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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Babysitter wegen Missbrauch verurteilt "Unsere Kinder schwärmen noch heute von Sönke"
Sönke G. präsentierte sich als Sonnenschein. Bezirksämter vermittelten ihn, Eltern empfahlen ihn. Sie alle ahnten jahrelang nichts von seinen Abgründen. Jetzt wurde er für eine lange Liste grausamer Taten verurteilt.
Zwölf Jahre Haft. Anschließend Sicherungsverwahrung. Wenn keine Therapie Erfolg haben sollte, wird der 28-jährige Sönke G. nie wieder freikommen.
Als sich der Richter am Donnerstag im Landgericht Berlin persönlich an den jungen Mann im grauen Kapuzenpullover wendet, nickt dieser mehrfach stumm. Dann schaut er starr geradeaus. Er sitzt mit krummem Rücken auf der Anklagebank, als wollte er darin versinken. G. muss mit dem harten Urteil gerechnet haben, es nimmt ihn trotzdem sichtlich mit.
Die Liste der Verbrechen, die G. zur Last gelegt wurden und die er alle gestanden hat, ist lang. 26 Jungen hat er missbraucht, 95 Taten wurden ihm im Einzelnen nachgewiesen. Das jüngste missbrauchte Kind war sieben Monate alt, noch ein Baby. Der älteste Junge war acht.
Opferanwalt im Berliner Gericht: "Die Bilder bekommst du nie wieder aus dem Kopf"
Der Richter zählt alle Taten auf. Minutenlang nennt er nüchtern die Fakten. Die Aufzählung scheint kein Ende zu nehmen, es geht immer weiter. In sieben Fällen ist von besonders schwerem Missbrauch die Rede. Die Kinder erlitten laut dem Vorsitzenden Richter Marc Spitzkatz erhebliche Schmerzen. Hinterher sagt ein Opferanwalt vor dem Gerichtssaal: "Wir mussten uns während des Prozesses Dinge anschauen, die Bilder bekommst du nie wieder aus dem Kopf."
Die Taten geschahen zwischen 2015 und 2020, meist in den Wohnungen von Familien, manchmal während Ausflügen in der Öffentlichkeit – zum Beispiel auf einer Toilette des Berliner Tierparks. Der Richter sagt, Sönke G. sei mit hoher krimineller Energie vorgegangen und habe große Anstrengungen unternommen, um in die Nähe von Kindern zu kommen.
2017 richtete G. zum Beispiel ein Profil auf einer privaten Vermittlungsplattform für Kinderbetreuung ein. "Im Grund möchte ich einfach gerne meine Fähigkeit, gut mit Kindern umgehen zu können, anbieten", hieß es im Text, der als Babysitter-Bewerbungsschreiben gelesen werden kann.
G. wollte nur fünf Euro Stundenlohn – "perfide", sagt eine Mutter
Als Referenz verwies G. auf "einige Praktika in Kindertagesstätten". Er schrieb, er habe viel Zeit und sei sehr flexibel. Es sei ihm ein Anliegen, neben seinem Beruf seine "soziale Ader weiter auszuleben". Er wolle "Familien unterstützen, ein möglichst entspanntes Familienleben zu haben", warb er für sich.
Dafür verlangte G. nur fünf Euro pro Stunde – ein Preis, mit dem er auch Familien köderte, bei denen das Geld nicht so locker sitzt. "Geradezu perfide", sagt Anne R. heute dazu. Sie kennt Sönke G. persönlich, er war von 2017 an einige Zeit Babysitter ihrer Kinder.
"Er kam, sah und siegte. Die Kinder fanden ihn sofort toll"
Anne R. fand damals über eine andere Internetbörse Kontakt zu G. Auf dieser verlangte er deutlich mehr, aber die Mutter zahlte das gute Honorar gerne. Weil sie das Geld hatte, weil sie generell der Ansicht ist, dass Arbeit anständig entlohnt werden muss – und weil ihr vor allem wichtig war, jemanden für ihre Kinder zu finden, dem sie vertraut.
