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Ukraine: Energieversorgung im Winter bedroht? Interview mit Vizeminister


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Ukrainischer Vizeminister
"Die Bilder sehen aus wie aus einem Horrorfilm"


Aktualisiert am 28.10.2023Lesedauer: 6 Min.
Ukrainische Soldaten in einem Schlauchboot auf dem Fluss Dnipro: Die Kämpfen im Osten des Landes nehmen zu.Vergrößern des Bildes
Ukrainische Soldaten in einem Schlauchboot auf dem Fluss Dnipro: Die Kämpfe im Osten des Landes nehmen zu. (Quelle: Alex Babenko/ap)

Der Winter naht und mit ihm russische Angriffe auf Kraftwerke, Stromleitungen und Heizsysteme der Ukraine. Der stellvertretende Energieminister des Landes erklärt, wie die Lage vor Ort ist.

Auch in der Ukraine währte der Sommer gefühlt länger als üblich, in den kommenden Wochen aber dürften die Temperaturen spürbar fallen. Dem Land, das sich seit nunmehr anderthalb Jahren dem russischen Überfall widersetzt, steht damit die kritische Jahreszeit ins Haus. Denn gerade im Winter greift Russland immer wieder gezielt die Energieinfrastruktur an. Das Ziel Moskaus: dunkle Städte und eine vor Kälte zitternde Bevölkerung.

t-online hat darüber mit dem stellvertretenden ukrainischen Energieminister gesprochen. Im Interview erklärt Yaroslav Demchenkov, warum die Ukraine auch in diesem Winter vor Herausforderungen steht und wie der Westen das Land jetzt gezielt unterstützen kann.

t-online: Herr Demchenkov, nach dem Angriff der Terrororganisation Hamas blickt die Welt vor allem auf Israel. Haben Sie das Gefühl, dass der Krieg in der Ukraine in Vergessenheit gerät?

Yaroslav Demchenkov: Nein, wir zweifeln nicht an der Unterstützung durch Deutschland. Bundeskanzler Olaf Scholz hat kurz nach dem brutalen Einmarsch der Russen die "Zeitenwende" ausgerufen, und das spüren wir heute noch. Wir verstehen, dass Israel von Terroristen angegriffen wurde, und wir selbst stehen an der Seite Israels. Das ändert aber nichts daran, dass die Ukraine und ihre Anliegen weiter sehr präsent sind. Anfang dieser Woche besuchte eine große Delegation ukrainischer Politiker, Nichtregierungsorganisationen und Kommunalpolitiker Berlin, und wir hatten sehr produktive Gespräche.

Die Kämpfe um Awdijiwka und entlang des Flusses Dnipro nehmen derzeit zu. Was können Sie zu der aktuellen Situation sagen?

Diese Frage liegt mir sehr am Herzen, denn ich komme aus Donezk, das nicht weit von Awdijiwka entfernt ist. Die Bilder, die mich von der Front erreichen, sehen aus wie aus einem Horrorfilm. Es ist für mich immer noch schwer zu begreifen, dass meine Freunde und Kollegen in diesem Krieg kämpfen und einige von ihnen dabei gestorben sind. Unsere Armee kämpft erbittert um jeden Meter ukrainischen Territoriums.

Wie lange kann die Ukraine den Kampf gegen Russland aufrechterhalten?

So lange, wie es braucht, um einen eindeutigen Sieg zu erringen. Bei meinem Besuch in Deutschland wurde mir in einem Gespräch gesagt, dass die Ukraine den Krieg beenden sollte. Aber wir haben diesen Krieg nicht begonnen. Das liegt in den Händen Russlands. Aber wir tun alles, um zu gewinnen und die territoriale Integrität unseres Vaterlandes wiederherzustellen. Wir Ukrainer sind sehr widerstandsfähig.

Der Winter naht, die Temperaturen fallen. Wie sehr sorgt es Sie, dass Russland abermals die Widerstandsfähigkeit der Ukrainer durch gezielte Angriffe auf kritische Infrastrukturen auf die Probe stellen wird?

Russland setzt Energie als Waffe ein. Dadurch ist die kritische Infrastruktur Teil der Kriegsfront geworden. Das Ziel ist klar: Russland will den Willen des ukrainischen Volkes brechen. Aber das wird nicht passieren, denn unsere Zivilbevölkerung ist geeint. Dieser Krieg hat die Ukrainer trotz aller Widrigkeiten geeint, was sich in einer sehr aktiven Freiwilligenbewegung zeigt, die den Streitkräften hilft, ebenso wie den Menschen, die aus ihren Häusern in sicherere Regionen des Landes vertrieben wurden.

Wie anfällig ist das ukrainische Energiesystem?

Ich erinnere mich noch sehr gut an den letzten Winter. Damals setzte Russland Hunderte von Raketen und billige Drohnen gegen das ukrainische Energiesystem ein. Einer dieser groß angelegten Angriffe führte zu einem Stromausfall, der über zwei Tage andauerte. Dies hatte schwerwiegende Auswirkungen auf unser Stromsystem und seine Widerstandsfähigkeit, und wir mussten für mehrere Monate Stromausfälle im ganzen Land einführen. Viele Ukrainer brachten daraufhin ihre privaten Stromgeneratoren in die Krankenhäuser, um den Betrieb der medizinischen Geräte zu ermöglichen.

Wie ist die Lage in diesem Jahr?

Nun liegen uns Informationen vor, dass Russland erneut versuchen wird, unsere Stromnetze und Kraftwerke anzugreifen. Dieser Winter wird nicht einfach werden. Es ist sehr schwierig, ein riesiges Energiesystem im ganzen Land zu schützen – das kann nur durch eine bessere und effektivere Luftabwehr geschehen. Wir haben unsererseits alles Mögliche, manchmal sogar Unmögliche, getan, um unser Energiesystem zu stärken. Letztendlich werden uns aber erst der nächste Winter und neue mögliche Angriffe zeigen, wie wenig verwundbar unser System in diesem Winter ist.

