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Russlands Ukraine-Krieg | Wagner-Chef Prigoschin – eine Gefahr für Putin?


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Putin und Russlands Elite
"Das wäre ein Zeichen, dass er ernste Probleme hat"


Aktualisiert am 06.05.2023Lesedauer: 4 Min.
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Wladimir Putin: Der russische Machthaber muss wohl vorerst keinen Umsturz befürchten. (Quelle: IMAGO/Mikhail Klimentyev)
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Jewgeni Prigoschin, Chef der Söldnertruppe Wagner, droht der russischen Militärführung. Liegen in Russlands Führung die Nerven blank?

Jewgeni Prigoschin zeigt auf Leichen. Es sind tote Kämpfer der russischen Söldnergruppe Wagner, deren Chef Prigoschin ist. "Schoigu! Gerassimow!", brüllt er und meint damit den russischen Verteidigungsminister und den Chef des Generalstabs der russischen Armee. "Ihr Bastarde sitzt in teuren Clubs, eure Kinder genießen ihr Leben. Jetzt glaubt ihr, dass ihr auch die Macht über ihr Leben habt", schimpft Prigoschin weiter und zeigt auf seine im Kampf um die ukrainische Stadt Bachmut getöteten Kämpfer.

Video | Wagner-Chef Prigoschin verliert die Nerven
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Quelle: t-online

Das Video hat Seltenheitswert. Nicht oft wird die russische Militärführung so offen angegriffen. Es ist allerdings nicht der erste Angriff des Wagner-Chefs auf die Führung im Kreml. Normalerweise versucht die Machtelite um Wladimir Putin, kritische Stimmen in den eigenen Reihen auszuschalten. Doch Prigoschin scheint unantastbar.

Die Söldnergruppe Wagner ist zu einem wichtigen Machtinstrument für Putin geworden, aber wie wichtig ist Prigoschin für den Kremlchef wirklich? Ist Wagner vielleicht sogar zu mächtig geworden? t-online beantwortet die wichtigsten Fragen zum aktuellen Machtkampf in Russlands politischer Elite im Angesicht des Ukraine-Krieges.

Warum kann Prigoschin die russische Militärführung angreifen?

Es gebe vor allem zwei Gründe, warum Jewgeni Prigoschin sich die Angriffe auf Sergei Schoigu, den russischen Verteidigungsminister, und Witali Gerassimow, den Chef des Generalstabs der russischen Armee, erlauben kann, erklärt Sarah Pagung, politische Analystin und Russland-Expertin von der Körber-Stiftung, im Gespräch mit t-online. Einerseits greife Prigoschin nicht das russische Machtsystem und damit auch Wladimir Putin direkt an. "Die Kämpfe, die er führt, finden innerhalb des Systems statt und werden deshalb von Putin nicht als Gefahr für seine Machtposition wahrgenommen", sagt Pagung.

Andererseits nehme Prigoschins Söldnertruppe Wagner eine wichtige Rolle in Russlands Krieg gegen die Ukraine ein. "Wagner kämpft an verschiedenen Fronten – vor allem auch dort, wo die russische Armee weniger hingeschickt wird", sagt Sarah Pagung. So kämpfe Wagner an heiklen Fronten wie Bachmut, leite aber auch Unterdrückungsmissionen, die die russische Armee weniger ausführt.

Die Angaben darüber, wie viele Kämpfer der Gruppe Wagner in der Ukraine zum Einsatz kommen, variiert. Ihre Stärke wurde vom ukrainischen Militärgeheimdienst Ende 2022 auf etwa 8.000, vom US-Verteidigungsministerium auf etwa 50.000 geschätzt. Die hohe Zahl der Kämpfer mache Wagner und damit auch Prigoschin wichtig für Putin – und gebe ihm mehr Freiheiten, solange er Putin oder sein Machtsystem nicht direkt angreife, sagt Pagung.

Wird die Söldnergruppe Wagner zu mächtig?

Sarah Pagung erklärt, dass Wagner keinesfalls zu mächtig werde: "Die Söldnergruppe ist darauf angewiesen, in Russland rekrutieren zu dürfen und vor allem Munition und schwere Waffen aus russischen Beständen nutzen zu dürfen." Eine Strategie des Kremls, um Wagner nicht noch mächtiger werden zu lassen, sei es, die Söldnergruppe in den Konkurrenzkampf mit anderen privaten Sicherheits- und Militärunternehmen zu zwingen.