Dieses Vertrauen war praktisch sofort da. "Sönke kam, sah und siegte", sagt Anne R. über den Kennenlerntermin beim Abendbrot. "Er war zugewandt, sympathisch, die Kinder fanden ihn sofort toll und haben ohne Scheu mit ihm drauflosgequatscht. Er war einfach ein lässiger und netter Typ. Ich habe ihm geglaubt, dass er neben seinem normalen Job als Lichttechniker noch etwas anderes für die Seele machen möchte. Dass er einen guten Draht zu Kindern hat, sah man ja."
Sollte man lieber keine Männer als Babysitter beschäftigen?
"Es gibt auch übergriffige Frauen und Mädchen", sagt Martina Huxoll-von Ahn vom Deutschen Kinderschutzbund. Für viele Kinder sei es gut, wenn sie auch mal männliche Betreuungspersonen hätten.
Ursula Enders vom Verein Zartbitter stimmt zu: "Man muss weder gegenüber weiblichen noch männlichen Babysittern grundlegend misstrauisch sein. Misstrauisch werde ich, wenn sie sich nicht an Absprachen halten beziehungsweise sich bei Kindern einschleimen, indem sie diesen Dinge erlauben, die die Eltern eigentlich verboten haben. Aber dann sind sie ohnehin untauglich."
Damals waren die Kinder der Familie fünf, sechs und acht Jahre alt. Ein Junge, zwei Mädchen. Das letzte bisschen unterschwelliges Misstrauen, das Anne R. einem männlichen Babysitter gegenüber hatte, zerstreute G. schnell. "Er hatte es einfach drauf, die Kinder auf eine angenehme Art zu managen, ohne sie anzumeckern."
"Jetzt schlafen alle"
Als G. dann das erste Mal allein mit den Kindern war, verfasste er eine Nachricht, die Anne R. bestärkte: "Ich wollte nur mal zwischendurch schreiben, dass alles gut lief bisher", tippte er. "Ich habe Eierkuchen gemacht, bis dahin hatten wir zusammen gespielt. Um kurz vor acht waren alle satt. Klara und Leon vor Mila, die hatte wirklich großen Hunger. Leon ist dann sehr selbstständig sich umziehen und Zähne putzen gegangen. Klara und Mila danach auch. Jetzt schlafen alle."
Perfekt, dachte Anne R.: Sönke schien wirklich die richtige Wahl zu sein. Was er anderen Kindern zu diesem Zeitpunkt schon alles angetan hatte, ahnte sie nicht. Sie war arglos, geblendet von der strahlenden Freundlichkeit des jungen Mannes.
Kinderschutzbund-Expertin: "Es ist nicht so leicht, Pädosexuelle zu erkennen"
"Was die Mutter über den Babysitter erzählt, wirkt fast wie eine Blaupause", sagt Martina Huxoll-von Ahn, stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kinderschutzbundes (DKBS) dazu.
- Kindesmissbrauch: "Die Opfer werden immer jünger – die Täter auch"
"Pädosexuelle sind oft äußerst sympathische Menschen. Sie haben tolle Spielideen, eine gute Verbindung zu Kindern und suchen sich Arbeitsbereiche aus, die ihnen Kontakt zu Kindern ermöglichen. Viele werden zum Beispiel Sporttrainer, Erzieher, Pfarrer oder gehen zu den Pfadfindern. Es ist nicht so leicht, sie als Pädosexuelle zu erkennen. Auch, weil sie eigentlich immer hochstrategisch vorgehen."
Zwei Bezirksämter vermittelten Sönke G. an Einrichtungen
Anne R. war nicht die einzige, die sich von G. blenden ließ. Einige Eltern, bei denen er Kinder hütete, fanden ihn so gut, dass sie ihn bedenkenlos weiterempfahlen.
