"Wagner"-Insider packt aus Russlands brutale Taktik der "menschlichen Wellen"
Unter massiven Verlusten haben russische Söldner die Stadt Soledar eingenommen. Ein Bericht zeigt jetzt, wie unerbittlich die Kämpfer in den Tod geschickt werden.
Selbst russische Kriegsblogger sprechen von Bachmut unverhohlen als "Fleischwolf". Schätzungsweise 20.000 Kämpfer soll die russische Söldnertruppe "Wagner" bei der Schlacht um die Stadt in der Ostukraine schon verloren haben, hauptsächlich Rekruten aus russischen Gefängnissen. Doch abgesehen von der Kleinstadt Soledar konnten die Angreifer bislang kaum Geländegewinne erzielen. Jetzt schildert ein mutmaßlicher Insider der Privatarmee die menschenverachtende Logik hinter den Angriffen.
"Es gehen immer Gruppen von acht Leuten in Wellen los, normalerweise werden für jeden Angriff vier Gruppen vorbereitet", heißt es in dem Bericht, der auf der "Wagner"-nahen russischen Internetseite rucriminal.info erschienen ist. "Es gab vor Soledar aber auch Fälle, bei denen es 14 Angriffswellen brauchte, um ein Gebiet zu nehmen", heißt es. "Natürlich gab es Überlebende, aber die Verluste waren dreistellig, und das nur an einem Frontabschnitt." Die erste Gruppe bestehe immer aus den erfahrensten und am besten ausgerüsteten Kämpfern, so der Bericht. Dafür sei ihre Aufgabe auch die gefährlichste.
Rekruten werden massiv eingeschüchtert
"Die erste Gruppe muss die Kontaktlinie mit dem Feind unter allen Umständen erreichen, und das ist bei Wagner keine Phrase. Wer es nicht bis zur Feuerlinie schafft, wird hingerichtet, unabhängig von den Umständen", so der anonyme Autor. "Wenn die Feuerlinie erreicht ist, muss die erste Gruppe dort Schützengräben ausheben. Das wird fast genauso intensiv trainiert wie Kampfeinsätze und ist sehr effektiv. Dann markiert die Gruppe ihre Position zum Beispiel mit einem Stück Stoff in einem Baum, damit die zweite Gruppe die Position findet, selbst wenn die andere Gruppe komplett getötet wurde." Von den Gräben aus müssten die Soldaten dann Positionsdaten ukrainischer Stellungen an die eigene Artillerie weiterleiten.
Diese Drohnenaufnahmen der ukrainischen Armee sollen Angriffe russischer Soldaten auf Soledar zeigen:
Normalerweise werde der Vorstoß der Angriffsgruppen begleitet von eigenem Artilleriefeuer, das die Artillerie der Ukrainer unterdrücken soll, heißt es weiter. "In letzter Zeit gibt es aber nicht mehr ausreichend Granaten, sodass die erste Gruppe kaum Überlebenschancen hat, weil sie den Gegenangriff voll abbekommt." Dabei setzen die "Wagner"-Kommandeure offenbar auf brutale Disziplinierungsmaßnahmen, um ihre Soldaten für die selbstmörderischen Einsätze zu "motivieren": "Zuerst sehen die Neulinge aus den Strafkolonien Hinrichtungen in Videos, bald darauf dann in echt. So unterwerfen sie sich komplett dem Drill. Anders wären Angriffe unter diesen Umständen gar nicht möglich."
"Wagner" geht das Personal aus
Inzwischen würde aber nicht nur Artilleriemunition knapp, sondern auch Personal, heißt es weiter. "Die Rekrutierung in den Gefängnissen brachte einen ganzen Strom an Menschen, aber die sind jetzt weg. Und selbst wenn morgen eine große Mobilmachung beginnt, wäre es nicht möglich, ausreichend Leute zu bekommen. Die Wagner-Kommandeure rechnen bereits damit, an andere Frontabschnitte verlegt zu werden, auch wenn sie tönen, dass sie den Druck noch erhöhen und Bachmut erobern werden."
Tatsächlich berichten auch US-Experten vom Institute for the Study of War (ISW), dass die von der "Wagner"-Gruppe geführten Angriffe auf Bachmut zuletzt ihren Höhepunkt überschritten hätten. Russland setzt an dem Frontabschnitt demnach nun vermehrt reguläre Einheiten der Armee ein. Die "Wagner"-Gruppe wurde 2014 vom Putin-Vertrauten Jewgeni Prigoschin gegründet und kämpfte seither in der Ostukraine, in Syrien sowie in mehreren afrikanischen Ländern. Die US-Regierung hat "Wagner" zuletzt auf die Liste internationaler krimineller Organisationen gesetzt. Den Söldnern werden brutale Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen.
- rucriminal.info: Soledar: "Zuerst werden ihnen Hinrichtungen auf Video gezeigt, dann sehen sie reale Beispiele" (russisch; Stand: 2. Februar 2023)
- understandingwar.org: Russian Offensive Campaign Assessment, January 31 (englisch; Stand: 2. Februar 2023)