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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Rolling-Stones-Kenner berichtet "Keith Richards nickt am Tisch manchmal einfach weg"
Kein Reporter in Berlin ist den Rolling Stones so nahe gekommen wie Ulli Zelle. Dem Konzert in der Waldbühne sieht er mit Wehmut entgegen.
Er ist als rasender Reporter überall dort, wo etwas los ist. Aber Ulli Zelle ist auch Musiker. Der 71-Jährige spielt Schlagzeug und er singt in einer Band, die sich Ulli und die Grauen Zellen nennt.
Seit Mitte der Achtzigerjahre ist Zelle für den Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) unterwegs. In dieser Zeit hat er, der Rolling-Stones-Fan der ersten Stunde, kein Konzert der Band in Berlin verpasst. Im Interview mit t-online erzählt Zelle, wie ihre Musik sein Leben geprägt hat, was man erfährt, wenn man Jagger & Co. im Backstage-Bereich trifft und warum Berlin im Leben der Stones eine besondere Rolle spielt.
t-online: Herr Zelle, es ist Ihr neuntes Rolling-Stones-Konzert am heutigen Mittwochabend. Kann es sein, dass Sie ein bisschen aufgeregt sind?
Ulli Zelle: Ja, ein kleines bisschen bin ich das schon, weil es ja wahrscheinlich die letzte Gelegenheit sein wird, die in dieser Konstellation noch mal alle zusammen zu sehen. Am Ende sind es ja nur noch Keith Richards und Mick Jagger, die zu den Urgesteinen gehören. Der Bassmann ist noch relativ neu und der Schlagzeuger ganz neu, nach Charlies Tod.
560 Euro kostet das teuerste Ticket für die Rolling Stones. Mit dem Geld muss ein Hartz-IV-Empfänger den ganzen Monat auskommen. Sind die Stones das wirklich wert?
Dafür, dass sie uns 50 bis 60 Jahre begleitet haben, schon. Aber ich verstehe auch diejenigen, die sagen, es ist mir einfach zu teuer.
Sie haben gut reden. Als Reporter kommen Sie umsonst rein. Oder würden Sie das Ticket auch aus eigener Tasche bezahlen?
Ja, ich bin diesmal nicht über Beziehungen oder den Sender reingekommen. Ich gehe privat hin. Ich konnte es mir Gott sei Dank leisten. Ich habe tatsächlich 300 Euro auf den Tisch gelegt.
Was bekommt man für den Preis eigentlich zurück: Das Gefühl, noch mal jung zu sein?
Nein, ich würde sagen, es ist das Gefühl, Teil einer Generation zu sein, das bis heute anhält. Ich bin deshalb so froh darüber, weil die Stones zu den wenigen gehören, die als Gruppe zusammengeblieben sind. Oft ist es ja so: Die Gruppe hat Erfolg und der hübsche Leadsänger sagt: "Auf Wiedersehen!"
Wie alt waren Sie, als Sie die Stones zum ersten Mal gesehen haben, und welche Erinnerungen verbinden Sie mit dem Konzert?
Beim ersten Konzert war ich ungefähr zwanzig, und die Aufregung war schon deshalb groß, weil ich dafür nach Berlin fahren musste. Ich komme aus einem Dorf in der Nähe von Hannover. Aber die Stones höre ich schon viel, viel länger.
1965 waren die Stones zum ersten Mal in Berlin, in der Waldbühne. Fans zertrümmerten das Stadion der Waldbühne. Haben Sie das mitbekommen?
Klar, ich habe die Kommentare noch in den Ohren. "Diese Verrückten". "Diese Halbstarken". Oder: "Diese Besessenen". Das war ja ein Skandal.
War Wut damals auch Ihr Lebensgefühl?
Nein, es war eher die Sehnsucht. Und kein Song hat dieses Gefühl so gut ausgedrückt wie der Stones-Song: "I’m free to do what I want." Deswegen habe ich nach einem Jahr meine Tischler-Lehre geschmissen. Es war mir zu blöd, mich von einem Meister herumkommandieren zu lassen, der ungerecht und unfreundlich war. Aber wissen Sie, was das schlimmste Erlebnis in meiner Tischlerlehre war?
Nein.
