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Gegenoffensive der Ukraine | "Schwachpunkte" und die Schuld des Westens


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Gegenangriff der Ukraine
"Da wissen wir, dass es Schwachpunkte gibt"

InterviewVon Patrick Diekmann

Aktualisiert am 20.04.2023Lesedauer: 6 Min.
Ukrainische Soldaten in Bachmut: Die Ukraine bereitet den nächsten Gegenangriff vor.Vergrößern des Bildes
Ukrainische Soldaten in Bachmut: Die Ukraine bereitet den nächsten Gegenangriff vor. (Quelle: Roman Chop/dpa)
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Die Ukraine hat Panzer und Munition für einen großen Gegenangriff, trotzdem wartet Kiew weiter ab. Nur eines ist klar: Wladimir Putin droht in seinem Krieg der nächste empfindliche Rückschlag.

Es ist die Ruhe vor dem Sturm. Die ukrainische Armee bereitet aktuell eine Gegenoffensive vor, um weitere Teile des Landes von den russischen Besatzern zu befreien. Panzer und Munition sind bereits aus dem Westen eingetroffen, auch die Ausbildung der ukrainischen Soldaten an den modernen Waffensystemen ist abgeschlossen. Im Internet kursieren zwar Bilder und Videos von ukrainischen Truppenkonzentrationen, doch bislang gibt es keine Anzeichen dafür, dass der Gegenangriff begonnen hat.

Die Zeit arbeitet gegen die Ukraine, denn die russischen Truppen bauen ihre Verteidigungslinien aus. Der Militärexperte Christian Mölling erklärt im t-online-Interview, warum die ukrainische Armee trotzdem noch auf den richtigen Zeitpunkt für einen Gegenangriff wartet und welche Rolle China bei der Versorgung der russischen Armee mit Waffen spielt.

t-online: Herr Mölling, in den sozialen Netzwerken gibt es Videos und Bilder, die ukrainische Truppenbewegungen zeigen sollen. Sehen Sie Anzeichen dafür, dass die ukrainische Gegenoffensive nun beginnt?

Christian Mölling: Nein, die sehe ich aktuell noch nicht. Zumindest ist nicht ersichtlich, dass die Ukraine große Truppenkörper in Richtung Front bewegt. Aber man muss sich auch immer vor Augen führen, dass ein Gegenangriff in einem Krieg nicht wie in einem Hollywoodfilm beginnt.

Wie meinen Sie das?

Die ukrainische Armee wird nicht wild um sich schießen. Sondern die Gegenoffensive beginnt mit taktischer Aufklärung und dem Ausloten von Schwachstellen in der russischen Frontlinie. Kiew muss mit aller Sorgfalt Positionen ausmachen, an denen sich ein Angriff lohnt.

Christian Mölling ist stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts der Denkfabrik Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung. Er studierte Politik-, Wirtschafts- und Geschichtswissenschaften an den Universitäten Duisburg und Warwick und promovierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Aber Aufklärung findet mithilfe der USA die ganze Zeit statt, oder?

Ja, doch das ist ein ständiges Katz- und Mausspiel. Natürlich weiß die russische Armee, dass ihre Positionen aufgeklärt werden und es gibt ständig Truppenverlegungen entlang der Frontlinie, um eigene Schwächen auszugleichen oder die Schwächen des Gegners zu nutzen. Deswegen ist taktische Aufklärung immer situativ.

Hätte die Ukraine denn mittlerweile ausreichend Waffensysteme und Munition für einen Angriff?

Wahrscheinlich ja. Natürlich steht die ukrainische Armee durch die Waffenlieferungen aus dem Westen aktuell besser da als noch vor einigen Monaten.

Auch bei der Munition?

