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Russland und USA verhandeln: "Über die Köpfe der Ukrainer hinweg"


USA und Russland
"Für Putin ein Triumph”

InterviewVon Marc von Lüpke

Aktualisiert am 17.02.2025Lesedauer: 9 Min.
Donald Trump und Wladimir Putin in einer Montage des russischen Fernsehens: Die USA und der Kreml wollen über die Ukraine verhandeln.Vergrößern des Bildes
Donald Trump und Wladimir Putin in einer Montage des russischen Fernsehens: Die USA und der Kreml wollen über die Ukraine verhandeln. (Quelle: Artem Priakhin)
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Die Ukraine kämpft um ihre Existenz, doch ihr Schicksal könnte kurzerhand von Donald Trump und Wladimir Putin entschieden werden. Wie gefährlich das wäre und wie die Stimmung in Russland ist, erklärt Politologe Jens Siegert.

Drei Jahre schon verteidigt sich die Ukraine erbittert gegen die russische Vollinvasion, nun will Donald Trump den Krieg kurzerhand beenden. Die Angst ist groß, dass seine Bemühungen um einen Frieden mit Russland voll auf Kosten der Ukraine – und der Europäer – gehen werden.

Ein Sieg Russlands im Krieg gegen die Ukraine dürfte auch kaum der Beginn einer neuen Entspannung sein, im Gegenteil: Die Bedrohung für die Europäer bleibt extrem, warnt Jens Siegert, Politologe, Russlandkenner und Autor des Buches "Wohin treibt Russland? Szenarien für die Zeit danach" im Gespräch.

t-online: Herr Siegert, fast drei Jahre sind seit Beginn der russischen Vollinvasion der Ukraine vergangen, nun wollen Donald Trump und Wladimir Putin das Schicksal des Landes verhandeln. Wie beurteilen Sie die Lage?

Jens Siegert: Die Lage ist ziemlich übel. Donald Trump und Wladimir Putin wollen aller Voraussicht nach über die Köpfe der Ukrainer – und auch über die der Europäer – hinweg verhandeln. Allein das ist schon für Putin ein Triumph, schlimmer wird es durch die Tatsache, dass Trump aus seiner irritierend positiven Haltung gegenüber Putin keinen Hehl macht. Trump zerstört gerade die Nato, ja den Westen als handelndes Subjekt insgesamt.

Deutschland hat bis heute in Sachen Russland und dessen Aggression gegen die Ukraine keine langfristige Strategie entwickelt, Bundeskanzler Olaf Scholz setzte stattdessen auf die Formel, dass "die Ukraine den Krieg nicht verlieren dürfe". Rächt sich diese Uneindeutigkeit nun?

Das rächt sich jetzt in der Tat. Denn nun werden Russland und die USA entscheiden, die Trump-Administration hat bereits zu vielen Gelegenheiten bekundet, dass dieser Konflikt enden soll und für die Vereinigten Staaten eher nebensächlicher Natur sei. Angesichts dieser Haltung wird Putin eher nicht als Verlierer dastehen.

Haben Sie Anfang 2022 damit gerechnet, dass Russland die Ukraine in diesem Umfang angreifen würde?

Zusammen mit Kollegen habe ich vor derartigen Szenarien gewarnt, man muss ja auch die sogenannten Worst Cases denken. Aber eine Vollinvasion in einem derartigen Ausmaß habe ich dann doch nicht für möglich gehalten. Zugleich gehe ich davon aus, dass auch Wladimir Putin eher mit drei Tagen anstelle von drei und mehr Jahren Krieg gerechnet hat.

Zur Person

Jens Siegert, Jahrgang 1960, ist Politikwissenschaftler, Journalist und Autor. Seit 1993 lebt Siegert in der russischen Hauptstadt Moskau, dort leitete der Deutsche unter anderem das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung sowie das EU-Projekt Public Diplomacy am Goethe-Institut. Im Oktober 2024 ist sein Buch "Wohin treibt Russland? Szenarien für die Zeit danach" erschienen.

Sie leben bis heute in Moskau. Haben Sie Angst, irgendwann als politisches Faustpfand des Kreml-Regimes zu enden, wie es anderen westlichen Staatsbürgern in Russland passiert ist?

