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Gregor Gysi (Linke) im Interview: "Putin will keinen Dritten Weltkrieg"


Linken-Politiker Gregor Gysi
"Putin will keinen Dritten Weltkrieg"


21.02.2025 - 17:13 UhrLesedauer: 5 Min.
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Der Linken-Politiker Gregor Gysi (Archivbild): "Anfang Januar haben wir gemerkt, dass bei unseren Veranstaltungen plötzlich die Säle voll sind." (Quelle: IMAGO/Emmanuele Contini)
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Kaum einer zweifelt noch am Einzug der Linken in den Bundestag. Im Interview spricht Gregor Gysi über die Gründe für den Aufschwung und seinen Umgang mit der weltpolitischen Unsicherheit durch Putin und Trump.

Erst vor knapp einem Monat hat t-online Gregor Gysi getroffen, um mit dem Berliner Spitzenkandidaten der Linken über seine letzte Kandidatur für den Bundestag zu sprechen. Seitdem erlebt seine Partei in Umfragen einen Aufschwung, den sie wohl selbst kaum für möglich gehalten hätte. Dementsprechend ist Gysi beim zweiten Treffen deutlich besser gelaunt, wirkt weniger müde, trotz des straffen Wahlkampfprogramms.

Im Interview spricht er über die Gründe für den Aufschwung und die damit verbundene Euphorie, aber auch über weltpolitische Entwicklungen, die ihm große Sorgen bereiten.

t-online: Seit Friedrich Merz das Asylrecht verschärfen wollte und dafür eine Mehrheit mit Stimmen der AfD in Kauf genommen hat, hat sich die Linke in Umfragen fast verdoppelt. Haben Sie ihm schon einen Präsentkorb geschickt?

Gregor Gysi: Nein, dafür finde ich den Vorgang viel zu schlimm. Merz hat zwar die Situation so zugespitzt, dass Heidi Reichinnek mit furiosen Reden dafür gesorgt hat, dass wir zulegen. Aber das ist es mir nicht wert. Ich möchte nicht, dass CDU, FDP und BSW bereit sind, mit einer rechtsextremen Partei ein Gesetz zu beschließen. Es ist glücklicherweise nicht gelungen, was wir auch ein paar Abtrünnigen bei FDP und CDU verdanken. Aber die Brandmauer ist eingerissen. Der nächste Sprung ist Tolerierung, der übernächste Koalition.

Wann haben Sie im Wahlkampf das erste Mal gemerkt, dass sich der Wind zu Ihren Gunsten dreht?

Es gab mehrere Momente. Etwa als wir vor drei Monaten die Silberlocken-Kampagne gestartet haben. Da haben sich die Medien plötzlich wieder für die Linke interessiert, was vorher lange nicht der Fall war. Anfang Januar haben wir dann gemerkt, dass bei unseren Veranstaltungen plötzlich die Säle voll sind. Der dritte Hype waren dann die beiden Reden von Heidi Reichinnek. Da haben wir dann gemerkt, dass wir auch bei jungen Leuten wieder sehr viel Zuspruch bekommen.

Zur Person

Gregor Gysi (Die Linke) wurde 1948 in Berlin geboren. In der DDR absolvierte er eine Ausbildung als Rinderzüchter und studierte Rechtswissenschaften. 1989 war er dann kurzzeitig Vorsitzender der SED, nach der Wiedervereinigung wurde er dann Vorsitzender der PDS. 1990 zog er erstmals in den Bundestag ein. 2002 war er dann kurzzeitig Berliner Wirtschaftssenator, trat nach einer Affäre um Bonusmeilen jedoch zurück. Seit 2005 sitzt er wieder im Bundestag.

Die Reichinnek-Reden haben in den sozialen Medien viel Aufmerksamkeit bekommen. Viele sagen, dass Instagram und TikTok eine große Rolle beim Aufschwung der Linken spielen. Stimmt das?

Definitiv. Früher haben wir das vernachlässigt. Die AfD war lange die einzige Partei, die massiv auf Social Media gesetzt hat, die anderen haben das verpennt. Aber jetzt haben wir aufgeholt. Und jetzt haben wir ein Team, das mit mir ständig irgendwas für TikTok dreht. Ich weiß gar nicht, was ich da so genau mache, auf meinem Handy kann ich das nicht sehen (lacht). Aber meine Enkel haben gesagt, es sei cool. Das hat mich beruhigt.

Bei manchen Videos hat man das Gefühl, dass Sie ein wenig damit fremdeln, was die jungen Leute da mit Ihnen machen.

Da haben Sie ein berechtigtes Gefühl (lacht). Das ist ja alles neu für mich. Aber da muss ich durch. Das meiste finde ich witzig.

Es gibt einen über Instagram bekannt gewordenen Stuttgarter, der eine Sturmmaske trägt und unter dem Namen "DJ Gysi" Ausschnitte Ihrer Reden mit Techno-Beats unterlegt. Wann haben Sie das erste Mal von ihm gehört?