Bei der Munition wissen wir, dass es Schwachpunkte gibt. Die Ukrainer werden sich aber jetzt nicht davon abschrecken lassen, dass sie mehr haben. Für sie wird es darum gehen, mit einem Gegenangriff ein begrenztes Ziel zu erreichen und dieses Ziel wird angepasst, je nachdem wie viel Munition und Waffen zur Verfügung stehen. Die Strategie ist eigentlich simpel, aber der Erfolg einer Gegenoffensive bemisst sich natürlich am Material.

Warum greift die ukrainische Armee dann noch nicht an?

Das hat unterschiedliche Gründe. Einerseits ist das Wetter ein Problem. Das westliche Gerät ist im Vergleich deutlich schwerer als das auf russischer Seite. Die westlichen Panzer könnten im Matsch stecken bleiben. Andererseits geht es für die Ukraine darum, möglichst kraftvoll anzugreifen. Davon wird abhängen, wie viel Gebiet sie zurückgewinnen kann. Bei jeder Offensive gibt es einen sogenannten Kulminationspunkt – einen Punkt, an dem der Angriff zum Stillstand gebracht wird, durch den Widerstand oder weil man selbst nicht mehr genug Kampfkraft hat. Es ist das Ziel der Ukrainer, diesen Punkt so weit wie möglich hinauszuzögern. Der Angriff wird kommen, nur der effektivste Zeitpunkt ist ungewiss.

Aber das Abwarten verschafft Russland auch wichtige Zeit, um sich auf diesen Angriff vorzubereiten.

Klar. Es ist ein Problem, dass der Westen die Ukraine nicht rechtzeitig ausgerüstet hat. Wenn die ukrainische Armee früher eine größere Kampfkraft gehabt hätte, wären die Risiken einer Gegenoffensive geringer gewesen. Die westlichen Kampfpanzer können eine wichtige Rolle spielen, aber die sind halt deutlich zu spät geliefert worden. Hätte auch Deutschland früher reagiert, hätte die Ukraine nun noch mehr Material und mehr Routine im Umgang mit den Waffensystemen.

Ist die ukrainische Armee denn mittlerweile ausreichend ausgebildet für einen erfolgreichen Gegenangriff?

Die Frage stellt sich mir nicht. Die ukrainische Armee hat seit Kriegsbeginn immer wieder moderne Waffensysteme eingesetzt und den Westen mit ihrer Kreativität überrascht. Für die Ukraine geht es um Leben und Tod. Nicht jeder Idiot kann einen Panzer fahren, aber die Grundfertigkeiten werden sie schon erlernt haben. Vielmehr trainiert die ukrainische Armee aktuell die taktische Einsatzfähigkeit im Gefecht und den Einsatz der modernen Geräte im Verbund. Dafür ist aber kaum Zeit.

Hat die Ukraine denn nur eine Chance für ihre Gegenoffensive?

Zumindest ist der Druck auf die Ukraine groß. Ein Misserfolg einer Gegenoffensive hätte Folgen für den politischen Diskurs im Westen. Schon jetzt gibt es Stimmen, die einen Waffenstillstand fordern, obwohl Kiew weiterkämpfen und so viel Gebiet befreien möchte wie möglich. Hinzu kommt, dass Teile der Republikaner in den USA die Unterstützung der Ukraine kritisieren und zum Wahlkampfthema machen könnten. Das hätte Folgen, weitere Waffenlieferungen für die Ukraine wären nicht garantiert.

Worauf müssen sich die ukrainischen Truppen denn bei ihrem Angriff einstellen?

Die Russen haben sich bemüht, den Süden in erheblichem Maße zu befestigen. Aber die russischen Befestigungen wurden schnell gebaut und es wird in jedem Fall Schwachstellen in den Verteidigungslinien geben. Es geht darum, diese Linien zu überwinden und die technischen Möglichkeiten bereitzustellen, um etwa Minenfelder durchqueren zu können. Das wird nicht einfach, aber es ist auch nicht unmöglich.

Wie hoch schätzen Sie die Erfolgschancen der ukrainischen Armee ein?