Sogar zwei Bezirksämter sollen ihn vermittelt haben, sodass er Zugang zu Betreuungseinrichtungen bekam. Teilweise habe sich G. gezielt geistig behinderte Kinder als Opfer gesucht, erklärt der Richter. Wohl weil G. sich versprach, dass diese Kinder hinterher nichts von den Missbräuchen des Babysitters erzählen konnten.
LKA-Schreiben: "Sie wurden Opfer eines Verbrechens"
Bei Familie R. lief monatelang alles glatt. Sönke G. kam, wenn die Eltern einen unbeschwerten Abend allein verbringen wollten. Die Kinder berichteten am nächsten Tag nur Gutes.
Im April 2018 ereignete sich dann jedoch ein Übergriff, der erst Jahre später ans Licht kam. Im Vergleich zu den anderen Taten, für die G. jetzt verurteilt wurde, beinahe eine Kleinigkeit. Aber der Vorfall schockierte Anne R.: "Sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr", hieß es in einem Schreiben, das sie diesen Januar von einem Beamten des Landeskriminalamtes (LKA) ausgehändigt bekam. "Sie wurden Opfer einer Straftat."
"Vielleicht bildet man sich ja nur ein, dass man immer etwas merkt"
Anne R. war ins LKA zur Befragung geladen worden, vom Dezernat für Sexualdelikte. Ein junger Kommissar führte sie in einen Befragungsraum. Ein typisches Amtszimmer sei das gewesen, erinnert sich R., nur ein bisschen wohnlicher eingerichtet, mit einer Schlafcouch.
An einem Computer saß ein Protokollant, der jedes Wort mitschrieb. "Der hat nicht einmal die 'Ähs' ausgelassen", sagt die Mutter. "Der Kommissar hat als Erstes gefragt, ob mir der Name Sönke G. etwas sagt. Da habe ich nur gedacht: Jetzt nicht panisch werden, wenn da was passiert wäre, das hätte ich gemerkt. Die Kinder sind überhaupt nicht komisch. Aber vielleicht bildet man sich ja nur ein, dass man immer etwas merkt."
"Leon war nackt und gerade dabei, sich seinen Schlafanzug anzuziehen"
Wie merke ich, wenn mein Kind missbraucht wurde?
"Alle plötzlichen Verhaltensänderungen von Kindern sollten uns zum Nachdenken bringen", sagt Ursula Enders von Zartbitter. Aber: Spezifisches Verhalten, das eindeutig auf sexuellen Missbrauch schließen lasse, gebe es nicht.
Martina Huxoll-von Ahn vom DKSB ergänzt: Signale, die Kinder senden, würden oft falsch verstanden und könnten immer verschiedene Ursachen haben. Aber zum Beispiel starkes sexualisiertes Verhalten, etwa wenn Geschlechtsverkehr imitiert werde, könne ein Hinweis auf Missbrauch sein.
Als Nächstes zeigte der Beamte Anne R. ein Foto von einem Zimmer. Darin ein Kind, von dem man nur die Füße sah. Körper und Gesicht waren geschwärzt. Erst als R. den Raum als das Kinderzimmer der Familie erkannte, tauschte der Beamte das Foto gegen ein ungeschwärztes Bild aus.
"Und da stand dann Leon", erinnert sich R. "Er war nackt und gerade dabei, sich seinen Schlafanzug anzuziehen."
G. filmte fast alle Missbrauchstaten
Die meisten seiner Missbrauchstaten hat G. gefilmt. Was das Gericht bei der Urteilsverkündung nicht sagte, ein Opferanwalt aber hinterher berichtete: Die Aufnahmen seien auch verschickt worden. Das sei im Prozess, der bis zum Urteil zum Schutz der Opfer unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, thematisiert worden.