Erst, als ich ihn neulich getroffen habe. Es ist eine tolle Anerkennung aus der jungen Generation, wenn ein DJ sich Gysi nennt. Das Einzige, was mir Sorge macht, ist die Verwechslungsgefahr. Neulich hatte Heidi Reichinnek eine Veranstaltung mit DJ Gysi. Ältere haben mich dann angesprochen, wie sie da noch reinkommen. Dann musste ich aufklären, dass ich da gar nicht auftauche. Aber die Jüngeren haben natürlich verstanden, wer wer ist.

Sie haben ein Video mit DJ Gysi gedreht und auch seine Sturmmaske aufgesetzt. Ist das nicht ein bisschen drüber?

Da habe ich zunächst gezögert. Auf der Maske steht "161", was teilweise von Linksextremen als Code für Antifa genutzt wird. Ich bin vieles, aber nicht linksextrem. Aber wir haben uns dann verständigt, dass das ja im Grunde genommen für Antifaschismus steht. Da kann ich komplett dahinterstehen.

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Durch die Trump-Regierung droht die Nato aktuell auseinanderzufliegen. Freut Sie das?

Nein. Es droht nämlich noch viel mehr. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Welt in den Westen und die sowjetische Einflusszone aufgeteilt worden. Die sowjetische ist zusammengebrochen. Trump teilt jetzt mit, dass der Westen auch zusammenbricht.

Was ist aus Ihrer Sicht Trumps Ziel?

Es gibt einen Wettstreit zwischen den USA und China, wer in Zukunft Weltmacht Nummer eins ist. Und in Augen von Trump und seinen Leuten ist China aktuell erfolgreicher, weil es autoritär ist. Das ist – so meinen sie – schneller und effizienter. Trump kündigt deshalb die Demokratie auf. Weil er glaubt, nur so den Wettstreit mit China gewinnen zu können.


Quotation Mark

Wenn die USA sich Grönland militärisch holen und damit Dänemark angreifen, ist die Nato am Ende.


Gregor Gysi


Was bedeutet das für uns?

Trump meint es ernst, dass er Grönland haben will. China will den dortigen Hafen kaufen, und das ist den USA zu nah. Wenn die USA sich Grönland militärisch holen und damit Dänemark angreifen, ist die Nato am Ende. Ein Ende der Nato müsste uns theoretisch nicht weiter stören, wenn ein anderes Sicherheitssystem entstünde, woran ich aber zweifle. Wir bräuchten einen Nichtangriffspakt zwischen Russland und dem übrigen Europa, der ist aber auch nicht in Sicht.

Was will Russland aus Ihrer Sicht?

Dass Putin Deutschland erobern will, halte ich für Quatsch. Putin will keinen Dritten Weltkrieg, dann ist auch Russland am Ende. Aber Putin will der Welt klarmachen, dass nur er Einfluss auf die ehemaligen Sowjetrepubliken hat. Das hört nicht bei der Ukraine auf, sondern gilt genauso für Georgien, Aserbaidschan, Moldawien oder Kasachstan. Er will, dass Europa sich raushält, wenn er da einmarschiert. Das können wir nicht akzeptieren. Es besteht jetzt die Gefahr, dass Trump und Putin ihre Einflusszonen abstecken, ohne dass jemand mitreden darf. Das alles macht mich sehr, sehr unruhig.

Viele Militärexperten sagen, dass eine europäische Aufrüstung die einzige Antwort darauf sein kann, um sich selbst verteidigen zu können. Die Linke will aber Abrüstung. Warum?

Aufrüstung ist nicht die Lösung. Wenn es wirklich zum Dritten Weltkrieg kommt, bleibt von uns nichts übrig.

Die Hoffnung ist ja, dass es nicht zum Krieg kommt, wenn wir genug gerüstet sind.

Die einen sagen, die Abschreckung muss groß genug sein. Ich sage, dass wir uns mit Aufrüstung zum Angriffsziel machen, sollte es wirklich zum Krieg kommen. Wenn wir Raketen haben, die nach Moskau fliegen können, oder amerikanische Atomwaffen im Land, dann müssten Gegner uns als Erstes vernichten. Was wir brauchen, ist ein Nichtangriffspakt unter Einbeziehung der ehemaligen Sowjetrepubliken. Den zu bekommen, wird sehr schwer.

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Gibt es etwas, was Ihnen trotzdem Hoffnung macht?

Ja. Deutschland braucht einen Zusammenschluss aller Demokratinnen und Demokraten aus den Parlamenten, aus Wissenschaft, Kunst, Kultur, Gewerkschaften, Kirchen und Unternehmensverbänden. Zusammen müssen wir sagen, wir lassen autoritäre Strukturen in Deutschland nicht zu. Selbst wenn die USA so werden, wir machen da nicht mit. Und dann müssen wir Verbündete finden wie Frankreich oder Großbritannien. Wir müssen die sein, die aus der Geschichte gelernt haben.

Danke für das Gespräch, Herr Gysi.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Interview mit Gregor Gysi am 20. Februar 2025
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