Selenskyj tauscht Verteidigungsminister Führt er jetzt die Ukraine zum Sieg?
In einer der heißesten Phasen des Krieges soll die Ukraine einen neuen Verteidigungschef bekommen. Dem Kandidaten fehlt allerdings militärische Erfahrung.
Mitten in der Gegenoffensive baut der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sein Verteidigungsministerium um. Seit Monaten war spekuliert worden, wann der geschasste Chef der wichtigsten Behörde des Landes, Olexij Resnikow, wohl gehen müsse. Mit der Nominierung von Rustem Umerow hat der Präsident in seiner allabendlichen TV-Ansprache am Sonntag nun Fakten geschaffen. Schon Anfang dieser Woche könnte der Neue den noch warmen Platz an der Spitze des Ministeriums einnehmen. Wer ist der Mann, dem Selenskyj die Zügel in die Hand gibt?
Der 41-jährige Umerow stand bislang dem staatlichen Vermögensfonds vor und gilt dort als effektiver Manager. So soll der studierte Wirtschaftswissenschaftler, Investor und einstige Parlamentsabgeordnete die Wirtschaftsprüfung in staatlichen Betrieben verbessert und illegale Finanzflüsse unterbunden haben – vor seiner Ankunft war der Fonds in zahlreiche Korruptionsfälle verstrickt. Unter Umerows Führung sorgte der Staatsfonds außerdem für das dickste Finanzpolster Kiews des vergangenen Jahrzehnts – durch die Veräußerung von Staatseigentum und mit dem Verkauf beschlagnahmter Vermögenswerte russischer Oligarchen.
Auch als Sondergesandter des Präsidenten hat Umerow sich bereits verdient gemacht. So war er Teil der ukrainischen Delegation, die seit dem Überfall durch Russland im Februar 2022 einige der sensibelsten diplomatischen Verhandlungen mit den Angreifern geführt haben.
"Ich glaube, dass das Ministerium neue Ansätze und andere Arten des Austauschs sowohl mit dem Militär als auch allgemein mit der Gesellschaft braucht", erklärte Selenskyj seine Entscheidung für Umerow am Sonntag nur sehr knapp. Zu den Details der Personalie äußerte er sich nicht, "Herr Umerow bedarf keiner zusätzlichen Vorstellung", so der Präsident.
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Saubermann statt Militär
Zwar fehlt es Resnikows Nachfolger an militärischer Erfahrung, doch angesichts der jüngeren Ereignisse im Verteidigungsministerium scheint es sinnvoll für Selenskyj, einen verlässlichen Wegbegleiter mit Saubermann-Image an die Spitze des Hauses zu setzen.
Trotz zahlreicher Skandale in seinem Verantwortungsbereich hatte Resnikow sich bis zuletzt an sein Amt geklammert. Zu den Eklats zählt unter anderem der Rücktritt seines Stellvertreters Wjatscheslaw Schapowalow, der wegen des Kaufs überteuerter Lebensmittel für Soldaten bereits im Winter zurücktreten musste. Medienberichten zufolge soll auch beim Bau von Kasernen Geld veruntreut worden sein. Resnikow, der den Posten im November 2021 übernommen hatte, weist die Vorwürfe weiterhin als "Schmierkampagne" zurück.
Die Ukraine gilt als eines der korruptesten Länder Europas, kann sich jedoch mit Blick auf einen erhofften EU-Beitritt und die rund 100 Milliarden US-Dollar Militärhilfe aus dem Westen gerade in diesem Bereich keine Filzaffären leisten. Bevor Selenskyj in seiner Ansprache am Sonntag auf die Nominierung Umerows zu sprechen kam, hatte er die Aufnahme in die EU nochmals explizit als strategisches politisches Ziel genannt.
Auch hier kann Umerow bereits Berührungspunkte vorweisen: Bislang war er laut dem osteuropäischen Nachrichtenportal "Visegrád 24" Stellvertreter des Ständigen Vertreters der Ukraine beim Europarat, Borys Tarasyuk.
Enge Verbindung zur Krim
Abseits seiner beruflichen Reputation dürfte Selenskyj auch Umerows ethnische Zugehörigkeit gelegen kommen. Der Unternehmer und Investor ist krimtatarischer Abstammung und setzt sich seit Jahren für eine Befreiung der Schwarzmeer-Halbinsel Krim ein, die bereits 2014 von Russland völkerrechtswidrig annektiert wurde. Für Kiew gilt die Befreiung der Krim als eines der obersten Kriegsziele.
Wie viele Krimtataren waren Umerows Eltern einst von Sowjetdiktator Josef Stalin aus ihrer Heimat verschleppt und in die Gegend des heutigen Usbekistans deportiert worden. Dort wurde Umerow dann auch geboren. Der Politiker ist stellvertretender Vorsitzender der Krim-Plattform, eines jährlichen Forums, das sich der Wiedereingliederung der Halbinsel in die Ukraine widmet. Laut ukrainischen Medienberichten setzt er sich zudem für den Austausch von politischen Häftlingen und Kriegsgefangenen auf der Krim ein. Im August 2021 überreichte Selenskyj ihm einen Orden für Verdienste für das Vaterland.
Umerow muss noch im Parlament bestätigt werden. Als neuer Verteidigungsminister müsste er sich vor allem um die Finanzierung der Armee und um deren Ausstattung mit Waffen und Munition sowie um die Versorgung kümmern. Die Verantwortung für den Verlauf der aktuellen Gegenoffensive läge hingegen weiter bei Selenskyj als Oberbefehlshaber der Streitkräfte und seinen Generälen.
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Seine Nominierung gilt vielen Beobachtern als hervorragende Wahl und das nicht nur aufgrund seiner bisherigen Karriere und seiner Familiengeschichte. Umerow wäre auch der erste muslimische Verteidigungsminister der Ukraine. "Ein weiteres Zeichen, dass die Ukraine tatsächlich ein 'Miniatur-Europa' ist", schrieb unter anderem das Institut für Ukraine-Studien der renommierten University of Cambridge auf der Plattform X, ehemals Twitter. Umerow selbst hat sich noch nicht zu Wort gemeldet.
- pravda.com.ua: "State Property Fund of Ukraine starts selling seized assets of Russians: Which company will be privatised first" (englisch)
- kyivpost.com: "Record Breaking Revenues From Privatization of State Assets"
- rferl.org: "'New Approaches Needed': Zelenskiy To Replace Ukraine's Defense Minister In Surprise Move"
- twitter.de: Kanal von Visegrád 24, Cambridge Ukrainian Studies
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa