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Leverkusen: Ein Jahr nach der Explosion im Chempark


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Ein Jahr nach der Katastrophe im Chempark
"Für einen Moment stand die Erde still"


Aktualisiert am 27.07.2022Lesedauer: 4 Min.
Chempark LeverkusenVergrößern des Bildes
Eine dunkle Rauchwolke steigt im Juli 2021 über dem Chempark Leverkusen auf: Bei einer heftigen Explosion sind dort sieben Menschen ums Leben gekommen. (Quelle: Oliver Berg/dpa/Archivbild/dpa)
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Vor einem Jahr explodierte im Chempark Leverkusen eine Müllverbrennungsanlage, sieben Menschen starben. Anwohner leben seitdem in Sorge.

Marieke Evertz (Name geändert) wohnt in Sichtweite des Chemparks. Sie lebt nur wenige hundert Meter entfernt in Leverkusen-Wiesdorf und hat den Unfall in der Müllverbrennungsanlage in Bürrig im Sommer 2022 selbst miterlebt. "Oh Scheiße, jetzt ist hier wirklich Land unter", dachte sie damals, als die Bilder von dem Unglück auf ihrem Handy eintrafen. Nur dadurch habe sie überhaupt von dem Vorfall erfahren.

Sie arbeitete damals als Werkstudentin am Klinikum Leverkusen. Dort war es an dem Tag urplötzlich ganz ruhig. Die Lüftungsanlagen waren abgeschaltet. "Ich hatte das Gefühl, die Erde steht für einen Moment still", erinnert sich Evertz. Sie wusste: Da ist was Schlimmes passiert und dass sie bald einen Anruf bekommen würde und wegmüsste, denn sie war ehrenamtliche Helferin in einer Leverkusener Hilfsorganisation.

"Keine zwei Minuten später hat mein Telefon geklingelt und da hieß es dann: Großalarm in der Müllentsorgung", erzählt die Mittzwanzigerin.

"Ich sah einfach nur diese riesige Rauchwolke"

"Dann habe ich mich aufs Fahrrad geschwungen und bin zum Treffpunkt gefahren und sah einfach nur diese riesige Rauchsäule." Dort habe sie schließlich mit ihren Kollegen auf Anweisungen gewartet und dementsprechend gehandelt.

Während einige ihrer Kollegen zum Unglücksort nach Bürrig fuhren, um die hauptamtlichen Retter zu unterstützen, habe sie mit anderen im Hintergrund agiert. Sie hätten überlegt, wo sie auch Unverletzte unterbringen könnten und erste Maßnahmen schnell in die Wege geleitet. Einige Stunden harrte sie so mit ihren Kollegen in der Unterkunft aus. Für sie gab es letztendlich nicht so viel zu tun. Dennoch war es ein aufregender Tag für Evertz.

Sieben Menschen starben, 31 wurden teils schwer verletzt

Am Ende, nach längerer Suche nach den Opfern, waren sieben Menschen tot. 31 Personen wurden bei der Explosion verletzt. Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt inzwischen gegen vier Mitarbeiter der Betreiberfirma der Sondermüllverbrennung wegen fahrlässiger Tötung, wie eine Sprecherin t-online auf Nachfrage mitteilt.

Sofort nach dem Unglück wurde ein Gutachten in Auftrag gegeben, das ermitteln sollte, was passiert ist. Das ergab: Eine chemische Reaktion im Verbrennungsofen war der Grund für die Explosion. Dazu sei es gekommen, weil nicht bekannt war, welche gefährlichen Stoffe dort gemeinsam entsorgt wurden.

In einem Bericht des nordrhein-westfälischen Umweltministeriums an den Landtag hätten wichtige Informationen über den Müll gefehlt. Aktuell werde noch an einem weiteren Gutachten zu den Umständen des Unglücks gearbeitet, das klären soll, welche Stoffe unter welchen Umständen in den Ofen gekommen waren. Das werde noch einige Zeit dauern.

