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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Start-up entwickelt Tierheim-App Tinder für Tiere in Not
Eine innovative App soll Tierheimen bei der Vermittlung von Hunden und Katzen helfen. Doch die Entwickler der Plattform stoßen auf Widerstand. Ausgerechnet die Tierheime stellen sich quer.
Tausende Tiere leben in deutschen Tierheimen. Nicht wenige sterben dort, ohne jemals ein richtiges Zuhause gehabt zu haben. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen gibt es Vorurteile gegenüber Tieren aus dem Heim: Sie seien krank, aggressiv und nicht erzogen. Aber auch die Tierheime selbst seien bei der Vermittlung ihrer Schützlinge zu streng. Die 24-jährige Francesca Rivolta will helfen.
Gemeinsam mit zwei Partnern hat die Berlinerin eine App entwickelt, die Barrieren zwischen Tierheimen und Adoptionswilligen abbauen soll. "Unser Ziel ist es, den Adoptionsprozess zu vereinfachen, indem wir es Menschen leichter machen, Hunde und Katzen in Not zu finden und zu adoptieren", erklärt Rivolta. Das hat sie zu ihrer Lebensaufgabe gemacht.
Im Herbst 2023 hatten Rivolta und ihr Kindheitsfreund Felix Moll (25) ein Problem erkannt. Ein gemeinsamer Freund wollte ein Haustier adoptieren. Doch er stieß auf große Hindernisse. Zu kompliziert war der Adoptionsprozess. "Bei mehr als 1.400 Tierheimen in Deutschland gibt es auch mehr als 1.400 Internetseiten. Für jemanden, der ein Tier adoptieren will, ist das ein Albtraum."
Nutzer klicken sich durch Tierfotos
Nach Francesca Rivoltas Erfahrung haben Tierheime oft unübersichtliche und veraltete Webseiten, die nicht richtig gepflegt und aktualisiert werden, weil Geld und Zeit fehlen. Dann sei es auch schwierig, mit den Tierheimen in Kontakt zu treten. Am Ende steht Frustration. "Die deutschen Tierheime platzen aus allen Nähten und die Leute holen sich einen Pomeranian-Welpen für 1.000 Euro vom Züchter, weil ihnen die Vermittlung von Tieren aus Tierheimen erschwert wird", sagt die junge Frau. Daran wollte sie etwas ändern.
Inspiriert von der amerikanischen Adoptionsplattform "Petfinder" haben Rivolta und Moll die App "Balu" ins Leben gerufen. Für die Entwicklung der Plattform holten sie sich den Softwareentwickler Dilshod Turobov (22) ins Boot. Seine Aufgabe war es, die App nutzerfreundlich zu gestalten.
Die App ist einfach erklärt: Auf der Plattform können sich deutsche Tierheime registrieren und ihre vermittelbaren Tiere vorstellen. Jedes Tier hat ein eigenes Profil mit Fotos und Angaben zu Rasse, Alter und Haltung. Außerdem gibt es eine Kilometerangabe, wie weit das Tierheim vom App-Nutzer entfernt ist, und die Möglichkeit, nach Kriterien zu filtern. Gefällt ein Tier, kann das Tierheim mit einem Klick kontaktiert werden. Die Mitarbeiter entscheiden dann, ob es ein Match ist – quasi wie Tinder, nur für Mensch und Tier.
Tierheime sträuben sich gegen Digitalisierung
Doch mit ihrer Idee stieß das Berliner Start-up nicht auf offene Türen. Bei den Tierheimen muss die 24-Jährige zum Teil harte Überzeugungsarbeit leisten. "Wir bieten einen kostenlosen Service an, den wir aus eigener Tasche finanziert haben. Am Anfang dachte ich: Wie kann es sein, dass die Tierheime nicht mit uns zusammenarbeiten wollen?", sagt Rivolta.
Die 24-Jährige ist überzeugt, dass die Bedeutung der Digitalisierung und die damit verbundene Möglichkeit, Tiere online zu vermarkten, von den Tierheimleitungen in Deutschland stark unterschätzt werde. Gerade die älteren Generationen seien leider nicht sehr offen für neue Ideen, so die Tierschützerin.
Wer allerdings sofort mit dem Berliner Start-up zusammenarbeiten wollte, war das Tierheim Berlin. Die Einrichtung mache ohnehin schon sehr gute Öffentlichkeitsarbeit und sei eigentlich nicht auf die Tiervermittlungs-App angewiesen, so die Berlinerin. Dennoch habe das Tierheim der Kooperation sofort zugestimmt. Daraufhin hätten sich auch andere Tierschutzvereine offener für eine Zusammenarbeit gezeigt.
Francesca Rivolta und ihre Partner arbeiten jedoch nur mit Tierheimen zusammen, die vom Deutschen Tierschutzbund zertifiziert sind. Das bedeutet, dass keine Tiere aus dem Ausland, wie zum Beispiel Rumänien, oder vom Schwarzmarkt in der App zur Adoption angeboten werden.
"Die Leute wissen gar nicht, wie überfüllt die deutschen Tierheime schon jetzt mit Tieren aus Deutschland sind. Sie arbeiten am Limit", gibt Rivolta einen Einblick in die Arbeit der Tierschützer. Sie selbst besucht regelmäßig Tierheime, um zu verstehen, wo die Not am größten ist, und um die App im Sinne der Heime weiterzuentwickeln.
"Nichts erfüllt mich mehr"
Francesca Rivolta hat das Projekt aus eigener Tasche finanziert und die App neben ihrem regulären Job entwickelt. Was treibt sie an? Sie ist ein junger Mensch, der die Corona-Pandemie miterlebt hat. In dieser Zeit habe sie viel über die Welt nachgedacht. Sie sei zu dem Entschluss gekommen, dass sie etwas tun möchte, das in der Welt einen Unterschied macht. "Nichts erfüllt mich mehr, als mich für Tierheime und Tiere einzusetzen", sagt Rivolta heute. Wenn sie sieht, dass ein Hund oder eine Katze ein neues Zuhause gefunden hat, macht sie das "unendlich glücklich".
Aber Rivolta wird auch mit vielen Leidensgeschichten konfrontiert. Die Tiere, denen sie in den Tierheimen begegnet, wurden zum Teil von ihren Besitzern misshandelt oder einfach am Straßenrand ausgesetzt. "Ich sehe die Traurigkeit und das Trauma in ihren Augen", sagt Rivolta.
Bald 2.500 Tiere auf "Balu"
Mit der "Balu"-App verfolgt Francesca Rivolta große Ziele. Die App soll zu einem großen Tiervermittler in Deutschland werden, der Tierheime und Nutzer zusammenbringt. Bald sollen die Nutzer der App auch individuelle Vorschläge erhalten, welches Tier am besten zu ihnen passt.
Derzeit sind 30 Tierheime bei "Balu" registriert. Interessierte können sich derzeit durch die Profile von rund 600 Hunden und 100 Katzen klicken. Weitere 180 Tierheime stehen bereits in den Startlöchern und werden demnächst in das App-Angebot mit aufgenommen. Dann werden laut Rivolta über 2.500 Tiere bei "Balu" registriert sein. Und was kann die App neben der Tiervermittlung noch? Über sie können Nutzer direkt Spenden schicken, die zu einhundert Prozent an das jeweilige Tierheim gehen.
- Gespräch mit Francesca Rivolta
- getbalu.com