Zuletzt haben Sie auf X (ehemals Twitter) geschrieben, dass die Nachfrage der Verbraucher nach Strom gedeckt werden kann. Wie kann man das in Kriegszeiten sicherstellen?

Das war nicht einfach. Russland hat das Kernkraftwerk Saporischschja erobert, das 40 Prozent unserer Kernenergie lieferte. Infolgedessen sind wir in diesem Jahr auf Energieimporte angewiesen. Gleichzeitig haben wir im Sommer eine der größten Reparaturkampagnen durchgeführt, weil Russland im vergangenen Jahr auch einige Übertragungsstationen beschossen hat. Jetzt sind unsere Kraftwerke sowie das Übertragungs- und Verteilungssystem wieder fit für den Winter. Russland hatte auch Kohlekraftwerke getroffen. Die wollen wir aber gar nicht wieder aufbauen, sondern direkt auf Gas als Übergangskraftstoff setzen, damit wir die Energiewende schaffen. Gleichzeitig brauchen unsere Menschen in diesem Winter Strom und Wärme, deshalb werden wir alle Mittel einsetzen, um diesen Winter zu überleben.

Welche Dinge brauchen Sie derzeit von Ihren europäischen Partnern?

Wir brauchen vor allem Gasturbinen, Transformatoren und Gaskolbenaggregate sowie Spezialtransporte für die Reparaturteams der Energieunternehmen. Das sind die Dinge, die wir nach jedem neuen Angriff immer wieder benötigen werden. Deshalb ist das, was wir am meisten brauchen, eine bessere Luftabwehr.

Um wie viele Gasturbinen geht es dabei?

Wir wollen ein dezentrales Energieerzeugungsnetz auf der Grundlage von Gasturbinen mit einer Leistung von bis zu 300 Megawatt schaffen. Dazu wollen wir in diesem Winter fünf bis sieben Turbinen in Betrieb nehmen, um das Risiko eines weiteren Stromausfalls zu minimieren. Wir sind zuversichtlich, dass wir diese Turbinen von unseren internationalen Partnern erhalten können. Im nächsten Jahr wollen wir bis zu 20 weitere Turbineneinheiten installieren und sie mit den erneuerbaren Energien im Netz verbinden.

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Ihr Plan zur Klimaneutralität sieht neben Gas auch eine verstärkte Nutzung der Kernenergie vor. Sie wollen 20 neue Atomkraftwerke bauen. Sind das nicht besonders gefährliche Ziele in Kriegszeiten?

Russland versucht, aus allem eine Waffe zu machen. Sie haben auch das Wasserkraftwerk Kachowka zerstört, was in der Region erheblichen Schaden angerichtet hat, es gab massive Überschwemmungen. Wir wollen uns aber nicht vorschreiben lassen, wie wir unseren Energiesektor umbauen. Die Kernenergie hat bereits einen Anteil von über 50 Prozent an unserem Strommix. Untersuchungen zeigen, dass Kohleemissionen schädlich für die Umwelt und die Menschen sind und dass die Kernenergie in dieser Hinsicht sehr sauber ist. Ich halte es nicht für sinnvoll, auf der einen Seite von Klimaneutralität als Ziel zu sprechen und gleichzeitig mehr auf Kohle zu setzen. Richtiger wäre es, nach 2030 kleine modulare Reaktoren zu installieren, die eine wichtige Rolle im Energiemix spielen und Flexibilität bieten werden.

In Deutschland lässt die Regierung für den Atomausstieg Kohlekraftwerke weiterlaufen. Was halten Sie davon?

Das müssen die deutschen Politiker entscheiden. Ich bin aber überzeugt, dass wir in Zukunft keine Alternative zu grünen Energien haben werden. Ich fände es gut, wenn die Ukraine und Deutschland hier zusammenarbeiten würden.

Welche Chancen sehen Sie da?

Zunächst einmal bietet die Umstellung auf umweltfreundlichere Energie und nachhaltige Technologien in der Ukraine mehr Geschäftsmöglichkeiten für den Handel mit der EU, schon allein wegen der CO2-Besteuerung. Darüber hinaus habe ich die Vision von der Ukraine als Energiedrehscheibe, die Europa mit nachhaltigem Strom und kohlenstoffarmem Wasserstoff versorgt und dazu beiträgt, Europa langfristig von russischen fossilen Brennstoffen unabhängig zu machen. Ich sehe hier viel Potenzial für gemeinsame Projekte.

Haben Sie schon etwas Konkretes im Sinn?

Absolut. Dazu gehören Projekte für erneuerbare Energien und Bioenergie. Das kann auch ein Projekt für den zukünftigen Transport von Wasserstoff sein. Die Gaspipeline von der Ukraine über die Slowakei und die Tschechische Republik nach Deutschland gibt es bereits, ebenso wie die ersten Vereinbarungen über die Zusammenarbeit zwischen den Gasfernleitungsnetzbetreibern dieser Länder. Nun geht es darum, diese Pipeline so umzubauen, dass auch Wasserstoff durch sie transportiert werden kann. Dies bietet spannende Möglichkeiten für Start-ups, für Forscher, aber auch für große Unternehmen. Die Zusammenarbeit muss nicht warten, bis die Ukraine den Krieg gewonnen hat. Sie kann schon heute in Form von Weiterbildungen für nach Deutschland geflüchtete Ukrainer oder durch die Entwicklung von nachhaltigen Finanzinstrumenten für Investoren beginnen.

Herr Demchenkov, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Interview in Berlin am 26. Oktober 2023
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