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Macrons Bodentruppen-Vorstoß polarisiert: Das sagt Militärexperte Gressel


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Krieg in der Ukraine
"Das ist sehr teuer für Putin"

InterviewVon Patrick Diekmann

Aktualisiert am 29.02.2024Lesedauer: 8 Min.
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Russisches Kampfflugzeug Su-35: Die Ukraine konnte bereits zahlreiche Maschinen abschießen. (Quelle: IMAGO/U.S. AIR FORCE)
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Die russische Armee rückt an mehreren Fronten vor und die Ukraine gerät zunehmend in Bedrängnis. In Deutschland wird derweil über Bodentruppen und Taurus debattiert. Das kritisiert der Militärexperte Gustav Gressel scharf.

Wladimir Putin hat seine Kriegsziele nach der Invasion der Ukraine vor zwei Jahren fest im Blick. Die russische Armee rückt an mehreren Stellen an den Fronten vor – zwar langsam, aber stetig. Die ukrainischen Verteidiger können einige Linien nicht halten, auch weil ihnen zunehmend die Munition ausgeht. Die Lage für die Ukraine scheint in diesem Winter kritisch zu sein und auch deshalb gibt es unter den Nato-Unterstützern des angegriffenen Landes zunehmend Streit über die Maßnahmen, die nun ergriffen werden sollen.

Die Bundesregierung baute ihre militärische Unterstützung für die Ukraine in den vergangenen Monaten aus und fordert nun auch weitere Schritte von anderen Partnern wie Frankreich. In Paris sieht man Druck aus Deutschland nicht gerne. Die Nerven liegen ein Stück weit blank.

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Während der französische Präsident Emmanuel Macron überraschend Nato-Bodentruppen in Gespräch bringt, schließt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern derzeit aus. Mit einer Begründung, die zumindest Militärexperten wie Gustav Gressel nicht nachvollziehen können, wie er im Interview mit t-online erklärt.

t-online: Herr Gressel, die russische Armee ist in der Ukraine in der Offensive. Wie dramatisch ist die Lage für die Verteidiger?

Gustav Gressel: Die Ukraine ist unter Dauerfeuer. Russland versucht, die aktuelle Schwächephase der Ukraine auszunutzen. Dabei stößt die russische Armee vor allem im Südosten vor, da dort ihre Logistikrouten am besten sind. Außerdem sind Straßen- und Schienennetze im Donbass gut ausgebaut. Das wird jetzt wichtiger, weil es wärmer wird und Radfahrzeuge abseits von Straßen im Schlamm versinken.

Halten die ukrainischen Verteidigungslinien?

Die Ukrainer haben das Problem, dass sie im Raum Awdijiwka erst spät damit angefangen haben, eine gute zweite Verteidigungslinie auszubauen. Das macht sich derzeit bemerkbar und dadurch werden die russischen Geländegewinne größer.

Warum braucht die ukrainische Armee dort so lange für die Stärkung ihrer Verteidigungslinien?

Sie haben weniger Pioniere als die Russen, die darauf spezialisiert sind. Die Stellungen werden meistens durch die dort eingesetzten Truppen direkt ausgehoben. Das macht das eher zu einer mühseligen Arbeit und es geht langsamer voran als auf der russischen Seite. Deswegen sind die Verteidigungsstellungen nicht so ausgebaut, wie sie eigentlich sein sollten. Deshalb fürchte ich, dass die Russen in den nächsten Tagen und Wochen noch weitere Geländegewinne machen werden.

Zur Person

Gustav Gressel ist als Senior Policy Fellow bei der politischen Denkfabrik "European Council on Foreign Relations" (ECFR) tätig. Er beschäftigt sich in seiner Forschung schwerpunktmäßig mit den militärischen Strukturen in Osteuropa und insbesondere mit den russischen Streitkräften.

Fürchten Sie jetzt einen russischen Durchbruch?

Aktuell sieht es nicht so aus. Die Russen sind derzeit mit kleineren Infanterieangriffen mit gepanzerten Gefechtsfahrzeugen zur Unterstützung erfolgreich. Es sind also kleine und schnelle Angriffe.

Mit Blick auf die Ausrüstung in dem Abnutzungskrieg: Wo gibt es auf der ukrainischen Seite den größten Mangel?

Artilleriemunition, allgemein Munition, auch für die Flugabwehr.

Trotzdem gelang es der Ukraine immer wieder, auch russische Flugzeuge abzuschießen.

Ein Grund für diese Abschüsse ist, dass die russische Luftwaffe in den vergangenen Monaten in dem Krieg immer aktiver geworden ist. Doch die ukrainische Luftverteidigung leidet unter Munitionsmangel, denn auch für die älteren sowjetischen Systeme gibt es mittlerweile keine Munition mehr. Deswegen muss sich die ukrainische Flugabwehr auf Städte konzentrieren und größere Landesteile nicht gegen die russische Luftwaffe verteidigen kann.

Wie verteidigt sich die Ukraine gegen diese Angriffe aus der Luft?

