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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Tramfahrer über Streik "Das lassen wir uns nicht mehr gefallen"

Seit 2015 fährt Manuel von Stubenrauch Straßenbahnen für die BVG. Ein unbefristeter Streik ist aus seiner Sicht durchaus möglich.
Seit mehreren Tarifrunden versuchen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und die Gewerkschaft Verdi, eine Einigung zu erzielen. Insbesondere bei der Höhe des Entgelts gibt es Differenzen. Verdi fordert 750 Euro zusätzlich pro Monat bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Die BVG bot zuletzt stufenweise 375 Euro und eine doppelt so lange Laufzeit dieser Vereinbarung. Mehr dazu lesen Sie hier.
Manuel von Stubenrauch ist seit dem Jahr 2015 Straßenbahnfahrer bei der BVG. Er ist in der Tarifkommission, Verdi-Vertrauensmann und Vertrauensleutesprecher der Berliner Straßenbahnen. Im Interview erzählt er, warum er bereit ist für einen unbefristeten Streik und weshalb es sich lohnt, für mehr Geld auf die Straße zu gehen. Außerdem berichtet er vom stressigen Alltag als Straßenbahnfahrer.
t-online: Herr von Stubenrauch, wenn es am Freitag nach der fünften Runde der Tarifverhandlungen keine Einigung zwischen Verdi und BVG gibt, stehen eine Urabstimmung und ein unbefristeter Streik im Raum. Wollen Sie es wirklich so weit kommen lassen?
Manuel von Stubenrauch: Ich hoffe, dass wir eine Einigung erzielen. Aber wir sind auch bereit, bis zum Äußersten zu gehen. Wir lassen es uns nicht mehr gefallen, so abgespeist zu werden. Das ist Konsens bei den meisten BVG-Bediensteten. Nach den letzten Tarifrunden, wo wir fast 10.000 Personen im Unternehmen befragt haben, waren jeweils mindestens 95 Prozent der Mitarbeiter für die Warnstreiks.
Wie blicken Sie auf den kommenden Freitag?
Positiv, weil wir stark sind. Wir sind entschlossen, unsere Forderungen durchzusetzen. Die BVG gibt nur kleckerweise ihre Angebote preis. Das stört uns. Ich würde lieber viel öfter verhandeln, sodass wir zu einem Ergebnis kommen. An manchen Punkten sind wir aber schon auf einem guten Weg, etwa bei der Laufzeit oder bei den Zulagen. Beim Festbetrag fehlt aber auf jeden Fall noch etwas.
Wir kämpfen nicht nur für uns, sondern auch für die Fahrgäste.
Manuel von Stubenrauch, Straßenbahnfahrer
Sie argumentieren insbesondere mit den massiven Preissteigerungen der vergangenen Jahre.
Unser letzter Abschluss war 2021, damals lag der Fokus auf der Arbeitszeit. Es gab eine Entgelterhöhung von nur 4,1 Prozent für die vier Jahre. In dieser Laufzeit ist die Inflation um 16 Prozent gestiegen. Das heißt, wir haben einen Reallohnverlust von über 10 Prozent. Im Ländervergleich ist unsere Berufsgruppe auf den letzten Platz gefallen. Wir kämpfen nicht nur für uns, sondern auch für die Fahrgäste. Wenn sich niemand wegen des Gehalts als Fahrer bei der BVG bewirbt, dann fallen Züge aus. Der Vorstand hat selbst die Maxime "Stabilität vor Wachstum" angekündigt, was ja auch gut ist. Das geht aber nur mit einem guten Angebot und der Wertschätzung für die Bediensteten. Denn viele überlegen gerade zu kündigen.
Die Personalchefin der BVG, Jenny Zeller-Grothe, sagte nach der letzten Tarifrunde, die Gewerkschaft könne nicht durchgehend an ihren Maximalforderungen festhalten und müsse dem Unternehmen entgegenkommen.
Wir müssen gar nichts. Unsere Forderungen sind klar. Das Entgegenkommen ist nur ein rhetorischer Trick. Die BVG möchte in der Öffentlichkeit den Ball zurückwerfen. Wie gesagt: Bei der Laufzeit sind wir uns fast einig. Bei den Zulagen sieht es okay aus. Beim Grundgehalt sollte sich die BVG selbst die Gedanken machen, ob sie ihr Personal halten will oder nicht.

So hat sich die BVG auf Verdi zubewegt
Die BVG hat Verdi bislang viermal ein Angebot vorgelegt. Das erste Angebot sah Lohnsteigerungen von im Durchschnitt bis zu 15,3 Prozent in mehreren Schritten vor. Enthalten waren Steigerungen von bis zu 84 Prozent bei Zulagen. Das Angebot sah eine Laufzeit bis Ende 2028 vor.
Das nun vierte Angebot der BVG sieht eine kürzere Laufzeit von 24 Monaten vor und eine Steigerung des Entgelts im Durchschnitt um 13,6 Prozent. Die Zulagen sollen um bis zu 125 Prozent steigen.
Die BVG hat bereits erwähnt, dass der finanzielle Rahmen ausgereizt sei. Außerdem behalte man sich rechtliche Schritte mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit des Arbeitskampfes vor.
