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Tagesanbruch: “Islamischer Staat“ im Irak und Syrien – Die neue Gefahr


Meinung
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Tagesanbruch
Die neue schwarze Gefahr

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 06.02.2019Lesedauer: 7 Min.
Kämpfer des "Islamischen Staats" in einem erbeuteten syrischen Kampfjet im Jahr 2015.Vergrößern des Bildes
Kämpfer des "Islamischen Staats" in einem erbeuteten syrischen Kampfjet im Jahr 2015. (Quelle: imago/ Archivbild)

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,

heute möchte ich mich als Erstes für Ihren Zuspruch bedanken, denn der Tagesanbruch verzeichnet stetig wachsende Abrufzahlen. Die Ausgabe am Montag wurde von mehr als 150.000 Menschen gelesen, beim Audio-Tagesanbruch am Wochenende waren es rund 80.000 Abrufe. Wenn Sie mögen, empfehlen Sie das Format gern weiter: Meine geschätzte Kollegin Anna-Lena Janzen in unserem Büro in Melbourne verschickt den Newsletter, den ich bis spät in der Berliner Nacht geschrieben habe, an jedem Werktagmorgen um 6 Uhr unserer Zeit per E-Mail an alle Abonnenten (das Registrierungsfeld steht rechts neben diesem Text, auf dem Smartphone ganz am Ende dieses Artikels).

Und hier ist der kommentierte Überblick über die Themen des Tages:

Was war?


Donald Trump ist ein vielbeschäftigter Mann. Das ahnten wir schon nach der Lektüre des Enthüllungsbuchs von Bob Woodward, und das wissen wir spätestens, seit eine US-Website am Sonntag Trumps Terminkalender veröffentlicht hat. Fernsehen, twittern, Golf spielen, dinieren: Das kostet alles viel Kraft und Zeit; da können die amerikanischen Bürger froh sein, dass ihr Präsident zwischendurch Zeit für eine Rede gefunden hat. Immerhin gilt die "State of the Union" vor den beiden Häusern des Kongresses als einer der wichtigsten Momente im politischen System der USA. Wir hierzulande können die Bedeutung wohl nur ermessen, wenn wir uns vorstellen, die Bundeskanzlerin, der Bundespräsident und die Verteidigungsministerin würden gemeinsam vor Bundestag, Bundesrat, den wichtigsten Bundeswehrgenerälen sowie allen Fernsehzuschauern von ARD, ZDF, RTL und SAT.1 erklären, wohin sie Deutschland in diesem Jahr steuern wollen (und dann hätte die Veranstaltung immer noch nicht den glanzvollen Rahmen, der dem US-Präsidenten geboten wird). Die ganz große Bühne bot sich Donald Trump also, als er vors Mikrofon trat. Hat er die Gelegenheit genutzt, was hatte er überhaupt zu sagen? Unser Washington-Korrespondent Fabian Reinbold hat die Rede zur Lage der Nation verfolgt. Hier steht sein Bericht.


Bevor wir nun nach vorne schauen, möchte ich Ihnen noch fünf kurze Gedanken mit auf den Weg geben. Der Herr im Weißen Haus mag ganz anders sein als seine Vorgänger, er interessiert sich offenkundig weder sonderlich für Fakten noch für andere Meinungen als seine eigene. Er trampelt wie ein Elefant durch den Porzellanladen der internationalen Politik, er ist unberechenbar, stößt Menschen vor den Kopf und hat ein ordinäres Mundwerk.

Aber erstens ist er demokratisch gewählt, repräsentiert also rechtmäßig sein Land. Anders als manche seiner Vorgänger sagt er zweitens meistens, was er denkt (und will), auch wenn er seine Meinung zu manchen Themen öfter wechselt als seine Krawatte. Drittens trägt er durch seine egoistische Politik dazu bei, dass die europäischen Staaten sich auf ihre eigenen Stärken besinnen und (zumindest Deutschland und Frankreich) enger zusammengehen. Und viertens ist er nur auf Zeit gewählt. In ziemlich genau zwei Jahren werden die Amerikaner entscheiden können, ob sie den Elefanten vier weitere Jahre lang erdulden wollen. Was in vielen anderen Staaten dieser Welt undenkbar wäre, ist in Amerika eine Selbstverständlichkeit. Das ist doch, fünftens, tröstlich – oder?


Was steht an?

Wer sich vor vier Jahren für das Geschehen im Nahen Osten interessierte (und das dürften damals die meisten aufmerksamen Zeitgenossen gewesen sein), der konnte der Fratze des Bösen ins Gesicht blicken. Männer mit Bärten und schwarzen Fahnen, den Zeigefinger der einen Hand zum monotheistischen Glaubensbekenntnis erhoben, in der anderen Faust Messer oder Gewehr, einen Fuß auf der Leiche eines Gegners: So grinsten sie in die Smartphone-Kameras. Erbarmungslose Kämpfer, die Journalisten enthaupteten, Soldaten bei lebendigem Leibe verbrannten, Frauen vergewaltigten und ihre Grausamkeiten auch noch als gottgefällige Ruhmestaten verbrämten.

