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Flug MH17: "Sie sind weg, für immer"


Chronik des Verbrechens
Flug MH17: "Sie sind weg, für immer"

Von dpa
Aktualisiert am 17.11.2022Lesedauer: 4 Min.
452285552Vergrößern des BildesWrackteil des Flugzeugs: Anwälte und Kläger fordern Gerechtigkeit für die 298 Opfer der abgeschossenen MH17. (Quelle: Dominique Faget/AFP/Getty Images)

298 Menschen starben 2014 beim Abschuss des Flugs MH17 über der Ostukraine. Nun wurden drei der Urheber verurteilt. Ein Überblick.

Es war ein strahlender Sommertag, als die Boeing 777 der Malaysia Airlines mit Flugnummer MH17 am 17. Juli 2014 vom Amsterdamer Flughafen Schiphol abhob. 12.31 Uhr. Keine drei Stunden später war die Maschine explodiert. Alle 298 Menschen an Bord waren tot.

In gut 10 Kilometer Höhe über umkämpftem Gebiet in der Ostukraine war um 15.20 Uhr an der linken Seite des Cockpits eine Rakete explodiert. Hunderte kleinste Teilchen hatten das Flugzeug durchbohrt. Jedes einzelne ein tödliches Geschoss.

Trümmer und Leichenteile lagen noch Wochen später im Gebiet

Nach dem Abschuss lagen noch Wochen Trümmer, Gepäckstücke und Leichenteile in einem rund 50 Quadratkilometer großen Gebiet zwischen Sonnenblumenfeldern. Aus den Trümmern war später in den Niederlanden die Maschine rekonstruiert worden – für die Ermittler und Richter.

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Damals tobten im ostukrainischen Donbass bereits Kämpfe. Internationale Ermittler stellten fest, dass die Buk-Rakete aus Russland kam und der russischen Armee gehörte. Sie war den Ermittlern zufolge von einem Feld abgeschossen worden, das von den Rebellen kontrolliert wurde. Das Geschütz war anschließend über die Grenze zurück nach Russland geschafft worden.

Moskau weist alle Vorwürfe entschieden zurück und macht vor allem die Ukraine verantwortlich. Die Ermittlungen und das Gericht hat der Kreml auch nie anerkannt.

Angeklagte waren ranghohe prorussische Separatisten

Die Angeklagten hatten damals hohe Funktionen bei den prorussischen Separatisten in der Ostukraine: Igor Girkin war einst russischer Geheimdienstoffizier und Kommandant der Separatisten im Donbass, genannt "Strelkow". Sergej Dubinski, ein früherer russischer Offizier und Stellvertreter Girkins. Oleg Pulatov wiederum war Dubinskis Assistent.

Leonid Chartschenko, der Ukrainer, soll eine Kampfeinheit in der Region geleitet haben. Sie sollen der Anklage zufolge das Luftabwehrgeschütz vom Typ Buk besorgt haben und für den Abschuss der Rakete verantwortlich sein. Die Anklage lautete auf Mord in 298 Fällen. Die Staatsanwaltschaft forderte lebenslange Haftstrafen. Girkin, Dubinski und Chartschenko bekamen sie, Pulatov wurde freigesprochen.

"Haben acht Jahre und vier Monate auf diesen Tag gewartet"

Piet Ploeg saß auf einer Terrasse in den Niederlanden, trank ein Gläschen mit Kollegen, als der Bericht vom Absturz kam. Die Maschine war auf dem Weg nach Kuala Lumpur, an Bord waren auch sein Bruder Alex, seine Schwägerin Edith und ihr 21 Jahre alter Sohn Robert. Später an dem Tag drang es zu ihm durch: "Sie sind weg, für immer. Und das zerreißt dir das Herz."

Zum Prozess in Amsterdam sagte Piet Ploeg im Vorfeld: "Wir haben acht Jahre und vier Monate auf diesen Tag gewartet." Er ist auch Sprecher der Hinterbliebenen. "Wir hoffen, dass es ein Tag der Gerechtigkeit wird." Im Gerichtssaal am Amsterdamer Flughafen Schiphol war seit März 2020 der Strafprozess gegen die vier beschuldigten Männer geführt worden.

Die Opfer kamen aus zehn Ländern, vier davon aus Deutschland. Da die meisten Opfer Niederländer waren, fand der Prozess dort statt. Hunderte Angehörige waren bei der Urteilsverkündung zugegen. Keiner wagte vorherzusagen, wie das Urteil lauten wird. Klar war nur, dass die vier Angeklagten ihrer Strafe wohl entkommen werden, da sie sich wohl alle in Russland aufhalten. Es gilt als unwahrscheinlich, dass sie ausgeliefert werden.

Keiner der Angeklagten erschien jemals im Gericht. Nur einer, Pulatov, hatte sich verteidigen lassen. "Er weist jede Verantwortung zurück", erklärten seine Anwälte und forderten einen Freispruch.

Prozess könnte für weitere Prozesse aus Kriegsverbrechen wichtig sein

Klar ist, dass die vier angeklagten Männer nicht selbst auf den Knopf gedrückt haben. Mit einer Beweiskette aber legten die Ankläger dar, dass sie für die Beschaffung der Waffe und den Abschuss gesorgt hätten. "Nach der Argumentation der Anklage nahmen sie dabei in Kauf, dass sie auch ein ziviles Flugzeug treffen konnten", sagt die Juristin Marieke de Hoon.

Die Anklage legte eine Fülle an Beweisen vor, Fotos, Videos, Daten, Funkverkehr, Satellitenaufnahmen. Doch viele der Beweise stammen aus offenen Quellen oder von sozialen Medien. "Diese digitalen Beweise sind juristisches Neuland", sagt De Hoon. "Eine Anerkennung kann wichtig sein für andere Prozesse zu Kriegsverbrechen."

Drei Angeklagte wurden verurteilt

Die fünf Richter sahen es als erwiesen an, dass die beiden verurteilten Russen Girkin und Dubinski und der Ukrainer Chartschenko für den Einsatz der Luftabwehrrakete vom Typ Buk verantwortlich waren, mit der die Boeing abgeschossen wurde. Das Geschütz war dem Urteil zufolge vom russischen Militärstützpunkt Kursk in die Ukraine geliefert und nach dem Abschuss wieder zurück über die Grenze gebracht worden.

Die Angehörigen erhofften sich vor allem Antwort auf die Frage: Was hat Russland mit dem Abschuss zu tun? Diese Frage sei fast noch wichtiger als die der Rolle der Angeklagten, sagt Ploeg. "Denn kein Staat darf davonkommen mit Massenmord." Ploeg ist überzeugt: "Unsere Angehörigen waren die ersten internationalen Opfer des Ukraine-Krieges."

Das Gericht befand jedoch: Die Angeklagten könnten nicht als Teil der russischen Streitkräfte angesehen werden – auch weil Russland jegliche Verantwortung abstreitet.

Das Urteil wird allerdings nicht das letzte im Verfahren zu Flug MH17 sein. Die Juristin De Hoon rechnet mit einer anschließenden Berufung und weist auch auf weitere Verfahren hin, wie etwa vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Doch Angehörigen-Sprecher Ploeg hofft auf eine Zäsur. "Ich hoffe, dass viele nun Abstand gewinnen können", sagte er vor der Urteilsverkündung. "Doch das Kapitel abschließen, das kann nie geschehen."

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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