Sie stellen Putins Luftwaffe geschickte Hinterhalte, indem sie gelegentlich ein Flugabwehrsystem aus urbanen Zonen herauslösen und nahe der Front stationieren. Wenn ein russisches Flugzeug abgeschossen wird, ziehen die Ukrainer das System schnell wieder ab, um Russland keinen Gegenschlag zu ermöglichen. Diese Taktik der Ukrainer funktioniert ganz gut, auch wenn die Abschüsse nur sporadisch sind.

Wie wirkt sich das auf den Krieg aus?

Die Ukrainer haben die Hoffnung, dass die Abschüsse Russland verunsichern, sodass sie vorsichtiger werden und ihre Kampfflugzeuge zurückhalten. Das gelingt teilweise. Zum Beispiel im Süden haben die russischen Luftoperationen wieder stark abgenommen.

Video | Zwei Jahre Krieg in der Ukraine: So enorm sind die Verluste
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Quelle: t-online

Russland verlor zuletzt mehrere Kampfflugzeuge der Typen Su-35 und Su-34 sowie ein Aufklärungsflugzeug vom Typ A-50. Wie teuer sind diese Abschüsse für Putin?

Das ist sehr teuer für Putin. Die Flugzeuge kosten viel Geld und sind teilweise nicht mehr in der Produktion. Russland hat seine Luftwaffe in dem Krieg lange geschont, weil man bei einigen Flugzeugtypen nicht so viele strategische Reserven hat wie etwa bei Kampf- oder Schützenpanzern. Bei Panzern konnte Russland in ein Depot greifen und älteres Gerät wieder fit machen. Das geht bei den Flugzeugen nicht.

Andererseits konnte die russische Armee nach monatelangen Kämpfen Awdijiwka einnehmen. Welchen strategischen Wert hat die Stadt?

Für Putin ist es ein Propagandaerfolg, der aber für den weiteren Kriegsverlauf keine große Rolle spielt. Aber die Ukraine hätte von Awdijiwka eine weitere Gegenoffensive in Richtung Osten unternehmen können. Aber für größere Offensiven hat die ukrainische Armee ohnehin momentan weder die Kräfte noch die Feuerüberlegenheit.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte vor Kurzem erklärt, dass es weitere Pläne für Gegenoffensive gebe. Ist das realistisch?

Nicht im Jahr 2024. Um Territorien befreien zu können, muss die Ukraine zunächst einmal wieder in die Offensive kommen. Für die ukrainische Armee wird es aber zunächst schwierig genug werden, sich überhaupt verteidigen zu können. Ob das funktioniert, ist ungewiss. Besonders wenn die Unterstützung aus den USA wegfallen sollte, wird es eng für die Ukraine.

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Wir sprechen momentan in dem Abnutzungskrieg viel über den Mangel bei der ukrainischen Armee. Wie sieht es auf der russischen Armee aus?

Die russische Armee ist derzeit gut aufgestellt. Sie bekommt ausreichend Personal und Russland hat die Produktion von Marschflugkörpern stark ausgeweitet. Auch im Bereich der Munition erhält Putin Nachschub aus dem Iran und Nordkorea. Momentan erlebt Russland eine einfache Phase, auch weil es älteres Gerät aus den Depots modernisiert hat. Aber das wird im Verlauf des weiteren Krieges schwieriger, weil sie dann wieder auf die Panzer und Artilleriesysteme zurückgreifen müssen, die sie neu produzieren. Momentan sind Putins Truppen aber in vollem Saft.

Angesichts der aktuellen Lage hat der französische Präsident Emmanuel Macron am Montag Bodentruppen von Nato-Ländern in der Ukraine nicht ausgeschlossen. War dieser Vorstoß sinnvoll?

Es hat mich überrascht. Macron hat aber nicht gesagt, dass er Nato-Bodentruppen in der Ukraine möchte. Gut vorstellbar, dass Macron die russische Führung nicht in Sicherheit wiegen möchte, indem er rote Linien zieht. Ich würde das nicht einen Vorstoß von Macron nennen, seine Aussagen werden etwas aus dem Kontext gerissen.

Aber in Deutschland stoßen Macrons Aussagen auf heftige Kritik, auch aus der Bundesregierung.

Olaf Scholz und die SPD arbeiten sich an solchen Aussagen ab, weil sie sich schon eine Wahlkampfstrategie für 2025 zurechtgelegt haben. Der Bundeskanzler möchte sich als weiser Staatenlenker inszenieren, der Deutschland nicht zur Konfliktpartei macht. Seine Gegner – etwa der CDU-Chef Friedrich Merz – würden das Land in Gefahr bringen. Deswegen nehmen sie die Äußerungen von Macron auf und stellen sie in ein falsches Licht.

Warum das?

Um möglichst staatstragend zu wirken. Das fällt in Deutschland auf fruchtbaren Boden.

Scholz könnte allerdings auch wirklich besorgt über eine Ausweitung des Krieges sein.