"Nur wissen die Ermittler nicht, wohin", sagt der Anwalt. Für die Eltern sei das ein Horror: zu wissen, dass irgendwo im Netz intime Aufnahmen ihrer Kinder sein könnten, aber keine Möglichkeit zu haben, sie löschen zu lassen.
Einen Komplizen hatte G. außerdem, teilweise begingen die beiden die Taten gemeinsam. Strafmildernd wurde Sönke G. zugutegehalten, dass er dazu beigetragen hat, diesen Mann zu fassen und auf frischer Tat am aufgeklappten Computer zu erwischen. Gegen ihn ermittelt nun die Staatsanwaltschaft Köln, wie ein Gerichtssprecher bestätigte. Der Komplize sitzt in U-Haft.
Sönke G. betrachtet sich als heterosexuell
Die Sicherungsverwahrung nach der Haft erspart das G. nicht. Der Richter sagt, G. betrachte sich zwar grundsätzlich als heterosexuell, habe aber eine pädosexuelle Neigung und zudem einen Windelfetisch. Obwohl der junge Mann seinen Hang schon vor Jahren erkannt habe, habe er sich nicht behandeln lassen. Aufgrund der bisher nicht therapierten Neigung bestehe Wiederholungsgefahr. Daher die Sicherungsverwahrung, obwohl G. bisher nicht einschlägig vorbestraft war.
Allerdings wurde G. bereits zweimal zu Geldstrafen wegen Diebstahls bzw. Einbruchs verurteilt: Er habe Windeln geklaut, berichtete die "B.Z.".
Bei der Urteilsverkündung empfiehlt der Richter G., die lange Haftzeit für eine Therapie zu nutzen. Vielleicht sei diese ja erfolgreich, eine Sachverständige habe angedeutet, dass das bei G. nicht unwahrscheinlich sei. Der Richter zum Angeklagten: "Sie sind ein relativ junger Mann und nicht auf den Kopf gefallen. Ihnen kann geholfen werden." Es wirkt fast fürsorglich.
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Erst eine anonyme Anzeige stoppte Sönke G.
Martina Huxoll-von Ahn vom Kinderschutzbund sagt, der Drang, sexuelle Handlungen an Kindern vorzunehmen, entwickele sich nach heutigem Kenntnisstand in der Pubertät. Die Betroffenen könnten nichts dagegen tun, der Hang sei nicht umkehrbar. "Aber einige können ihr Verhalten unter Kontrolle bringen. Pädosexuelle müssen nicht zu Tätern werden."
"Kein Täter werden"
An der Berliner Charité gibt es seit 2005 ein Therapieangebot für Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen. Betroffene erhalten Hilfe dabei, mit ihrer Neigung leben zu lernen. Mittlerweile hat das Präventionsnetzwerk mit dem Namen "Kein Täter werden" auch Standorte in Düsseldorf, Gießen, Kiel, Mainz, Hamburg, Hannover, Leipzig, Regensburg, Stralsund und Ulm. "Die ambulante Behandlung ist durch Schweigepflicht geschützt und kostenlos", heißt es auf der Seite der Charité.
Kontakt: 030/450 529 450
Sönke G. hatte sich nicht im Griff. Er missbrauchte weiter Kinder, auch nachdem er wegen des Windeldiebstahls verurteilt worden und sein Fetisch damit bekannt geworden war. Erst eine anonyme Anzeige stoppte ihn.
Bei einem Krankenhausaufenthalt habe eine Familie Einblicke in G.s Handy nehmen können, sagte der Richter. Es folgte eine Durchsuchung bei G., die Ermittler fanden reichlich belastendes Material. Im August 2021 kam er in Untersuchungshaft. Schon beim ersten Polizeiverhör hat er alles eingeräumt.
Bei WhatsApp gibt G. Einblicke in seine Gedankenwelt
Wenige Monate zuvor, im April 2021, hatte Anne R. noch einmal Kontakt zu G., nachdem dieser schon mehrere Jahre lang nicht mehr bei der Familie zum Babysitten gewesen war: G. hatte bei WhatsApp etwas zu Coronaregeln und deren Auswirkungen auf Kinder geschrieben, das Anne R. nicht verstand. "Wovon redest du?", fragte sie.
