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Roland Jahn und der Mauerfall: Der Mann, den die Stasi nicht loswurde


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Roland Jahn und der Mauerfall
"Stasi-Chef Mielke war ein Meister der Angst"

Von M. Trotz, N. Lindken und J. Bebermeier

Aktualisiert am 09.11.2018Lesedauer: 6 Min.
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Mauerfall am 9. November: SED-Gegner, DDR-Aktivist und Stasi-Unterlagen-Chef Roland Jahn im Büro des Stasi-Chefs Erich Mielke, der ihn gewaltsam ausbürgern ließ. (Quelle: t-online)

Roland Jahn rebelliert schon als Schüler. Doch er will in der DDR bleiben. Stasi-Chef Erich Mielke lässt ihn mit Gewalt rauswerfen. Aber er kommt immer wieder zurück.

In der Nacht, in der die Mauer fällt, als Tausende aus dem Osten in den Westen strömen, jubeln und feiern, da läuft Roland Jahn vom Westen in den Osten, zurück in seine Heimat nach Jena. Er hat den Abend dieses 9. Novembers 1989 im Sender verbracht. Für "Freies Berlin" drehte er eine Sondersendung nach der anderen, seit Günter Schabowski um 18.58 Uhr seine berühmten Worte stotterte, "das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich". In der Nacht zieht Jahn los.

Die Deutsche Demokratische Republik hat den Bürger Roland Jahn verstoßen. Sie hat ihn gegängelt, ins Gefängnis gesteckt, und schließlich mit einem Knebel im Mund aus dem Land geworfen. Nur weil er widersprach, wenn er auf Unrecht stieß. Doch als die Mauer fällt, ist sein erster Wunsch: erst mal zurück. Wie passt das zusammen?

Herr über das Heiligtum

Vielleicht muss man mit Roland Jahn an den Ort gehen, an dem die Fäden zusammenliefen: in die Stasi-Zentrale, jenem Komplex mit 50 Gebäuden in Berlin-Lichtenberg, in dem 7.000 hauptamtliche Mitarbeiter daran arbeiteten, ein Klima der Angst zu erzeugen.

Jahn ist heute 65 Jahre alt. Der einstige Staatsfeind ist zum Herren über das Heiligtum des Staates geworden. Als Chef des Stasi-Unterlagenarchivs ist er verantwortlich für die 111 Kilometer Akten, die die Staatssicherheit über ihre Bürger angelegt hat. Mit den Informationen sollten sie unter Druck gesetzt werden, eingeschüchtert, um sie auf Linie zu bringen, auch Jahn selbst.

An der Spitze des Ministeriums für Staatssicherheit stand Erich Mielke. Der "Meister der Angst", wie Jahn ihn nennt. Heute steht Jahn im Büro Mielkes im zweiten Stock des Hauses 1. An den Wänden dunkles Holz, auf dem Boden helles Parkett in Fischgrätmuster. Die wenigen Teppiche sind rot, die Polster der vielen Stühle und Sessel hellblau. Und Jahn empfindet: keinen Hass, keine Wut – sondern nur einen Hauch Genugtuung, wie er sagt. "Es ist doch toll, dass es vorbei ist. Dass Mielke keine Macht mehr über die Menschen hat." Hass? Wut? "Dann wäre ich ja noch immer gefangen."

Zum Staatsfeind gemacht

Jahn rebellierte schon als Schüler gegen den Staat. Er neige dazu, in Opposition zu treten, schrieben ihm seine Lehrer in der achten Klasse ins Zeugnis. "Man wird ja nicht als Staatsfeind geboren, sondern zum Staatsfeind gemacht", sagt er heute. Gegen den Sozialismus hat er gar nichts. Er habe einfach selbstbestimmt leben wollen. Und machte sich so den Staat zum Feind.

Jahn wollte lange Haare tragen, wollte aussehen wie die Rolling Stones und Led Zeppelin. Aber lange Haare wurden nicht geduldet. Jahn wollte mit seinen Freunden auf Klassenabenden Musik aus dem Westen hören, am liebsten die ganze Zeit. Doch das durften sie nicht. Manchmal kam die Polizei und prügelte seine Freunde zusammen. Wer sich darüber beschwerte, kam erst mal ins Gefängnis. So erzählt es Jahn. "Wir wollten Party machen, und sie haben es nicht zugelassen."

Jahn begann Wirtschaft in Jena zu studieren. Doch weil er gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann protestierte, wurde er schon nach zwei Jahren rausgeworfen. Er arbeitete künftig als Transportarbeiter bei Carl-Zeiss-Jena – und rebellierte weiter. Mit einem leeren Plakat demonstrierte er gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit. Am 1. Mai, dem wohl wichtigsten Feiertag der DDR, maskierte er sich mit einem Hitler-Bärtchen auf der einen und einem Stalin-Schnauzer auf der anderen Seite des Gesichts.

Haft wegen eines Papierfähnchens

Irgendwann kam ein guter Freund von Jahn in Untersuchungshaft und starb dort. Jahn schaltete eine Traueranzeige in einer Zeitung, kaufte Dutzende Exemplare und verteilte die Anzeige in der ganzen Stadt. 1982 wurde er selbst verhaftet, wegen eines kleinen weiß-roten Papierfähnchens an seinem Fahrrad mit der Aufschrift: "Solidarnosc z polskim narodem" – Solidarität mit dem polnischen Volk. Er saß sechs Monate, unterschrieb in Haft einen Ausreiseantrag – und widerrief ihn, sobald er wieder frei war.