Leverkusen: Anwohner in Sorge wegen Rußpartikeln

Die Anwohner von Leverkusen-Bürrig machten sich zudem Sorgen, dass mit dem Rauch aus der Müllverbrennungsanlage giftige Stoffe in die Luft gelangt sein könnten. Von Dioxinbelastung war anfangs die Rede. Laut Landesumweltamt (LANUV) hätten damals giftige Stoffe in umliegende Wohngebiete gelangen können. Später gab das LANUV dann Entwarnung.

Nach dem Unglück hatten Tanks gebrannt. Anschließend stieg eine riesige Rauchwolke auf, Rußpartikel gingen auf nahe gelegene Ortschaften nieder. Die Stadt Leverkusen empfahl ihren Einwohnern unter anderem, kein Obst oder Gemüse aus dem Garten zu essen, auf dem sich Partikel abgelagert hatten. Das hatte die Anwohner verärgert.

Ein ehemaliger Mitarbeiter sagte t-online anonym am Telefon, die giftige Wolke sei an ihm vorbeigezogen. Dennoch habe er das Obst und Gemüse aus seinem Garten nie gegessen. Er kenne noch die früheren Zeiten: "Vor meiner Zeit war es noch schlimmer", erzählt er, der 1979 in Leverkusen seine Arbeit aufgenommen hat.

Anwohner: "Niemand weiß, was da genau verbrannt wird"

Die Mitarbeiter seien sorgloser mit den Gefahrstoffen umgegangen. Heutzutage würden viel mehr Leute mit Sachverstand dort arbeiten. Was ihn heute schockiert, ist der große Maßstab, in dem in Leverkusen Sondermüll verbrannt wird: "Ich wusste nicht, dass da so riesige Mengen Müll aus ganz Europa entsorgt werden – und niemand weiß genau, was da verbrannt wird." Aber er weiß auch: "Fehler passieren."

Später wurde bekannt, dass belastetes Löschwasser in den Rhein geleitet wurde. Die Aufregung darüber kann Evertz nicht verstehen. So eine Entscheidung müsse man innerhalb kürzester Zeit treffen. "Ich habe großen Respekt vor denen, die den Arsch in der Hose hatten und gesagt haben: Gut, dann müssen wir das jetzt in den Rhein leiten." Auch ein Gericht gab den Mitarbeitern vor Kurzem recht.

Evertz weiß um die Gefahren, die von dem Werksgelände ausgehen, denn inzwischen ist sie selbst Chemikerin. Sie geht recht entspannt mit der Situation um, richtig große Störfälle gebe es selten. Sie passieren aber immer wieder. Dabei werden bisweilen auch Menschen verletzt, wie zuletzt am Standort des Chemparks in Dormagen.

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"Manchmal muss ich mir überlegen, ob ich lüfte"

Evertz vertraut den Sicherheitsmechanismen. Das Einzige, was sie nicht glauben kann, ist die Aussage Currentas: "Die Gefahr hört am Werkstor auf." Manchmal stört sie der Chempark auch. "Es gibt Tage, da muss man sich überlegen, ob man lüftet oder nicht. Man macht das Fenster auf und denkt sich: lieber später." Nur weil es rieche, heiße das jedoch nicht, dass es gefährlich sei, weiß die Wissenschaftlerin.

Nachbarn, die sich über den Chempark beschweren, versteht sie dennoch nicht. "Wenn ich hierherziehe, weiß ich doch, was auf mich zukommt. Man muss sich dran gewöhnen, dass es hier in Leverkusen ein bisschen mieft", findet Evertz. "Was soll man auch tun – alles hier dichtmachen?"

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Das hält Marieke Evertz für unmöglich. Man müsse zudem bedenken: Ohne die Chemieindustrie würde es diese Stadt ja ebenfalls nicht geben und der ganze Alltag sei voll von Chemie. Darauf wolle schließlich kaum jemand verzichten.

Die Sondermüllverbrennungsanlage, die vor einem Jahr explodiert ist, ist mittlerweile wieder in Betrieb – zum Leidwesen mancher Anwohner.

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Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Marieke Evertz (Name der Redaktion bekannt)
  • Telefonumfrage unter Anwohnern
  • Nachfrage bei der Staatsanwaltschaft Köln
  • Eigene Recherche
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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