Sönke G. antwortete mit einem langen, über weite Strecken äußerst wirren Text. Es ging um Zeit, die nicht so existiere, wie wir sie wahrnehmen würden – im nächsten Atemzug dann um die Idee der Währung und den Staat, der ihm alles genommen habe.
Sönke G.: "Ein Kind kann nicht entscheiden"
Am ausführlichsten waren G.s Gedanken, als er über Kinder und sich selbst schrieb. G. hat die Zeilen vor dem Hintergrund der Pandemie niedergeschrieben. Aber mit dem Wissen, dass er Kinder brutal missbraucht hat, erhalten die Worte noch eine andere Bedeutung.
"Ein Kind kann nicht entscheiden, ob es eine Behandlung möchte oder nicht", befand G. "Es kann nicht sein, dass das sensibelste Lebewesen, das Kind, zu etwas gebracht wird durch Gesetzeszwang und nicht durch die Eltern, den gesetzlichen Vormund oder den erwählten Vertrauten, den das Kind selbstständig wählt."
Er habe sehr viel über sich selbst nachgedacht, schrieb G. außerdem. "Ein Glück bin ich mir immer treu geblieben und habe das gemacht, was ich für richtig hielt." Und dann: "Ich frage mich, warum es mehr kaputte als gesunde Menschen gibt."
Anne R.: "Wir hatten Glück"
Anne R. hat nach der Befragung beim LKA mit ihren Kindern gesprochen. Sie wollte wissen, ob es Anzeichen gibt, dass G. nicht nur Fotos von Leon gemacht hat, sondern ihn vielleicht auch körperlich missbraucht haben könnte.
Warum schweigen so viele missbrauchte Kinder?
Für Täter sei es typisch, sich heranzutasten, sagt Martina Huxoll-von Ahn vom Kinderschutzbund. "In aller Regel gucken sie sich ein Kind aus. Und dann fangen sie vorsichtig mit den ersten Grenzverletzungen an. Eine Berührung hier, eine da. Wenn das Kind keine Abwehrreaktionen zeigt, gehen sie immer weiter."
Die missbrauchten Kinder befänden sich oft in einer Zwickmühle. "Sie werden von jemandem bedrängt, den sie mögen, der ihnen wichtig ist. Den Missbrauch wollen sie nicht, aber sie halten still. Viele betroffene Kinder denken zum Zeitpunkt des Missbrauchs: Das ist eben normal für Kinder."
Meist kämen Drohungen hinzu, die das Schweigen zementieren: "Die Täter behaupten, den Eltern oder den Geschwistern werde etwas passieren, wenn sie erzählen, was geschehen ist." Je kleiner die Kinder seien, umso eher glaubten sie jedes Wort.
Von den Vorwürfen gegen G. erzählte sie nichts. Stattdessen fragte sie allgemein nach all den Babysittern, die die Kinder in den vergangenen Jahren hatten. "Das war mein Weg, um herauszufinden, ob die Kinder möglicherweise ein gespaltenes Verhältnis zu Sönke haben. Aber da war nichts, sie haben alle ganz unbefangen erzählt. Unsere Kinder schwärmen noch heute von Sönke."
Anne R. ist überzeugt, dass ihre Familie einfach nur Glück hatte. "Die Kinder haben in einem gemeinsamen Zimmer geschlafen. Vermutlich ist nichts Schlimmeres passiert, weil Sönke dort nie allein mit Leon war. Und aus Mädchen machte er sich nichts."
