"Bodenlose Frechheit" Das sagen Betreiber zur 2G-Option in Berlin
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nach dem Hamburger 2G-Vorstoß zieht nun auch Berlin mit einem Optionsmodell nach. Betreiber haben künftig die Wahl, ob sie nur Geimpfte und Genesene oder auch Getestete empfangen. Ein Stimmungsbild.
Das am Dienstag vom Senat beschlossene 2G-Optionsmodell stellt die Berliner Gastronomen und Betreiber vor die Wahl: Bleiben sie bei der 3G-Regelung und empfangen weiterhin geimpfte, genesene und getestete Gäste, bleiben auch Masken und Abstandsregelungen in Innenräumen Pflicht. Optional können sie sich nun jedoch auch für 2G entscheiden, also nur Geimpfte und Genesene in ihre Innenräume lassen. Dann fallen Auflagen wie die Maskenpflicht und Abstandsregeln künftig weg. Negative Schnell- oder PCR-Tests würden es Personen, die sich nicht impfen lassen, dann nicht mehr gestatten, diverse Veranstaltungen, beispielsweise aus dem Sport oder Kunstbereich, zu besuchen.
Diese Entscheidung ist bei Club-, Bar- und Restaurantbesitzern umstritten: Zum einen geht es hier um die Teilhabe an der Gesellschaft für Nicht-Geimpfte, zum anderen um Betreiber, die für die Entscheidungen der Politik geradestehen müssen – und vor der Qual der Wahl stehen.
Gastronomen in Berlin enttäuscht: "Senat überträgt Entscheidung auf Betreiber"
"Wir werden bei uns 2G umsetzen, um unsere Gäste und Mitarbeitenden besser zu schützen. Viele unserer Stammgäste sind inzwischen vollständig geimpft, daher hoffen wir, dass es finanziell keine allzu großen Auswirkungen haben wird", erklärt Maximilian Büttner gegenüber t-online. Er ist der Besitzer der Bar "Mendy und Edeltraut" in Neukölln und befürchtet, dass er am Wochenende viel Laufpublikum an benachbarte Bars verlieren könnte, die weiterhin auf die 3G-Regelung setzen. "Der Anreiz sich impfen zu lassen, um weiterhin am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können, wird damit komplett ausgehöhlt", kritisiert er.
Betreiberinnen und Betreiber, die das Infektionsrisiko ihrer Gäste und Mitarbeitenden durch die Umsetzung von 2G reduzieren wollen, würden durch den Beschluss in direkte Konkurrenz zu Läden gestellt, die weiterhin auf 3G setzen, bemängelt Büttner. "Ich finde es sehr enttäuschend, dass der Senat eine Entscheidung, die die Gesundheit aller betrifft, komplett auf die Betreiber überträgt."
"Das überleben die meisten nicht!"
Deutlich schärfer fällt die Kritik von Filip Mitovski, einem Kreuzberger Barchef aus. "Ich empfinde die Entscheidung des Senats als bodenlose Frechheit gegenüber der Gesellschaft, aber insbesondere gegenüber den Betreibern und Mitarbeitern der Gastronomie. Die Politik will die Gesellschaft spalten und wir sollen das für sie machen und unser Gesicht dafür hergeben. Ich kann nur jedem Gastronomen dringendst empfehlen, da auf keinen Fall mitzumachen und sich nicht sein eigenes Grab zu schaufeln", schimpft er.
Mitovski wittert in dem Senatsbeschluss eine Impfpflicht durch die Hintertür. Er selbst würde sich niemals für die 2G-Regelung entscheiden, stellt der Barchef klar. Sie würde den Betrieben nur Nachteile bringen. Durch die Umsetzung des 2G-Modells würde ein Großteil der Gäste zu Läden mit 3G-Konzept abwandern, befürchtet auch er. "Das überleben die meisten nicht!"
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Durch die Corona-Maßnahmen fühle man sich als Mitarbeiter wie eine Mischung aus Ordnungsamtsgehilfe und Kindergärtner, klagt Mitovski. "Impfnachweis! Ausweis! Nein, der Tisch darf nicht verrückt werden! Abstand! Maske auf! Nachverfolgung ausfüllen! Wer sich jetzt noch freiwillig für 2G entscheidet ist selber schuld, die Leute haben nach eineinhalb Jahren Dauerpanikmache keine Lust auf überfüllte Innenräume ohne Abstände und werden trotzdem weiter in 3G-Läden gehen", glaubt er. Zudem habe sich etwa in Münster gezeigt, dass es auch mit 2G-Modell zu zahlreichen Corona-Infektionen kommen könne.
Auch Clubs bleiben skeptisch
Auch die Berliner Clubszene, die bereits seit Anfang September ihre Innenbereiche nach 2G-Modell wieder öffnen darf, zeigt sich zurückhaltend. "Seit März 2020 ist der Innenbereich des 'Suicide Circus' komplett geschlossen. Das Biergartenkonzept vom letzten Sommer konnte kaum wirtschaftliche Erfolge einfahren und unsere finanziellen Rücklagen sind aufgebraucht. Dennoch nutzen wir bis Mitte Oktober erst einmal nur die Außenbereiche weiter. Wir haben uns hier für 3G entschieden, um allen unseren Gästen einen Besuch zu ermöglichen", erklärt Gesellschafterin Kathleen Sichelschmid. "Nur 2G im Innenraum, scheint aus jetziger Perspektive noch nicht sicher genug zu sein. Und Lüftungsanlagen im Innenraum sind furchtbar teuer."
Auch die Clubcommission freue sich zwar, dass die Clubs wieder öffnen können, hätte sich aber eine PCR-Alternative gewünscht, so Pressesprecher Lutz Leichensring. "Insbesondere damit wir im Herbst eine Fallback-Lösung haben, falls die Zahlen steigen und es zu Ausbrüchen in Clubs kommen sollte. Einen erneuten Lockdown wollen wir unter allen Umständen verhindern. Außerdem gibt es arbeitsrechtliche Unklarheiten, da man sein Personal nicht verpflichten kann sich impfen zu lassen", kritisiert auch er.
Schon bevor die Entscheidung des Rot-Rot-Grünen Senats am Dienstag bekannt wurde, kochten in der Branche die Diskussionen hoch. Grund dafür war die Kontroverse, die Promi-Wirt Josef Laggner in der vergangenen Ausgabe der "BILD am Sonntag" angestoßen hatte. Bei seinem diesjährigen Oktoberfest in der Fischerhütte am Schlachtensee wolle er nur noch Geimpfte in die Innenräume lassen. Vor allem in den sozialen Medien führte seine 1G-Forderung zu wüsten Beschimpfungen. Beispiele wie diese zeigen, dass viele Gastrogänger sehr emotional bei diesem Thema werden.
- Eigene Recherche