich voller Sorge und Angst, ob es wirklich zu einem Sturz kommt, weil es in der Vergangenheit oft Momente gab, in denen Städte zurückerobert wurden. Doch diesmal wirkte es anders. Als es dann endgültig klar war, war ich überwältigt. Es fühlte sich an, als ob ein riesiger Stein von meinem Herzen fiel.

Wie haben Sie von den Ereignissen erfahren?

Vor allem über Social Media. Plattformen wie Facebook waren dabei sehr hilfreich, weil alles live dokumentiert wurde. Man war ständig im Austausch mit Freunden und Verwandten, die Informationen teilten. Diese Vernetzung war ein wichtiger Bestandteil, um die Ereignisse in Syrien aus der Ferne zu verfolgen.

Haben Sie diesen historischen Moment gefeiert?

Es war ein besonderer Moment, aber ich war zunächst allein zu Hause, weil es mitten in der Nacht passierte. Später am Tag habe ich Freunde in einem Café getroffen, und wir haben darüber gesprochen. Einige Syrer in Deutschland sind zu einer großen Demonstration nach Essen gefahren, aber ich konnte wegen der Arbeit nicht hin. Dennoch gab es viele Gratulationen und Gespräche über Social Media. Kommenden Sonntag planen wir eine Demonstration und Feier hier in Köln.

Jabbar Abdullah (Archivbild).
Jabbar Abdullah (Archivbild). (Quelle: Jabbar Abdullah )

Über Jabbar Abdullah

Jabbar Abdullah (35) stammt aus Raqqa, Syrien, und lebt seit 2014 in Köln. Nach seiner Flucht vor dem Assad-Regime engagiert er sich für den kulturellen Austausch zwischen Syrern und Deutschen. Neben seiner Arbeit im Römisch-Germanischen Museum organisiert er Literaturfestivals, kuratiert Kunstausstellungen und ist Mitglied des Vereins "17_3_17."

Wie haben Freunde und Verwandte in Syrien auf die Neuigkeiten reagiert?

Es war eine Mischung aus Freude und Tränen. Viele hatten das Gefühl, endlich frei atmen zu können. Diese Erleichterung und der Optimismus waren bei fast allen spürbar. Viele sagten, sie hätten jahrelang mit einem enormen Druck gelebt, der plötzlich von ihnen abgefallen sei.

Denken Sie jetzt daran, nach Syrien zurückzukehren?

Ich beobachte die Lage genau. Meine Frau und meine Tante sind derzeit in Syrien, und ich plane, sie im Januar hierherzuholen. Langfristig möchte ich zurück, um beim Wiederaufbau zu helfen, besonders in den Bereichen Kultur und Museen. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass es keine Unterdrückung oder Ungerechtigkeit mehr gibt.

Was sind Ihre Hoffnungen für das neue Syrien?

Der Aufbau wird Zeit brauchen. Syrien ist ein reiches Land, aber es fehlt an funktionierender Infrastruktur und wirtschaftlicher Stabilität. Am wichtigsten ist, dass jetzt Gerechtigkeit und positive Veränderungen herrschen. Wenn das gelingt, kann das Land wachsen und sich entwickeln. Demokratie braucht aber Zeit. Es wäre unrealistisch zu erwarten, dass sie von heute auf morgen funktioniert. Syrien steht am Anfang eines langen Prozesses.

Einige Medien berichten kritisch über neue Führungsfiguren wie Abu Mohammed al-Dschulani. Wie sehen Sie seine Rolle?

Al-Dschulani ist eine umstrittene Figur, aber ich glaube, es ist wichtig, die Vergangenheit nicht zu vergessen. Viele Kämpfe sind in einem Kontext entstanden, der von internationaler Einmischung geprägt war. Syrien braucht jetzt eine Führung, die alle Minderheiten respektiert, um eine stabile Gesellschaft zu schaffen.

Sie sind Autor. Planen Sie, über das neue Syrien zu schreiben?

Absolut. Kultur spielt eine zentrale Rolle beim Wiederaufbau. Als Autor möchte ich dazu beitragen, die Geschichten dieser Zeit zu dokumentieren. Außerdem träume ich davon, ein Museum in meiner Heimatstadt Raqqa wieder aufzubauen und neue kulturelle Institutionen zu schaffen. Kunst und Kultur können Brücken bauen, auch nach Jahren des Konflikts.

Was denken Sie über die syrische Diaspora in Deutschland? Teilen die meisten Syrer ihre Hoffnung?

Die Freude über den Sturz des Regimes ist groß, unabhängig von politischen oder ideologischen Unterschieden. Besonders die Befreiung der Gefangenen aus den schrecklichen Gefängnissen des Regimes hat viele Menschen bewegt. Es ist eine gemeinsame Erleichterung, die wir spüren.

Wenn Sie auf die Zukunft Syriens blicken, sind Sie optimistisch?

Ich bin hoffnungsvoll. Die aktuelle Freude ist groß, und ich glaube, dass Syrien sich langfristig stabilisieren kann. Natürlich wird es Zeit und Geduld brauchen, aber die Aussicht auf Demokratie und Freiheit ist greifbar – und das motiviert mich sehr.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Jabbar Abdullah
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