Angst habe ich nicht, aber es ist große Vorsicht angebracht. Das Problem besteht darin, dass niemand das Risiko konkret abschätzen kann. Ich äußere meine Meinung, die deutlich von dem abweicht, was als offizielle Meinung in Russland definiert ist – und die inzwischen auch gesetzlich geschützt wird. Wer davon abweicht, kann strafrechtlich verfolgt werden. Aber nicht jeder, der dagegen verstößt, wird auch tatsächlich belangt.

Diese Ungewissheit ist ein Mittel der politischen Repression in Russland.

Ja, das ist Absicht. Das Regime spielt mit den Leuten und ihren Ängsten. Mir ist kein Fall bekannt, in dem ein Ausländer in Russland aufgrund des betreffenden Paragrafen strafrechtlich verfolgt worden ist. Russinnen und Russen hingegen schon, das auch in großer Zahl. Ausländer sind aus anderen Gründen verhaftet worden, die russische Justiz ist nicht zimperlich, Gründe für eine Verhaftung zu finden, wenn die Politik das so haben will. Dass man in Gefahr schwebte, merkt man aber erst, wenn es zu spät ist. Das ist das Heimtückische daran.

Das klingt schwer erträglich ...

Es ist kein schöner Zustand, aber man gewöhnt sich in gewisser Weise daran. Zudem bin ich dann und wann auch außerhalb Russlands.


  • Exklusiv: Verteidigungspolitikerin Strack-Zimmermann im Podcast:
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Wie ist die Stimmung dort, fast drei Jahre nach Beginn der Vollinvasion und den zahlreichen Verlusten?

Die exakte Höhe der russischen Verluste ist unbekannt, die kursierenden Zahlen sind Schätzungen von westlicher und ukrainischer Seite. Russland gibt seit Sommer 2022 keine Zahlen mehr heraus. Tatsächlich dürften die Verluste gewaltig sein, aber das wird in Russland verdrängt.

Wer verdrängt aus welchen Gründen?

Das Regime hat wenig Interesse an einer öffentlichen Bekanntgabe der wahrscheinlich sehr hohen Verlustzahlen. Nun kommt die Bevölkerung ins Spiel: Die einen verdrängen die Geschehnisse an der Front, weil sie es nicht wahrhaben wollen. Aber auch, weil es ihnen nicht passt, denn sie sind für diesen Krieg. Die anderen verdrängen den Krieg, weil es einfach zu schrecklich ist und sie davon überzeugt sind, nichts dagegen tun zu können.

Wie ist die Verteilung innerhalb der russischen Bevölkerung?

Soweit ich das beurteilen kann – und Umfragen, die natürlich unter unfreien Bedingungen entstehen, stützen das – versucht sich der Großteil der russischen Gesellschaft möglichst herauszuhalten. Man redet am besten nicht über den Krieg, niemand will Ärger bekommen. Den Krieg als Krieg zu bezeichnen, ist ja verboten. Entsprechend ist die Stimmung. Es gibt tagtäglich diese Propagandasendungen im Fernsehen, es gibt tagtägliche Erfolgsmeldungen des Verteidigungsministeriums, aber es gibt keinen enthusiastischen Patriotismus.

Ist Kritik am Krieg noch möglich?

Es existiert zwar keine flächendeckende Repression, aber jede Äußerung, sei es auch nur ein kleiner Post im Internet, sei es irgendeine andere öffentliche kritische Äußerung, kann dazu führen, dass Menschen verhaftet werden. Und es gibt mittlerweile mehr als 1.000 Menschen, die deswegen im Gefängnis sitzen. Niemand soll sich sicher fühlen, niemand soll vorhersehen können, was passiert. Das ist alles Teil der Strategie des Regimes.

Für wie groß halten Sie wiederum den harten Kern der Putin-Anhänger innerhalb der russischen Bevölkerung?

Das sind nach Umfragen, also mit Vorsicht zu genießen, ungefähr 20 Prozent der Bevölkerung. Also in etwa jeder Fünfte stimmt mit Putin ideologisch überein. Das könnte man nun optimistisch interpretieren: Der Großteil der Bevölkerung stände einem schnellen Ende des Kriegs durchaus positiv gegenüber, ist aber überzeugt, nichts dafür tun zu können, das auch gegen den Willen des Regimes durchzusetzen. Warum dann also etwas riskieren? So lautet die traurige Wahrheit.