Die Ukraine wird sicherlich schon einen gewissen Erfolg erzielen. Wie groß dieser sein wird, wage ich ehrlich gesagt nicht einzuschätzen. Kriege sind immer komplex und Kleinigkeiten können über Erfolg oder Misserfolg mitentscheiden. Deswegen ist eine Prognose schwer.

Letztlich haben wir auch nicht ausreichend Informationen, wie stark die russische Widerstandskraft ist.

Das stimmt. Die Russen sind nicht weiterhin so dumm wie im vergangenen Jahr. Wir dürfen nicht annehmen, dass die aus ihren Fehlern in diesem Krieg nicht gelernt haben. Ich empfehle, die Russen nicht zu unterschätzen und die Ukraine nicht zu überschätzen.

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Wie gut ist die russische Armee in der Ukraine denn aktuell aufgestellt?

Für Putin wird es nicht besser. Die Russen holen schon Panzer aus den Depots, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut wurden. Im Gegensatz dazu verfügt die Ukraine zwar über weniger Material, aber es ist deutlich moderner. Außerdem werden die russischen Soldaten von Putin verheizt und ihre Kampfmotivation ist deutlich geringer als die der ukrainischen Soldaten. Motivation ist ein wichtiger Faktor.

Welche Folgen hätte es für Putin, wenn erneut eine Gegenoffensive erfolgreich ist und die Ukraine weitere Teile ihres Staatsgebietes befreien kann?

Das ist schwer einzuschätzen, weil das Machtgefüge im Kreml für uns im Westen nicht einsehbar ist. Es könnten Kräfte im Kreml Putin absetzen, um Verhandlungen mit dem Westen zu erleichtern. Aber das ist alles nur Theorie.

Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin hatte zuletzt öffentlich in seinem Blog über ein mögliches Ende des Konfliktes geschrieben. Wie ernst kann man das nehmen?

Auch das ist schwer zu sagen. Prigoschin versucht scheinbar, einen Weg in die Politik zu finden. Er wollte auch schon eine russische Partei übernehmen, aber das hat nicht funktioniert. Von außen lässt sich schwer beurteilen, ob seine aktuellen Vorstöße mit dem Kreml abgesprochen sind oder nicht. In jedem Fall hat sich Prigoschin im russischen Establishment viele Feinde gemacht. Aber diese Konflikte könnten am Ende im Interesse Putins sein.

Sie haben angesprochen, dass die Qualität des russischen Kriegsgeräts rasant abnimmt. Wird dadurch nicht auch wahrscheinlicher, dass China Waffen liefert, damit Putin nicht verliert?

China ist schon Teil von Putins Krieg, sie unterstützen Russland. Zwar liefert Peking keine schweren Waffensysteme an Russland, aber das ist auch nicht unbedingt nötig. Für den chinesischen Präsidenten Xi Jinping ist es eine sensible Abwägung. Einerseits möchte er Putin nicht verlieren lassen, anderseits aber auch keine westlichen Sanktionen gegen China riskieren. Die Chinesen sind noch vom Technologietransfer mit dem Westen abhängig und deshalb ist es unwahrscheinlich, dass sie plötzlich Panzer in die Ukraine schicken.

Es bleibt also bei Halbleitern und anderen "Dual Use"-Gütern?

Die reichen für Russland völlig aus. Wenn die Chinesen Halbleiter liefern, die für die Russen militärisch nutzbar sind und mit russischer Militärtechnologie funktionieren, dann wird Putin seinen Krieg weiterführen können. Es ist ein Dilemma für China, dass auch sie keinen Plan haben, wie dieser Krieg beendet werden soll.

Xi Jinping möchte, dass Putin nicht verliert.

Genau. Aber wie ein stabiler Waffenstillstand oder ein Frieden etabliert werden könnte, darüber gibt es aktuell weder im Westen noch in China eine Vorstellung.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Mölling.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Christian Mölling
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