Darunter sei unter anderem auch eine neue Söldnertruppe, die der staatliche Energiekonzern Gazprom aufbauen soll. Dem amerikanischen "Business Insider" zufolge sollen die Söldner künftig die russische Energieversorgung schützen.

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Allerdings hätten die Gazprom-Söldner sowie alle anderen privaten Militärunternehmen in Russland das gleiche Problem wie Wagner, erklärt Pagung: Es gebe nur einen begrenzten Pool an Rekruten und vor allem an Material. "Wagner ist da in einer komfortablen Situation, weil die Gruppe Kanonenfutter aus Gefängnissen rekrutieren kann, aber gleichzeitig auch erfahrene Söldner in ihren Reihen hat und schwere Waffen hat", erklärt die Analystin.

Die Kremlführung hat der Wagner-Gruppe schon mehrfach gezeigt, wie abhängig sie vom russischen Staat ist. Immer wieder beklagte Prigoschin fehlende Waffenlieferungen aus Moskau.

Welche Rolle spielen Schoigu und Gerassimow für Putin?

Aufgrund ihrer Loyalität seien Verteidigungsminister Schoigu und Witali Gerassimow, der Chef des Generalstabs der russischen Armee, wichtig für Putin, sagt Pagung. "Grundsätzlich nimmt Putin nicht gerne Veränderungen vor", fügt Fabian Burkhardt vom Leibnitz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung im Gespräch mit t-online hinzu.

Denn eine Entlassung auf der Personalebene von Schoigu und Gerassimow hieße auch, dass eine weitere Person auf diese hohen Posten nachrücken müsse, erklärt Burkhardt weiter. Und: "Schoigu und Gerassimow hatten in den vergangenen Monaten ihr Comeback." Die Relevanz beider Politiker spreche dafür, dass Putin keine neuen Rezepte für den Krieg habe.

Sollte er einen der beiden austauschen, würde das für einen neuen Ansatz hinsichtlich seiner Strategie in der Ukraine sprechen, so der Politikwissenschaftler. Aber es gibt kaum Zweifel daran, dass sie am Ende in den Fokus rücken könnten, wenn Putin für größere Niederlagen Sündenböcke braucht.

Welche anderen Politiker sind für Putins Machterhalt wichtig?

Für den Krieg in der Ukraine sind Schoigu und Gerassimow zwei wichtige Personalien, sagt Fabian Burkhardt. Gerade innenpolitisch seien aber auch Premierminister Michail Mischustin und die Chefin der russischen Zentralbank, Elwira Nabuillina, wichtig. "Sie haben die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges gegen die Ukraine nach den ersten Sanktionspaketen abgefedert", fügt Burkhardt hinzu.

Relevant für Putins Machterhalt seien außerdem der Inlandsgeheimdienst FSB und das Gerichtswesen. Beide Institutionen seien für die Repression der Opposition wichtig und würden dafür sorgen, dass die Heimatfront für Putin nicht gefährlich wird, erklärt Burkhardt.

Könnte das Putin-Regime bald fallen?

Politikwissenschaftler Fabian Burkhardt glaubt nicht an ein baldiges Ende von Wladimir Putins Herrschaft. "Momentan ist das Regime Putin stabil", sagt er. Im Inneren des Kremls gebe es keine Fraktion, die ihn ablösen könne. Deshalb hält er auch einen Umsturz für unwahrscheinlich: "Das Risiko eines Putsches ist gering", so Burkhardt.

Im Krieg gegen die Ukraine sieht der Politikwissenschaftler die größte Gefahr für Putin. "Selbst eine erfolgreiche Gegenoffensive der Ukraine könnte er politisch überleben", erklärt Burkhardt. Gefährlich werde es dann für Putin, sollten sich einflussreiche Persönlichkeiten im russischen Staat öffentlich von ihm abwenden. "Auch wenn er gezwungen wäre, auf Säuberungsaktionen unter den Generälen etwa mit Haftstrafen oder gar politischen Morden zurückzugreifen, wäre das ein Zeichen, dass er ernsthafte Probleme hat."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Telefongespräche mit Sarah Pagung und Dr. Fabian Burkhardt
  • businessinsider.com: "Russian state energy giant Gazprom is starting its own private security force, a move Ukraine fears will lead to a new Wagner-like mercenary army"
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