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Hat der Krieg, propagandistisch vom Regime flankiert, auch zu einer Art Bunkermentalität geführt?

Ja. Das ist ja ein bekanntes Phänomen aus Kriegssituationen und beileibe kein allein russisches. In Russland ist ohnehin die Vorstellung verbreitet, ein besonderes Land zu sein. Ein Land, das sich nun im Krieg befindet. Alle Meinungsverschiedenheiten müssten entsprechend in die Zukunft verlagert werden, glauben viele Menschen. Eine meiner wichtigsten Botschaften besteht dagegen darin, aus Russland eben nicht immer etwas Besonderes zu machen. Denn das tun wir im Westen auch viel zu oft. Nein, es gibt keine besonderen Länder auf der Welt im Sinne vom "besser". Diese Vorstellung schmeichelt nur Putin.

Die westlichen Staaten setzten nach Beginn der Invasion auf Sanktionen und Handelskrieg gegen Russland. Wie sieht es derzeit in den Regalen der russischen Geschäfte aus?

Bei der Verfügbarkeit von Waren gibt es keine Probleme. Es gibt von allem genug, man kann alles kaufen. Aber das Leben ist teurer geworden, die Inflation ist ziemlich hoch. Auch die kommunalen Abgaben, also Gas, Heizung, Wasser, Müllabfuhr und so weiter, steigen ständig, bei unserer Wohnung zum 1. Januar zum Beispiel gleich um 15 Prozent. Ähnlich war es im vergangenen Jahr und das merken die Menschen deutlich, vor allem diejenigen, die weniger verdienen. Über 60 Prozent geben an, mehr als 50 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel auszugeben. Da bleibt nicht viel übrig. Der Staat versucht, mit höheren Löhnen und Gehältern dagegen zu steuern, was auch durch die Sonderkonjunktur infolge des Krieges bedingt ist.

Zudem herrscht offiziell Vollbeschäftigung in Russland.

Das hat Putin stolz verkündet, ja. Wobei sich die Ökonomen einig sind: Das ist eher ein Problem für Russland. Nach der Vollinvasion im Februar 2022 haben Schätzungen zufolge bis zu eine Million Menschen – und davon ein nicht unerheblicher Teil junge Männer – Russland verlassen, dazu sind 800.000 Männer im Krieg, viele andere sind als Arbeitskräfte im militärisch-industriellen Komplex gebunden. Dazu kommt die negative demografische Entwicklung Russlands. Aber Putins Ansehen hat das nicht geschadet.

Wie ist es generell um sein Ansehen bestellt?

Mit der Annexion der Krim 2014 und dem Krieg seit 2022 hat Putin der Welt in den Augen vieler Menschen in Russland demonstriert, dass mit dem Land wieder zu rechnen ist und ihm Respekt gebührt. Das hat auch Leute beeindruckt, die Putin nicht allzu nahestehen. Wichtig ist dabei, dass Russland dies aus eigener Macht vollbracht habe, ohne die Hilfe anderer. An diesem Punkt wirken auch die Neunzigerjahre nach, als es zwar relativ viel Freiheit und auch ein wenig Demokratie gab, aber die Lebensbedingungen der Menschen erheblich schlechter geworden sind und Russland international an Einfluss verlor.

Der Titel Ihres aktuellen Buches lautet "Wohin treibt Russland?". Haben Sie eine Antwort?

Das Spektrum der Szenarien ist weit. Es reicht von einer möglichen Demokratisierung bis hin zum Bürgerkrieg. Als Grundlage müssen wir zunächst verstehen, wie die Russinnen und Russen den Staat wahrnehmen: als eine diffuse Macht, die eine teils rationale, teils irrationale Verfügungsgewalt über die Menschen hat. Ohne den Staat kommt man in Russland nicht aus, aber man hält sich am besten von ihm fern. Denken Sie an das Zarenreich, denken Sie an die Sowjetunion, solche kollektiven Erfahrungen greifen über Generationen.

Im Russischen bezeichnet man den Staat als "Wlast", die "Macht", was einiges aussagt.