Ein Jahr später wurde es der DDR zu viel. Jahn musste ins Wohnungsamt kommen, wo man ihn darüber informierte, dass er nicht länger in der DDR wohnen würde. Er wurde zwangsausgebürgert, mit Knebelketten gewaltsam in den Westen gebracht. Unterzeichnet hatte das Stasi-Dokument mit der Anweisung: Erich Mielke.

"Man hat uns unseren Sohn gestohlen", habe seine Mutter damals gesagt. "Und das ist hier an diesem Ort beschlossen und angeordnet worden", sagt Jahn heute im Büro Mielkes, vor dem klobigen Schreibtisch des Stasi-Chefs. Wütend ist Jahn nicht auf ihn, aber er besteht darauf, dass die Stasi kein anonymer Apparat war. "Es sind konkrete Menschen, die individuelle Verantwortung für ihr Handeln haben." Das fange bei Erich Honecker und dem Politbüro an und setze sich über Mielke als Stasi-Minister und jeden Offizier bis hin zu den inoffiziellen Mitarbeitern fort.

Als Jahn 2011 Chef des Stasi-Unterlagenarchivs wurde, hat er dann auch alle Mitarbeiter versetzen lassen, die in der DDR für die Stasi gearbeitet hatten. So viel individuelle Verantwortung muss sein. "Das Lügen darf nicht belohnt werden", sagte Jahn damals in seiner Antrittsrede. Aber es waren eben nicht alle Menschen Stasi-Spitzel.

Der Osten ließ ihn nicht los

Jahn begann im Westen, als Journalist zu arbeiten. Sein Wissen über die DDR und die Opposition war gefragt. Der Osten ließ ihn nicht los. "Die Freiheit des Westens ist nur eine halbe Freiheit, solange diese Mauer steht", das sei für ihn damals eine wichtige Erkenntnis gewesen, sagt Jahn heute. Den Pass der Bundesrepublik wollte er erst nicht haben. Er traf sich mit anderen Exil-Oppositionellen und schmuggelte Druckmaschinen und Kameras in den Osten. Einmal schmuggelte er sich sogar selbst zurück nach Jena. Doch im Westen konnte er mehr ausrichten.

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Die Stasi bespitzelte ihn auch dort. Das ist heute noch in den Akten über ihn nachzulesen. Roland Jahn hat inzwischen das Büro Erich Mielkes verlassen und ist an dem Ort angekommen, an dem die Akten lagern, im "Herz und Hirn" der Stasi, dem Magazin. Wüsste man nicht, dass hier Menschenrechtsverletzungen zwischen rötlich-gelben Aktendeckel in den Regalen lagern, man könnte das Magazin nicht von denen anderer großer Archive unterscheiden.

Anfang 1990 war Jahn mit einem Filmteam der erste, der hierher vordrang und die Regale in langen Kamerafahrten filmte. Und er war der erste Bürger überhaupt, der sich seine eigene Akte anschaute, während eines Drehs, wie er erzählt. Er fand darin vermeintliche Freunde, die ihn bespitzelt hatten. Er entdeckte Skizzen seiner Wohnung in West-Berlin. Und Skizzen des Schulwegs seiner achtjährigen Tochter. "Das ging unter die Haut."

Das Gift der Stasi

Jahn kann deshalb alle verstehen, die in ihre Akte bis heute nicht hineinsehen wollen. Doch er findet es wichtig, dass sie es könnten. Das war umstritten. Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble waren dagegen, die Akten zugänglich zu machen. Menschenrechtswidrig gesammelte Informationen dürften nicht weiterverwendet werden, so lautete ein Argument. Ein anderes: Die Vergangenheit solle die Zukunft nicht belasten. Lieber vergessen als aufarbeiten. Jahn sieht das bis heute genau umgekehrt: "Das Gift der Stasi darf nicht weiterwirken", sagt er. Also müssen die Geheiminformationen zugänglich werden.

Das sind sie nun seit 26 Jahren. Was kann man heute aus ihnen lernen? "Menschenrechte können nicht durch Menschenrechtsverletzungen geschützt werden", sagt Jahn. Wenn man etwa den Terrorismus bekämpfe, müsse man sich fragen: Wie viele Freiheiten darf man einschränken, um die Sicherheit zu gewährleisten?


Und aus Jahns eigener Geschichte? Der Geschichte eines Mannes, den die Stasi nicht loswurde, den sie als Staatsfeind aus dem Land warf, und der noch in der Nacht des Mauerfalls zurückkam? Vielleicht etwas, das manchmal zu vergessen droht: Die DDR war nicht nur Stasi, sondern auch Heimat. Er habe dort ein schönes Leben gehabt, sagt Jahn heute. Die Wanderungen in den Wäldern um Jena herum, die Musikabende mit Freunden. "Ich mochte nicht diesen Staat, ich mochte die Menschen."

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Roland Jahn in der Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg
  • bstu.de: "Der Bundesbeauftragte Roland Jahn"
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