Tote Kinder, Corona, Flüchtlinge Diese Fake News über die Flut im Ahrtal kursieren im Netz
Zwei Jahre ist es her, dass die Flutkatastrophe das Ahrtal verwüstete. Die Misere der Menschen vor Ort nutzen Verschwörungsideologen zur Stimmungsmache.
Inhaltsverzeichnis
- "Im Ahrtal wurden 600 Kinderleichen gefunden"
- Keine Hinweise auf 600 tote Kinder und Jugendliche
- "Kinderpornografisches Material in Regierungsbunker entdeckt"
- "Geld aus 'Fluthilfefonds' floss in die Flüchtlingshilfe"
- Einen sogenannten "Fluthilfefonds" gab es nie
- "Regierung schickte Impfbusse statt Hilfe"
- "Der Ukraine-Krieg ist deutschen Politikern wichtiger"
Am Wochenende jährt sich die verheerende Flutkatastrophe im Ahrtal zum zweiten Mal. Allein hier starben mehr als 130 Menschen in den Wassermassen, Hunderte wurden verletzt, Tausende verloren ihr Hab und Gut – fürchterlich genug.
Dennoch nutzten verschiedene Akteure die Katastrophe, um Fake News und weitere Schreckensmeldungen zu verbreiten. Manche dieser Falschnachrichten halten sich bis heute oder erlangen – etwa durch den Krieg in der Ukraine – neuen Auftrieb. Das Ziel dieser Meldungen ist dabei immer dasselbe: Das Vertrauen in die Bundesregierung soll untergraben werden. t-online hat einige der verbreitetsten Verschwörungstheorien zur Flut im Ahrtal zusammengetragen.
"Im Ahrtal wurden 600 Kinderleichen gefunden"
Kurz nach der Flut geisterte eine besonders perfide Meldung durch die sozialen Medien: 600 Leichen von Jugendlichen, Kindern und Säuglingen sollen in einer Kirche im Kreis Ahrweiler gefunden worden sein. Weiter heißt es, dass das Überschwemmungsgebiet vollständig mit "Regierungsbunkern" untertunnelt sei – und dass die toten Kinder angeblich aus diesen Bunkern an die Oberfläche trieben.
Dass die Regierung beziehungsweise eine mächtige Elite unterirdische Gefängnisse für Kinder betreibt, ist eine Verschwörungstheorie, die auch während der Corona-Pandemie die Runde machte – und auch von Prominenten wie Xavier Naidoo befeuert wurde.
Diese Elite – bestehend aus Satanisten und Pädophilen – soll entführte Kinder in den unterirdischen Anlagen foltern, um das Stoffwechselprodukt Adrenochrom zu "farmen". Dieses würden dann etwa Hollywoodstars nutzen, um jung zu bleiben. Die Fake News zu den 600 Kinderleichen in Ahrweiler legen nahe, dass die Bundesregierung in Bunkern solche Adrenochrom-Farmen betreibe.
Keine Hinweise auf 600 tote Kinder und Jugendliche
Mehrere Nachrichtenagenturen haben diese Nachricht einem Faktencheck unterzogen und konnten keinerlei Belege für die Geschichte der toten Kinder finden, die erstmalig auf einem Blog veröffentlicht wurde, der sich gegen die Legitimität der Bundesregierung richtet.
Laut Deutscher Presse-Agentur (dpa) liegt der Falschmeldung offenbar eine Videoschalte des Nachrichtensenders n-tv zugrunde. "Darin berichtet der Reporter [...] zwar davon, dass Anwohner von in ihren Häusern angeschwemmten Kinderleichen erzählt hätten. Von der Zahl 600 ist allerdings nicht die Rede", so die dpa in ihrem Faktencheck.
Tatsächlich aber gibt es in Ahrweiler einen alten Bunker, in den sich die Regierung im Falle eines Atomkriegs hätte zurückziehen können. Heute kann dieser von Touristen und Schulklassen besichtigt werden.
"Kinderpornografisches Material in Regierungsbunker entdeckt"
Trotzdem kocht die Geschichte um den Folter-Bunker der Bundesregierung im Ahrtal regelmäßig wieder hoch. Im Januar 2023 etwa wurde im Netz ein Video verbreitet, in dem davon die Rede ist, dass auf Computern in dem Bunker pornografische Filme gefunden worden seien, in denen offenbar auch Kinder zu sehen sein sollen.
Auch für diese Behauptung gibt es keinerlei Anhaltspunkte.
"Geld aus 'Fluthilfefonds' floss in die Flüchtlingshilfe"
Tausende Menschen verloren bei der Flut ihre Häuser und ihre Besitztümer, was verständlicherweise für Wut und Trauer bei den Betroffenen sorgte. Dieser Umstand wurde ausgenutzt, um Stimmung gegen die Regierung und ihre Flüchtlingspolitik zu machen.
So wurde unter anderem behauptet, dass die Bundesregierung einen 2014 eingerichteten Fluthilfe-Fonds aufgelöst und das Geld in die Unterbringung von Geflüchteten investiert hätte.
Einen sogenannten "Fluthilfefonds" gab es nie
Tatsächlich gab es im Jahr 2013 bereits ein Hochwasser in Deutschland, in dessen Folge die Regierung zusammen mit den Bundesländern ein "Sondervermögen Aufbauhilfe" einrichtete. Mit den acht Milliarden Euro dieses Sondervermögens sollte damals der Wiederaufbau in den betroffenen Regionen gewährleistet werden. Der sogenannte "Fluthilfefonds" war aber nie auf Dauer angelegt.