Natürlich muss das alles finanziert werden, logisch. Aber genau das sagen sie seit vier Tarifrunden. Ich finde das nicht glaubwürdig. Als Unternehmen kann ich meine Wirtschaftslage in einer Tarifrunde immer so auslegen, dass sie schlecht ist. Meine Vermutung ist, dass die BVG bisher nicht alles auf den Tisch gepackt hat. Warum sollten Sie auch? Für uns als Beschäftigte spielt das ohnehin zunächst keine Rolle. Wir sind nicht dafür zuständig, das Geld zu beschaffen. Wenn mein Vermieter die Miete erhöht, fragt er mich vorher ja auch nicht, ob ich eine Lohnerhöhung bekommen habe. Deshalb muss ich für die Fahrgäste und uns kämpfen. Nur so wirst du mehr Menschen dafür begeistern, eine Straßenbahn, einen Bus oder eine U-Bahn fahren zu wollen. Klar ist auch: Am Ende muss man sich ins Gesicht schauen und eine Vereinbarung treffen, mit der beide Seiten zufrieden sind.
Sie sprechen offen mit den Medien. Oder Sie reden in Ihrem Podcast "Die Betriebsstörung" über Streiks und Unzufriedenheit im Job. Wie kommt das beim Vorstand an?
Sie beobachten das wohl ganz genau. Aber genau so etwas zeigt unsere Stärke und unseren Mut. Es äußern sich noch viele andere Bedienstete. Für den Arbeitnehmer ist es wichtig, eine Stimme zu haben. Mit 6.000 Kolleginnen und Kollegen auf einer Demonstration zu stehen, ist sehr befreiend, weil man merkt, dass man nicht alleine ist.
Als Vertrauensperson innerhalb des Betriebs vertreten Sie die gewerkschaftlichen Interessen und sprechen sicherlich auch mit der Politik. Was nehmen Sie in den Gesprächen wahr?
Die Politiker wussten alle nicht, dass wir im Ländervergleich auf dem letzten Platz sind. Die leben in einer anderen Blase. Unser Vorstand wird das vielleicht schon wissen, aber niemand von den hohen Tieren ist mal eine Woche Straßenbahn gefahren und kann erahnen, wie stressig das sein kann.
Dann erzählen Sie gerne aus Ihrem Arbeitsalltag.
Ich habe heute um 3.53 Uhr angefangen und bis 12.22 Uhr gearbeitet. Ich fahre täglich fast neun Stunden und das fünf oder sechs Tage am Stück. Das Schichtsystem generell ist belastend. Manchmal liegen nur elf oder 12 Stunden Ruhezeit zwischen den Touren. Es kommt vor, dass ich nach einer Nachtschicht um 5.30 Uhr Feierabend habe und um 16.30 Uhr wieder losmuss. Dazwischen muss ich nach Hause, schlafen und essen. Und die Familie ist auch noch da.
Auch mich nervt es, wenn erst in sieben Minuten die nächste Bahn kommt.
Manuel von Stubenrauch, Straßenbahnfahrer
Ein zusätzlicher Stressfaktor sind sicherlich die Berliner, die sich über die unregelmäßigen Fahrtzeiten aufregen. Wie nehmen Sie das wahr?
Ich bin auch Berliner. Auch mich nervt es, wenn erst in sieben Minuten die nächste Bahn kommt. Dennoch sind wir hier in der Hauptstadt sehr verwöhnt. Was mir wichtig ist: Der Fahrer kann in der Regel nichts dafür. Wir müssen uns an die Verkehrsregeln halten, manchmal gibt es einen Schaden am Zug. Oder aber das Personal fehlt. Schnell kommt man in eine Verspätungsspirale, aus der man nur schwer wieder herauskommt. Natürlich ist der Fahrer die erste Ansprechperson, aber er ist dafür nicht verantwortlich.
Wie reagieren die Fahrgäste denn?
Ich habe immer Augenkontakt zu den Personen und achte darauf, wie sie sich verhalten. Dadurch bemerke ich ihre Reaktionen, wenn man verspätet irgendwo hereinfährt. Manch einer zeigt dann auf die Uhr. Aber für mich ist das genauso blöd. Ich habe verspätet Pause oder Feierabend. Und ich habe weniger Zeit, aufs Klo zu gehen oder durchzuschnaufen, weil ich mich hetzen muss.
Wurden Sie auch schon attackiert?
Körperliche Gewalt habe ich bisher nicht erlebt. Ich bin ein ruhiger Mensch. Aber man hört mehrfach, dass Kollegen angegriffen wurden. Verbale Eskalationen gibt es sicherlich häufiger. Etwa, wenn ich die Türen vor der Nase eines Fahrgastes schließe. Das mache ich nicht absichtlich. Ich versuche nur, die Ampelphase zu erwischen. Ansonsten stehe ich eineinhalb Minuten länger dort und verspäte mich, danach kommt vielleicht wieder der Nächste angerannt. Dann spucken Menschen schon mal gegen die Scheibe oder treten gegen die Tür. Ich wünsche mir da mehr Gelassenheit.
Vielen Dank für das Gespräch!
- Interview mit Manuel von Stubenrauch von der BVG
- Mit Informationen der Nachrichtenagentur dpa