Mittags musste ich immer die "Bild"-Zeitung holen und am 3. Juli 1969 las ich auf der Titelseite, dass Brian Jones im Swimming-Pool ertrunken war. Das war der erste Gitarrist der Stones.
Was ging Ihnen durch den Kopf?
Ich war geschockt. Meine Güte, das war ein Held, ein Star. Zumal er diesen dicken blonden Pony hatte, den ich als Jugendlicher immer gerne gehabt hätte.
Was hat die Stones denn zu Idolen gemacht?
Im Nachhinein würde ich sagen: ihr Durchhaltevermögen. Sie sind immer ihren Weg geradeaus gegangen, trotz Problemen, Skandalen oder Ausfällen.
Die Musik war nur zweitrangig?
Sagen wir so: Sie hat sich auf jeden Fall nicht revolutioniert.
Damals galten die Stones noch als wild, verwegen, und rebellisch. Heute sind sie fast achtzig und Multimillionäre. Ist es nicht ein bisschen albern, wenn Großväter singen: "I can’t get no satisfaction"?
Das kann man albern nennen. Man kann es aber auch als Zitat aus der eigenen Biografie singen. Das Lied muss natürlich einfach auf der Setlist stehen, weil die Leute das hören wollen. Es ist eben ihre Hymne. Sie wählen ihre Setliste so aus, dass es nicht albern klingt. Es werden ja auch Songteile leicht verändert.
Zum Beispiel?
In dem Song "under my thumb" sangen sie früher: "the girl who once pushed me around”. Aus dem "girl" wurde irgendwann eine "woman".
Sie selber covern ja auch Stones-Songs, wenn Sie mit Ihrer eigenen Band auftreten. Ulli und die Grauen Zellen. Hat der Mick Jagger in Ihnen nicht langsam Rücken?
Nee, ich hampel da immer noch herum auf der Bühne, aber ich bin ja auch acht Jahre jünger.
Sie haben die Band schon mehrfach interviewt. Was sind das für Männer?
Das sind Männer, die ihr Business gut verstehen und genau wissen, wann sie freundlich sein und wann sie verschlossen sein müssen. Ich bin immer gut mit denen ausgekommen. Einmal hat Ron Wood zu mir gesagt: "Ich liebe Disch." Das wird er natürlich zu allen deutschen Reportern sagen, weil er das gelernt hat.
Haben Sie im Backstage-Bereich auch Dinge über die Stones erfahren, die noch nicht bekannt sind?
Also ich nicht. Aber mir haben Kollegen über Keith Richards erzählt: Obwohl der Multimillionär ist, nickt der am Tisch manchmal einfach weg. Mick Jagger würde das nicht passieren.
Warum nicht?
Der hat acht Kinder. Die wiederum haben wieder Kinder und Kindeskinder. Der sorgt schon dafür, dass die Kohle reinkommt. Er ist der Salesman der Stones.
Alle Stones sind für ihren exzessiven Drogenkonsum bekannt. Staunt es Sie, dass die überhaupt noch leben?
Mick Jagger wird seit 20, 30 Jahren keine Drogen mehr nehmen, Ron Wood auch nicht, und Charly Watts schon gar nicht. Der Einzige, der aus der Art schlägt, ist Keith Richards. Der kommt jeden Tag auf eine größere zweistellige Zahl, was Zigaretten angeht. Ron Wood hat aufgehört, zu rauchen. Er hatte Lungenkrebs.
Mick Jagger gilt ja als Liebling der Frauen. Würden Sie gerne mit ihm tauschen?
Manchmal schon, ja.
Wie gefällt den Stones Berlin?
Ich glaube, sie mögen die Stadt, weil sie ein kleines bisschen anders ist und weil sie sich immer noch an ihr erstes Konzert erinnern. Das war schon ungewöhnlich, dass eine ganze Bühne zerkloppt wurde.
Warum eigentlich?
Die Stones haben drei, vier Songs gespielt, dann waren sie weg. Da sind die Fans ausgerastet. Ich weiß nicht, warum die das Konzert abgebrochen haben. Aber was dann passiert ist, haben auch sie selbst bis heute nicht vergessen.
- Interview mit Ulli Zelle
- RBB: "Ulli Zelle und die Stones: Vorfreude und persönlicher Rückblick"