Die Bewilligungsfrist für Anträge, auf den Fonds zurückzugreifen, lief 2016 aus, übrig gebliebene Gelder flossen zurück in den Bund. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder äußerte daraufhin den Gedanken, diese Gelder in die Flüchtlingshilfe zu stecken. Der Vorschlag wurde aber abgelehnt. Es hat 2021 also weder einen bestehenden "Fluthilfefonds" gegeben noch wurde das Geld in die Unterbringung von Flüchtlingen investiert.
"Regierung schickte Impfbusse statt Hilfe"
Nach der Flut steigerte sich die Sorge, dass sich das Corona-Virus in den Notunterkünften und den betroffenen Gebieten schnell ausbreiten könnte. Deswegen hatte die rheinland-pfälzische Landesregierung eine Sonderimpfaktion gestartet, bei der ein Impfbus in den Überschwemmungsgebieten zum Einsatz kam. Bei Impfgegnern fiel das auf fruchtbaren Boden. Sie warfen der Regierung vor, wichtige Hilfeleistungen zu missachten und stattdessen bloß auf die Impfung der Menschen abzuzielen.
"THW, Bundeswehr, Feuerwehr haben sich fünf Tage nicht blicken lassen", hieß es etwa in einer veröffentlichten Falschmeldung auf Facebook. "Aber wenn es ums 'Impfen' geht, dann ging es doch sehr schnell. Das Regime hat, statt richtiger Hilfe, einen Impfbus organisiert, um die Flutopfer 'impfen' zu lassen!"
Einsatzkräfte waren vor Impfbussen im Ahrtal
Die Behauptung, dass das Technische Hilfswerk (THW), die Bundeswehr und die Feuerwehr fast eine Woche lang nicht im betroffenen Gebiet im Einsatz waren, konnte faktisch widerlegt werden. In einem Lagebericht des Landkreises Ahrweiler lässt sich nachverfolgen, dass bereits am 14. Juli, dem Tag des Beginns der Flut, Einsatzkräfte von THW, Feuerwehr, Rotem Kreuz und Polizei im Einsatz waren. Kurz darauf traf auch die Bundeswehr in den Überschwemmungsgebieten ein.
Die Sonderimpfaktion begann hingegen erst am 20. Juli, als die Einsatzkräfte schon mehrere Tage lang vor Ort waren. Impfbusse hat es also gegeben. Die Behauptung, wichtige Hilfe sei ausgeblieben, ist aber falsch.
"Der Ukraine-Krieg ist deutschen Politikern wichtiger"
Eine der aktuelleren Fake News zur Flutkatastrophe nimmt Bezug auf den Krieg in der Ukraine. In sogenannten "Sharepics", Bildern mit Text, die zum Teilen im Netz gedacht sind, wird etwa behauptet, dass deutsche Politiker zwar in die Ukraine flögen, aber die Lage im Ahrtal vor Ort nicht mehr verfolgen würden. "Alle fliegen nach Kiew, aber keiner fährt ins Ahrtal", heißt es in einem Post aus dem Juni 2022 etwa.
Auch hier ist das Ziel, Ressentiments gegen die Bundesregierung zu schüren, was im Netz auch in Teilen gelingt. "Ganz furchtbar unsere Regierung, ich könnte im Strahl kotzen", lautet etwa ein Kommentar unter einem solchen Beitrag. "Da sieht man mal, was wir Deutschen wert sind. Überall werden Millionen hingeschleudert, nur das eigene Volk bekommt keine Unterstützung."
Politiker besuchen das Ahrtal weiterhin
Auch diese Behauptung ist falsch. Bundeskanzler Olaf Scholz etwa war im März – kurz nach Kriegsbeginn – in der Ortschaft Ahrbrück, um sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen. Wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet, habe Scholz bei seinem Besuch erklärt, dass man das Ahrtal nicht vergessen habe. Kurz vor dem Bundeskanzler war auch die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im Ahrtal, im Juli 2022 folgte ihnen Bundespräsident Walter Steinmeier.
Steinmeier kehrte zudem auch am 9. Juli 2023 ins Ahrtal zurück, um sich anlässlich des anstehenden zweiten Jahrestags über den Stand der Wiederaufbaumaßnahmen zu informieren. Die Behauptung, dass sich keine Politiker mehr vor Ort blicken lassen, ist also auch durch jüngste Beispiel als Falschbehauptung zu identifizieren.
- dpa-factchecking.com: "Keine Hinweise auf Hunderte minderjährige Todesopfer im Kreis Ahrweiler"
- faktencheck.afp.com: "Nein, es gibt keine Belege für 600 tote Kinder bei der Flut in Deutschland"
- dpa-factchecking.com: "Offizielle Helfer waren mit Beginn der Flutkatastrophe im Einsatz"
- dpa-factchecking.com: "Hochwasseropfer bekommen weit mehr als nur 200 Millionen Euro"
- dpa-factchecking.com: "Ehemaliger Regierungsbunker im Ahrtal ist seit 2008 Dokumentationsstätte"
- swr.de: "Sonderimpfaktion im Kreis Ahrweiler gestartet"
- swr.de: "Menschen im Ahrtal freuten sich über Besuch Steinmeiers"
- ga.de: "Bei diesen Nachrichten zur Flutkatastrophe handeltes sich um Fake-News"