Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online."Im Kalten Krieg war die Welt stabiler als heute" Gysi eckt bei Illner mit Ukraine-Äußerungen an
Sahra Wagenknecht bekommt bei ihrer umstrittenen Kritik an der Bundesregierung Unterstützung von Parteifreund Gregor Gysi. Als der den Kalten Krieg fast schon verherrlicht, spricht Maybrit Illner Klartext.
"Das größte Problem ist Ihre grandiose Idee, einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen." Mit dieser Aussage hat die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht auch Parteikollegen gegen sich aufgebracht. Die teilen sich jetzt fast schon in Pro- und Contra-Lager.
Embed
"Spricht Wagenknecht auch in Ihrem Namen?", wollte Maybrit Illner deshalb am Donnerstag von Gregor Gysi wissen. Der biss schließlich an. "Ich hätte es anders ausgedrückt, aber das heißt ja nicht, dass das falsch ist, was sie sagt", sagte Gysi.
Die Gäste
- Omid Nouripour, Grünen-Parteichef
- Gregor Gysi (Die Linke), außenpolitischer Sprecher
- Ben Hodges, Ex-Kommandeur des US-Heeres in Europa
- Margarete Klein, Expertin für russische Militärpolitik
- Katrin Eigendorf, ZDF-Auslandsreporterin
- Peter Neumann, Experte für Terrorismus und Geopolitik
Zuvor hatte der Linken-Politiker versucht, sich vor einer konkreten Antwort zu drücken. Als die ZDF-Moderatorin ihn mit Wagenknechts Zitat konfrontierte, stellte sich Gysi anfangs dumm: "Ich weiß nicht genau, ob das ihre Formulierung gewesen war. Ich war ja auch nicht dabei."
Diese Aussage überraschte so manchen Zuschauer. Schließlich fiel Wagenknechts Zitat nicht in irgendeinem Interview, sondern während der Bundestagssitzung am 8. September 2022. In der wurde auch die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes beschlossen. Der Abgeordnete Gysi stimmte laut dem Bundestagsprotokoll mit "Nein".
Gysi: Rückendeckung für Wagenknecht
Der außenpolitische Sprecher seiner Fraktion war auch in anderer Hinsicht auf selber Linie wie seine umstrittene Parteifreundin. "Warum haben wir das Ziel, die russische Bevölkerung zu verarmen? Die hat den Krieg nicht beschlossen", behauptete Gysi in der ZDF-Talkshow. Eine weitere seiner Thesen lautete: "Die USA hatten immer ein Interesse daran, Nord Stream 2 et cetera zu verhindern. Und deshalb sind sie natürlich auch ein bisschen zufrieden mit den wirtschaftlichen Ergebnissen dieses Krieges."
Illner gab sich recht schnell keine Mühe mehr, mit ihrer Meinung über den Gast hinter dem Berg zu halten. Der forderte einen Waffenstillstand, "damit das Töten erst mal aufhört, ohne irgendwelche falschen Zugeständnisse zu machen". Eine solche Einigung der Ukraine mit Russland müsse dann vom Westen akzeptiert werden. "Wir können nicht sagen: Ihr müsst weiterkämpfen", unterstrich Gysi. "Das sagt ja auch keiner", wunderte sich Illner.
Gänzlich die Geduld verlor sie, als der ehemalige SED-Parteichef sich zur Aussage hinreißen ließ: "Im Kalten Krieg war die Welt stabiler als heute. Das ist ja geradezu absurd." Die 1965 in Ost-Berlin geborene Journalistin belehrte kühl: "Man darf ja immer noch darüber froh sein, dass die Welt nicht mehr in Blöcke geteilt ist. Damit ist Außenpolitik aber automatisch ein bisschen komplexer." Auf einen Tweet der Redaktion mit dieser Retourkutsche mussten Nutzer des Netzwerks leider verzichten.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Nouripour greift Gysi an
Grünen-Chef Omid Nouripour war wegen des bevorstehenden Parteitags in Bonn zugeschaltet und regte sich aus der Ferne ein ums andere Mal über Gysis Äußerungen auf. "Sie entziehen sich der Verantwortung beim Thema Ukraine", kommentierte er dessen Ablehnung deutscher Waffenlieferungen unter Verweis auf die deutsche Schuld am Zweiten Weltkrieg. Nach Ansicht von Nouripour muss angesichts der verstärkten Raketenangriffe Russlands auf die Ukraine die Devise vielmehr lauten: "Liefern, was gebraucht wird. Jetzt geht es um Geschwindigkeit."
Auch in Deutschland selbst muss laut Nouripour dringend mehr für den Schutz vor Aggressoren getan werden, um Sabotageakte zu verhindern. Der Katastrophenschutz etwa verfüge über "gefährlich wenig" Hubschrauber, kritisierte der Grünen-Chef. Er warnte zudem davor, sich auf eine "Pseudostabilität" wie im Kalten Krieg mit verschiedenen Einflusssphären der USA und Russlands einzulassen.
Die aktuelle Offensive des russischen Machthabers Wladimir Putin könnte nach Ansicht des US-Generalleutnants a. D., Ben Hodges, erst der Auftakt sein. Muss nach der Ernennung von General Sergej Surowikin (auch als "Schlächter von Syrien" bekannt) zum Oberkommandeur der sogenannten Spezialoperation befürchtet werden, dass es in der Ukraine zu Bombardements wie in Aleppo kommt?, fragte Illner. "Ja, natürlich", entgegnete Hodges. Surowikin sei von Putin wegen seiner Brutalität und Loyalität ausgewählt worden.
Militärexperte: Krieg könnte 2023 zu Ende sein
Der Militärexperte, der bis Ende 2017 Oberkommandierender der US-Landstreitkräfte in Europa war, trug aber eine hoffnungsvolle Botschaft in die Runde bei "Maybrit Illner". Denn Putin läuft seiner Ansicht nach die Zeit davon. Dieser Winter sei der letzte, in dem Russland die europäische Wirtschaft noch unter Druck setzen könne. "Die Russen haben ihre Gas-Karte, das Ass im Ärmel, viel zu früh gespielt", attestierte Hodges dem Kreml. Deutschland habe sich nun an die neue Energie-Wirklichkeit angepasst.
Hodges warb um nur noch etwas mehr Durchhaltevermögen. "Wenn wir jetzt zusammenhalten, dann wird schon im nächsten Sommer wahrscheinlich Russland zurückgedrängt sein auf die Linien des 23. Februar und ich glaube sogar, dass bis zum nächsten Sommer die Krim-Halbinsel befreit sein kann", prognostizierte er.
- zdf.de: "Maybrit Illner" vom 13. Oktober 2022
- bundestag.de: Protokoll zur Bundestagssitzung am 8. September 2022