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Sondertribunal für Anklage gegen Russlands Regierung?


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UN-Vollversammlung
Klagt die russische Regierung an!

MeinungEin Gastbeitrag von Daria Yeremeichuk

Aktualisiert am 21.09.2023Lesedauer: 3 Min.
Russlands Außenminister Lawrow vermittelt zwischen Armenien und Aserbaidschan: Die Menschenrechtslage im umstrittenen Bergkarabach hat sich dramatisch verschlechtert.Vergrößern des Bildes
Russlands Außenminister Lawrow vermittelt zwischen Armenien und Aserbaidschan: Die Menschenrechtslage im umstrittenen Bergkarabach hat sich dramatisch verschlechtert. (Quelle: IMAGO/Russian Foreign Ministry Press S)

Der Internationale Strafgerichtshof hat bereits vor einiger Zeit einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin ausgestellt. Unsere Gastautorin argumentiert, man könne auch den Rest der Moskauer Regierung vor Gericht bringen.

Welch ein Hohn. Während die russische Regierung einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, spricht Außenminister Sergej Lawrow unbehelligt vor der UN-Vollversammlung in New York. Gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin liegt ein internationaler Haftbefehl vor. Warum nicht auch gegen andere Mitglieder der russischen Regierung?

Seit der Internationale Strafgerichtshof im März dieses Jahres Haftbefehle gegen Putin und seine Kinderrechtsbeauftragte Maria Lwowa-Belowa erlassen hat, drängen sich zwei Fragen auf: Gibt es nicht viele andere Kriegsverbrechen, die den russischen Aggressoren zugerechnet werden können? Und warum belangt der Strafgerichtshof nicht auch andere Mitglieder der russischen Regierung?

Die Antwort ist folgende: Es ist tatsächlich am einfachsten, Putins direkte Beteiligung an der Deportation ukrainischer Kinder zu beweisen. Der Präsident unterzeichnete persönlich den entsprechenden Befehl, der als Rechtsgrundlage für die Kindesentführungen in den besetzten Gebieten gilt. Auf der anderen Seite kann die Beteiligung Putins und der russischen Führung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit und weiteren Kriegsverbrechen vorläufig juristisch nicht geahndet werden: die gezielte Bombardierung von Wohnhäusern, die Angriffe auf das Atomkraftwerk in Saporischschja, die Inhaftierung Unschuldiger und die vielen Straftaten gegen die persönliche Freiheit, die zahlreichen Fälle von Folter und sexueller Gewalt. Denn die Suche nach Beweisen, die Putins Schuld für diese Verbrechen belegen, gestaltet sich sehr viel schwieriger.

Video | "Ein gefährlicher Balanceakt"
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Quelle: t-online

Internationalem Strafgerichtshof fehlt die Befugnis

Problem ist auch: Der Internationale Strafgerichtshof hat nicht die Befugnis, eine Strafverfolgung gegen die russische Regierung einzuleiten. Zunächst müsste der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Aggression feststellen. Dem würde jedoch momentan das Veto Russlands entgegenstehen.

Daria Yeremeichuk

ist Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie ist in Mykolajiw in der Ukraine geboren und studierte Jura in Kiew und Münster. Sie ist Expertin für Völkerrecht, Europarecht und internationales Privatrecht.

Um den Kremlchef zur Verantwortung zu ziehen, müsste ein neues internationales Gremium geschaffen werden, das befugt ist, Putins Kriegsverbrechen zu untersuchen. Dieses Gremium wird von der Ukraine unter dem Namen "Sondertribunal für das Verbrechen der Aggression" gefordert. Mit einem Sondertribunal würde ein Prozess deutlich schneller über die Bühne gehen als über den Internationalen Strafgerichtshof. Denn dieser beginnt mit dem Verfahren erst, wenn der Angeklagte festgenommen und nach Den Haag gebracht wurde.

Seien wir realistisch: Die Chancen einer Festnahme Putins sind unglaublich gering. Daher macht die Ukraine den Vorschlag, ein Abwesenheitsverfahren durchzuführen. Das ist zwar schwierig und eine Reihe von Ländern, deren Rechtssystem die Abwesenheitsjustiz nicht vorsieht – zum Beispiel die USA und das Vereinigte Königreich – sind dagegen. Dennoch sollte man diese Option nicht vorschnell abtun, denn sie ist für die strafrechtliche Ahndung russischer Kriegsvergehen von entscheidender Bedeutung.

Sondertribunal, um weitere Regierungsmitglieder anzuklagen

Zu den Angeklagten eines solchen Sondertribunals würden neben Putin auch weitere Personen gehören: diejenigen, die die politischen oder militärischen Handlungen des Staates tatsächlich kontrollieren und steuern, etwa der Verteidigungsminister Sergej Schoigu, die Chefs des Generalstabs und der Ministerpräsident Michail Mischustin und auch Außenminister Sergej Lawrow. Die Herausforderung besteht nun darin, wie man die Immunität dieser Personen umgehen kann.

Die einzige rechtlich einwandfreie Möglichkeit, ein Sondertribunal zu schaffen, das die Immunität der sogenannten Drei (derzeitige Staats- oder Regierungschefs, Premierminister und Außenminister) überwindet, ist ein entsprechender Beschluss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (UN). Es wird vielerorts die Ansicht vertreten, dass die drei obigen Ämter eine absolute Immunität vor Strafverfolgungsbeamten anderer Staaten bieten. Gegen diesen ungeschriebenen Grundsatz des Völkerrechts spricht jedoch Artikel 27 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs, wonach die strafrechtliche Verantwortlichkeit – unabhängig von Person und Amt – grundsätzlich nicht entzogen werden kann.

Beschluss der UN-Generalversammlung

Russland würde als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat einen solchen Beschluss zwar wohl blockieren; er könnte in diesem Fall aber durch einen Beschluss der Generalversammlung ersetzt werden. Nach den Vorschriften der UN-Generalversammlung kann eine solche Entscheidung als "wichtig" angesehen werden, wenn mindestens zwei Drittel der anwesenden Staaten dafür stimmen.

Alternativ kann das Sondertribunal auch durch ein multilaterales Abkommen ermöglicht werden. Dafür müsste ein entsprechender Vertrag von über 60 Ländern unterzeichnet und ratifiziert werden. Dieses Konzept wird im Völkerrecht als Ausdruck der Meinung der Weltgemeinschaft anerkannt und führt automatisch zur Geltendmachung der Ansprüche aus diesem Vertrag, auch wenn es weder von der Generalversammlung noch vom UN-Sicherheitsrat gebilligt wurde. Allerdings befürchten einige westliche Länder, dass Russland und China dann auch die Schaffung eines äquivalenten "antiamerikanischen" Tribunals initiieren könnten.

Die UN-Charta entstand 1945 im Lichte einer Jahrhundertkatastrophe, die sich nicht wiederholen sollte. Der Zweite Weltkrieg ist aber lange her. Die Zeiten ändern sich, und der Zweck der UN-Charta, den Weltfrieden zu gewährleisten, darf nicht verfehlt werden. In diesem Sinne müssen die Vereinten Nationen handeln, wollen sie nicht die Idee der UN ad absurdum führen.

Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autorin wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Der Artikel von Daria Yeremeichuk erschien bei der Böll-Stiftung und wurde für t-online redaktionell überarbeitet.
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