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Ukraine-Krieg | Militärexperte Carlo Masala: "Putins Plan geht auf"


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Militärexperte über Europa
"Putins Plan geht auf"

InterviewVon Malte Bollmeier

20.05.2024Lesedauer: 4 Min.
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Ein neu rekrutierter Soldat der 3. Sturmbrigade der ukrainischen Streitkräfte trainiert (Symbolbild): "Die Ukrainer werden nicht aufhören zu kämpfen und die Russen werden das Feuer erwidern", sagt Militärexperte Carlo Masala. (Quelle: Efrem Lukatsky/dpa)
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Die Ukraine gerät im Krieg immer mehr in Bedrängnis, Russland rückt auf Charkiw vor. Militärexperte Carlo Masala erklärt im Interview, was das für Europa und Deutschland bedeutet.

Seit Freitag haben russische Soldaten in der ukrainischen Region Charkiw entlang der Grenze mehrere Dörfer erobert. Der Kommandeur einer ukrainischen Aufklärungseinheit spricht von "Verrat", denn die Russen seien auf nur wenig Widerstand gestoßen.

Der Sicherheitsexperte Carlo Masala ist sich sicher, dass jetzt eine Strategie greift, die der russische Präsident Wladimir Putin von langer Hand geplant hat. Was das für Deutschland und Europa bedeutet, erklärte er im Interview mit t-online am Rande des Eurojam, einer Veranstaltung zur Europawahl.

t-online: Herr Masala, die Ukraine gerät im Krieg gegen Russland ins Hintertreffen. Das liegt auch daran, dass die Verbündeten Kiews in ihrer Sicherheitspolitik uneinig sind. Wie ließe sich das ändern?

Carlo Masala: Indem sich die Verbündeten der Ukraine auf eine gemeinsame Strategie verständigen würden. Vor allem die Europäer haben bei zwei Fragen ganz unterschiedliche Meinungen. Erstens: Wie gefährlich wird es für Europa, wenn Russland diesen Krieg gewinnt? Und zweitens: Was soll das Ziel in der Ukraine sein? Ich fasse es mal sehr plakativ zusammen: Bundeskanzler Olaf Scholz sagt, die Ukraine darf nicht verlieren. Der polnische Premierminister Donald Tusk sagt: Russland muss verlieren. Das sind zwei unterschiedliche Sachen.

Carlo Masala, Politikwissenschaftler (Archivbild): Europa brauche ihm zufolge nicht noch mehr Institutionen, sondern Pragmatismus und Soldaten.
(Quelle: M. Popow/imago-images-bilder)

Zur Person

Carlo Masala, Jahrgang 1968, lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München und ist zugleich Direktor des Metis Instituts für Strategie und Vorausschau. Der Politikwissenschaftler diskutiert regelmäßig im Podcast "Sicherheitshalber" über Sicherheitspolitik. Im Oktober 2023 ist Masalas Buch "Bedingt abwehrbereit. Deutschlands Schwäche in der Zeitenwende" erschienen.

Inwiefern?

Wenn die Ukraine nicht verlieren darf, heißt das, sie muss als Staat bestehen bleiben, wenn auch vielleicht in einer verkleinerten Form. Wenn Tusk sagt, Russland muss verlieren, heißt das, die Ukraine in ihren Grenzen von 1991 wiederherzustellen, also auch mit der Halbinsel Krim. Solange die Europäer bei diesem Punkt uneinig sind, wird auch die Strategie fehlen.

In den Regionen Charkiw und Donezk steht die Ukraine zurzeit massiv unter Druck. Es scheint so, als würde die Ukraine nicht einmal das Ziel erreichen, nicht zu verlieren.

Richtig. Momentan geht Putins Plan auf, auf den er meines Erachtens schon seit Winter 2022 setzt: Dass die europäischen Gesellschaften irgendwann erschöpft sind. An genau diesem Punkt sind wir jetzt.

Jetzt schon?

Es war ja monatelang nicht einmal klar, ob die US-Amerikaner sich zu ihren jüngsten Milliarden-Hilfen durchringen würden, bis das Repräsentantenhaus sie am 20. April dann doch beschlossen hat. In diesen Monaten hat es Europa nicht geschafft, die fehlende Luftverteidigung für die Ukraine zu organisieren und geeint die tschechische Munitionshilfe finanziell zu unterstützen. Weder ist das Geld da, um 800.000 Schuss Artilleriemunition zu kaufen, noch hat sich außer der Bundesrepublik ein Staat bereitgefunden, Flugabwehrraketen-Systeme vom Typ Patriot zu schicken. Das zeigt, wie zimperlich die europäischen Regierungen jetzt sind, noch mehr in die Ukraine reinzustecken.