Depressionen, Suizidgedanken – mögliche Folgen von Missbrauch
An die Eltern von Kindern gerichtet, die weniger Glück hatten, sagt Martina Huxoll-von Ahn: "Kinder verdauen Dinge ganz unterschiedlich. Das hat etwas damit zu tun, wie intensiv der Missbrauch war oder über welchen Zeitraum er andauerte. Aber auch damit, ob sie sich hinterher alleingelassen oder aufgefangen fühlen."
Einige Kinder würden distanzlos gegenüber Fremden, andere bekämen in der Pubertät Probleme und würden sich zum Beispiel ritzen. Manche Missbrauchsopfer würden als Erwachsene unter Depressionen leiden, Suizidgedanken haben oder Schwierigkeiten, Beziehungen einzugehen.
"Die Seele hat vielleicht Schaden genommen, aber sie ist nicht zerstört"
Aber, sagt Huxoll-von Ahn, liebevolle Eltern hätten es in der Hand, die Folgen für ihre Kinder abzumildern. Von besonders schwerwiegenden Folgen von Missbrauch seien diejenigen Opfer betroffen, die als Kind das Gefühl hatten, keine Unterstützung durch Erwachsene, insbesondere durch die Eltern zu erfahren. "Wenn da Eltern sind", sagt Huxoll-von Ahn, "die ihre Kinder und deren Probleme ernst nehmen, dann hilft das viel."
Sie fügt an: "Für Betroffene ganz schlimm ist der Satz, Missbrauch zerstöre Kinderseelen. Denn sie haben ja noch eine Seele, ihre Seele lebt. Sie hat vielleicht Schaden genommen, aber sie ist nicht zerstört. Es ist nicht gut, wenn Betroffene erleben, auf ihre Missbrauchserfahrung reduziert zu werden. Eine solche Erfahrung kann bewältigt werden, sie muss nicht Bestandteil der Persönlichkeit bleiben."
Ein gutes Leben, das ist die Botschaft, ist auch für Kinder möglich, denen Gewalt angetan wurde.
So schützen Sie Ihr Kind vor Missbrauch
"Der beste Schutz ist eine präventive Erziehung vom ersten Tag an", sagt Ursula Enders, die 1986 den Verein Zartbitter mitbegründet hat. Dazu gehöre, die von Kindern beim Wickeln nonverbal geäußerten Grenzsetzungen zu achten. Außerdem rät die Traumatherapeutin: "Kinder nicht ständig fotografieren, erst recht nicht in für sie peinlichen Situationen. Viele Kinder lernen ihr Recht am eigenen Bild aufgrund ständiger Aufnahmen nicht mehr kennen und zu vertreten."
Starke und selbstbewusste Kinder seien weniger gefährdet, sagt auch Martina Huxoll-von Ahn vom Kinderschutzbund. "Kinder, die wissen, dass sie 'Nein' sagen dürfen, werden seltener Opfer als Kinder, die aus irgendwelchen Gründen Mangel erlebt haben und emotional sehr bedürftig sind."
Wenn ein Babysitter in die Familie kommt, rät Enders vom Verein Zartbitter zu klaren Absprachen: "Zum Beispiel, dass der Babysitter nicht mit Kindern baden, sie nicht fotografieren, sich nicht zu ihnen ins Bett legen darf." Würden Regeln missachtet, würden Kinder das häufig sagen. "Und dann sollte das Babysitterverhältnis umgehend aufgelöst werden", sagt Enders.
- Besuch der Urteilsverkündung gegen Sönke G.
- Gespräch mit einem Opferanwalt und einem Gerichtssprecher
- Gespräch mit Anne R.
- Whatsapp-Chats zwischen Anne R. und Sönke G.
- Polizei Berlin: Schreiben an Familie R.
- Internet-Profile von Sönke G.
- Gespräch mit Martina Huxoll-von Ahn vom Deutschen Kinderschutzbund
- Mail-Kommunikation mit Zartbitter-Mitbegründerin Ursula Enders
- "B.Z.": "Babysitter missbraucht 100-mal Kinder, filmt seine Opfer"
- Eigene Recherchen