So ist es. Die "Macht", der Staat ist in dieser Vorstellung ein mächtiges, nach eigenem Recht handelndes Subjekt. Ihm steht das Volk gegenüber, das ihm praktisch ausgeliefert ist. Wenn man also halbwegs gut durchs Leben kommen will, muss man sich mit dem Staat arrangieren, aber sich zugleich von ihm fernhalten. Denn sonst kann es gefährlich werden. Nun hat sich in Russland durchaus eine Zivilgesellschaft gebildet, wie sich nicht nur im Winter 2011/2012 an den Demonstrationen gegen die massiven Wahlfälschungen für die Wahl zur Duma gezeigt hat. Nur hat sich Putin, und damit der Staat, also die "Macht", am Ende wieder durchgesetzt. Für die Zukunft schließe ich eine Demokratisierung Russlands allerdings nicht aus. Wie der Weg nach Putin dahin aussehen könnte, ist aber offen.

Als Schreckgespinst wurde in den vergangenen Jahren immer ein neuer Bürgerkrieg ins Feld geführt, falls Russland den Krieg verlieren sollte. Wie realistisch ist dieses Szenario?

Im Moment dürfte es eher unrealistisch sein. Erst recht, wenn Trump Putin den Sieg schenkt. Tatsächlich hat das Szenario eines neuen russischen Bürgerkriegs seine historischen Wurzeln noch weit tiefer. Moskau gilt der Russisch-Orthodoxen Kirche seit dem Fall von Byzanz 1453 an die Osmanen als das Dritte Rom. Ein viertes Rom wird es in dieser Ideologie nicht geben, was bedeutet, dass Russland überleben muss und bei einem möglichen Scheitern das Äußerste folgen könnte. Und das wäre die Atombombe. Nun glauben nicht mehr unbedingt viele Russen an das Dritte Rom, aber die Vorstellung einer besonderen Mission Russlands ist durchaus verwurzelt.

Vor allem wähnen sich Russland und sein Regime auf einer Art Kreuzzug gegen den Westen.

Die kulturelle Abgrenzung Russlands erfolgt immer gegen den Westen. Der Westen ist und bleibt das Maß, an dem in Russland alles gemessen wird. Dabei ist die Tatsache interessant, dass der Westen als schwach angesehen wird, was wenig zu seinem Sieg im Kalten Krieg passt. Aus heutiger Sicht denken viele Russen, der Westen habe Russland damals in einem schwachen Moment erwischt – und viele sind der Meinung, dass das nie wieder passieren soll. Entsprechend können Sie sich vorstellen, welche Genugtuung es bei vielen in Russland ausübt, dass Trump jetzt ähnliche Sachen macht wie Putin und in Europa rechtspopulistische Parteien solche Erfolge feiern in ihrem erklärten Kampf gegen angeblichen "Genderismus" und "Wokeness".

Wie stark sehen Sie Russland?

Im Westen wird Russland fast durchweg als stärker angesehen, als es in Wirklichkeit ist. Putin boxt gerne über seiner Gewichtsklasse, wenn ich dieses Bild verwenden darf. Er versucht, seine Gegner darüber zu täuschen, wie schwach er ist, er nutzt die Elemente von Überraschung und Überrumpelung sehr gut. Wer dies erst einmal erkannt hat, ist weniger anfällig dafür und kann es gut gegen Putin nutzen.

Haben die westlichen Regierungschefs es erkannt?

Ich hoffe es. Wenn Putin im Krieg gegen die Ukraine einen Sieg vermelden kann, wird es richtig gefährlich. Denn die russische Begründung für diesen Krieg ist ja schon lange nicht mehr die Ukraine, sondern die Behauptung, sich in einem existenziellen Verteidigungskrieg gegen den Westen zu befinden. Die Bedrohung bleibt extrem groß. Nicht nur ich frage mich, wie lange der Westen diesen Zustand ständiger Bedrohung wird aushalten können. Trumps Telefonat mit Putin und die Rede von Vizepräsident J. D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz deuten eher darauf hin, dass nicht sehr lange. Mir scheint es mitunter, dass spätestens damit der Westen als "Westen" aufgehört hat zu existieren.

Haben Sie einen Ratschlag?

Man muss Putin eine Tatsache klarmachen; und zwar, dass er tatsächlich über seiner Gewichtsklasse boxt, dass Russland eben nicht so mächtig ist, wie es viele Menschen im Westen denken. Das dürfte sein Selbstvertrauen erschüttern. Aber leider macht Trump gerade genau das Gegenteil.

Herr Siegert, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Jens Siegert via Videokonferenz
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