Wenn nun auch noch Donald Trump als US-Präsident wiedergewählt wird und er die Ukraine nicht mehr unterstützt: Was sollten die Europäer dann tun?

Europa muss in dem Fall in die Bresche springen und die Lücke, die Trump aufmacht, mit Geld und Waffen füllen. Ob die Europäer das dann tatsächlich tun, ist eine andere Frage. Sie könnten ohnehin nicht in jeder Hinsicht helfen: Ihnen fehlen bestimmte Waffensysteme, welche die Ukraine benötigt und die USA in Hülle und Fülle haben, wie den Himars-Mehrfach-Raketenwerfer.

Braucht Europa eine eigene Armee?

Nein, wir brauchen eine bessere Kooperation der europäischen Armeen. Falls Donald Trump den Europäern keine Sicherheit mehr garantiert, brauchen wir höhere Verteidigungsausgaben. Dann reden wir nicht mehr über zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, sondern über drei oder vier.

Das könnte zu Verteilungsstreitigkeiten führen.

Absolut.

Was müssen die Europäer konkret verbessern?

Die Europäer haben ihre Verteidigungspolitik immer darüber definiert, neue Strukturen zu schaffen, wie zuletzt Pesco, eine Plattform, mit der die EU gemeinsame Militärprojekte organisiert. Dabei haben sie vergessen, dass sie auch Soldaten brauchen, die sie in Bewegung setzen können. Die hat Europa aber nicht. Die europäischen Armeen müssten sich auf Standards einigen, gemeinsame Ausbildung und Manöver machen und auf allen Ebenen kooperieren. Also: das ganze Portfolio.

Es braucht also keine große politische Entscheidung, sondern eine pragmatische Lösung.

Daran führt kein Weg vorbei. Die großen politischen Entscheidungen zur Verteidigungspolitik treffen wir ja seit 1999 gemeinsam. Ist Europa dadurch ein starker verteidigungspolitischer Akteur geworden? Nein. 1999 haben wir beschlossen, eine 60.000 Mann starke Eingreiftruppe aufzubauen. Heute haben wir gerade mal zwei Battle Groups von 1.500 Mann Stärke.

Video | Putin präsentiert Atomrakete
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Quelle: t-online

Falls sich die ohnehin prekäre Sicherheitslage Europas weiter zuspitzt und die Ukraine den Krieg verliert: Was sollten die Europäer dann tun?

Wir müssten die Ukraine in die Nato aufnehmen und Nato-Truppen in der Ukraine stationieren. Ansonsten bleibt sie ein ewiger Konfliktherd. Die Ukrainer werden nicht aufhören zu kämpfen und die Russen werden das Feuer erwidern. Die Kämpfe wären dann zwar niederschwelliger als heute, der Konflikt würde aber endlos weitergehen.

Also wie vor dem Beginn der Vollinvasion im Februar 2022?

Es wäre noch viel schlimmer. Vorher war der Konflikt nur in der Ostukraine, jetzt würde er entlang einer 1.300 Kilometer langen Front stattfinden.

Sie fordern immer wieder eine Aufrüstung. Was sagen Sie den Leuten, die Ihnen vorwerfen, Sie seien ein Kriegstreiber?

Ich fordere keine Aufrüstung, sondern die vollständige Ausrüstung europäischer Streitkräfte. Die wahren Kriegstreiber sind diejenigen, die den Ukraine-Krieg einfrieren wollen und damit Russland den Krieg gewinnen lassen würden. Das würde den russischen Imperialismus stärken, der uns in den nächsten Jahren weiter bedrohen würde.

Ein Einfrieren des Konflikts würde also Russland dazu ermutigen, weitere Staaten anzugreifen?

Russland will mehr als nur die Ukraine. Es delegitimiert die baltischen Staaten, es versucht, Georgien zu beeinflussen, und es bedroht Moldawien. Wenn Russland in der Ukraine gewinnt, wird es nach all diesen Ländern greifen.

Herr Masala, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Carlo Masala auf dem Eurojam
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