Es geht momentan aber nicht darum, Nato-Truppen in die Ukraine zu schicken. Das ist Blödsinn und wir sollten nicht der Wahlkampfrhetorik der SPD auf den Leim gehen und Macron Dinge in den Mund legen, die er nicht gesagt hat.

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Macron hat aber wirklich über Bodentruppen in der Ukraine gesprochen und die Kritik daran war nicht nur in Deutschland groß. Sehen Sie den Fehler nicht auch beim französischen Präsidenten?

Er hat nicht dafür geworben und lediglich gesagt, dass man nichts ausschließen sollte. Auch die Ukraine verlangt keine Nato-Bodentruppen und weiß auch, dass das unrealistisch ist. Das stand nie zur Debatte. Bei der Unterstützerkonferenz in Paris ging es um Artilleriemunition für die Ukraine und darum, sich vor russischen Drohnen besser verteidigen zu können. All das wurde diskutiert und Macron hat seine Äußerung als Antwort auf eine Frage in der Pressekonferenz gegeben. Das wurde dann zum Selbstläufer in der Presse, aber wir sollten die Kirche im Dorf lassen.

Sehen Sie nach der Konferenz bessere Chancen für die Ukraine, an mehr Marschflugkörper zu kommen?

Die Franzosen liefern "Scalp", die Briten "Storm Shadow". Aber natürlich sind ihre Arsenale auch begrenzt und ich wüsste nicht, wer in Europa noch über weitere Marschflugkörper verfügt.

Also gibt es keine Alternative zu einer Lieferung von Taurus, die der Kanzler ausschließt?

Eigentlich nicht.

Der Kanzler fürchtet, dass Deutschland aktiv am Ukraine-Krieg teilnehmen müsste, damit die ukrainische Armee Taurus benutzen kann. Ist diese Angst berechtigt?

Nein, das ist ein Ammenmärchen und völliger Unsinn. Es bräuchte zum Einsatz von Taurus keine Bundeswehrsoldaten. Die Geräte müssen von der Ukraine vor ihrem Einsatz programmiert werden und es bräuchte dafür deutsche Zieldaten. Die Hersteller von Taurus müssten dafür sorgen, dass der Marschflugkörper mit den Kampfflugzeugen kompatibel ist, die die Ukraine verwendet. Ukrainische Hersteller würden dann für Taurus Bedienelemente zur Verfügung stellen, damit Programmierungen vorgenommen werden können. Dafür braucht es die Bundeswehr nicht, sondern die Hersteller und politischen Willen.

Aber es bräuchte deutsche Daten? Das müssen Sie erklären.

Deutsche Zieldaten, aber nicht deutsche Soldaten. Es gibt zum Beispiel seit dem März 2022 ein Protokoll, das die Weitergabe von Daten der Satellitenaufklärung und der elektronischen Aufklärung zwischen Großbritannien, Frankreich, den USA und der Ukraine regelt. Deutschland hat ein ähnliches Protokoll zum Austausch klassifizierter Daten mit der Ukraine. Da geht es also um nachrichtendienstlichen Datenaustausch über russische Truppenbewegungen und ein ähnliches Format wären auch die Zieldaten für die Programmierung von Taurus. Es gibt keinen geheimen Stützpunkt in der Ukraine, wo Franzosen und Briten herumsitzen und ihre Marschflugkörper programmieren. Das macht die ukrainische Armee selbst.

Also würde Deutschland durch Taurus-Lieferungen nicht zur Kriegspartei werden?

Nein. Deutschland kann sich aus verschiedenen Gründen gegen Taurus-Lieferungen entscheiden, aber die Bundesregierung sollte diese Debatte auf dem Boden der Tatsachen führen. Wenn sich Scholz nur als der Besonnene präsentieren möchte, macht das den politischen Diskurs kaputt. Was der Kanzler veranstaltet, ist Desinformation. Mir wäre es lieber, wenn sich Deutschland auf Basis von Fakten gegen Taurus entscheidet und nicht mit Blick auf Wahlkampf und Umfragewerte. Mittlerweile wird Scholz von Björn Höcke gelobt. Wenn ich Lob aus dieser Ecke bekomme, würde ich meinen Kurs überdenken.

Sie meinten, es würde einige Gründe geben, die gegen die Lieferung von Taurus sprechen. Welche sind das?

Frankreich und Großbritannien können ihre Marschflugkörper liefern, während sie schon an Nachfolgesystemen arbeiten. In Deutschland dagegen wird der Nachfolger von Taurus erst in Jahrzehnten kommen. Die Bundesregierung könnte nun Deutschlands besten Flugkörper mit größerer Reichweite nicht in die Ukraine schicken, damit Russland nicht herausfinden kann, wie man ihn abschießen kann. Die Briten haben das Problem nicht, weil sie in ein paar Jahren eine neue Rakete mit verbesserten Eigenschaften haben werden. Das ist der Unterschied. Zwar könnte man die Absage an Taurus-Lieferungen trotzdem kritisieren, aber es wäre eine Begründung, die auf Fakten basiert.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Gressel.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Gustav Gressel
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