Im zivilisierten Europa kamen viele Beobachter damals kaum über das Entsetzen im Angesicht der Bilder hinaus; nur wenige fragten nach den Gründen, wie es so weit hatte kommen können. Das Böse ist das Böse, Monster sind Monster, ebenso abschreckend wie unerklärlich, da hilft nur maximale Gegengewalt. Folglich war dies das wichtigste Mittel, das die "Koalition gegen den 'Islamischen Staat'" einsetzte, angeführt von den USA, darunter aber auch Deutschland und viele andere EU-Länder (hier die Übersicht). Bomben und Marschflugkörper aus der Luft, Panzergranaten und Maschinengewehrsalven am Boden: So schoss die Koalition den IS in die Defensive, wobei kurdische Milizen die Drecksarbeit übernahmen. Kaum verwunderlich, obsiegte die Macht der Stärkeren, und vor rund einem Jahr verkündete die irakische Regierung den "vollständigen Sieg über den IS". US-Präsident Trump sah sich Ende vergangenen Jahres bemüßigt, den Abzug seiner Truppen aus Syrien zu befehlen – der IS sei ja "besiegt".

Der Haken an der Sache: Der IS ist nicht besiegt. Nicht im Geringsten. Um das zu verstehen, reicht es allerdings nicht, sich nur auf den heutigen Schlachtfeldern umzuschauen; man muss auch die Kriegsschauplätze der Vergangenheit betrachten. Leider fragen auch heutzutage nur wenige Menschen nach den Gründen, wie der IS damals überhaupt so stark werden konnte. Nur wenige interessieren sich dafür, dass die IS-Offiziere nicht aus dem Himmel fielen, sondern sich zum großen Teil aus Saddam Husseins Einheiten rekrutierten, die die US-Armee nach ihrem Einmarsch im Irak 2003 aufgelöst hatte, ohne ihnen eine neue Aufgabe zu geben. Nur wenige interessieren sich dafür, dass Syriens Diktator Assad mit Wissen der westlichen Staaten jahrelang den IS päppelte, weil der seinen ärgsten Feind – die Freie Syrische Armee – bekämpfte. Nur wenige interessieren sich dafür, dass viele säkulare Assad-Gegner, nachdem sie jahrelang vergebens auf die Hilfe Europas gehofft hatten, sich unter dem Druck der mit Assad verbündeten iranischen Milizen irgendwann verzweifelt den "Gotteskriegern" zuwandten. "Ihr habt uns im Stich gelassen. Das Einzige, was uns bleibt, um unsere Familien gegen Assad zu schützen, ist, uns bei den 'Religiösen' einzureihen", schrieb mir ein syrischer Aktivist vor einem Jahr.

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So ein Satz wirft mehr Fragen auf, als ich in einer Tagesanbruch-Ausgabe erörtern kann. Zudem reicht mein Wissen auch nach Lektüre mehrerer Bücher zum IS nicht aus, um auf jede dieser Fragen eine Antwort zu finden. Ich ahne aber: Würde man alle diese Fragen viel intensiver diskutieren, könnte man vielleicht besser verstehen, warum der "Islamische Staat" im Februar 2019 alles andere als besiegt ist. Warum es eben nicht gereicht hat, fast 70.000 Kämpfer zu töten und sich dann anderen Problemen zuzuwenden. Warum schon die nächste Generation bereitsteht, warum sich sowohl im Irak als auch in Ostsyrien als auch in Libyen als auch in Afghanistan wieder bärtige Männer sammeln, die ihr Wissen über Bombenbau, Staatsorganisation, Schutzgelderpressung, verdeckte Kommunikation und die Organisation von Terroranschlägen an die Jüngeren weitergeben. Ein Sieg ist eben leichter verkündet als errungen.

Offenbar dämmert das nun auch den Außenministern der "Anti-IS-Koalition". Heute treffen sie sich in Washington zu Beratungen, Bundesaußenminister Heiko Maas ist auch dabei. Das amerikanische Außenministerium scheint zumindest einen realistischeren Blick auf das Problem zu haben als der amerikanische Präsident. Ohne entsprechenden Druck könne der IS "wahrscheinlich innerhalb von sechs bis zwölf Monaten wieder aufleben" und einen Teil des verlorenen Geländes zurückgewinnen, heißt es im jüngsten Bericht des Pentagons. Die Fratze des Bösen könnte uns also schon bald wieder aus den Fernsehbildern und Smartphone-Videos entgegengrinsen. Aber warum sie wieder da ist, das begreifen wir nur, wenn wir verstehen, woher sie kommt. Und welchen Anteil wir daran haben.


Die Weimarer Republik gilt uns heute als gescheitertes politisches System. Attackiert von Extremisten links wie rechts, destabilisiert vom Fehlen eines konstruktiven Misstrauensvotums, durchgerüttelt von der Weltwirtschaftskrise, im Stich gelassen von nationalistischen Säbelrasslern, mündete die erste Republik auf deutschem Boden in den Nationalsozialismus. Was wir bei dieser Betrachtung oft vergessen: Die Weimarer Republik war besser als ihr heutiger Ruf. Wir dürfen sie nicht nur vom Ende her denken, wir sollten auch ihren konstruktiven Beginn und ihre vielen Errungenschaften sehen, forderte Bundespräsident Steinmeier Ende vergangenen Jahres. Die Entmachtung des Kaisers, der Parlamentarismus, das Frauenwahlrecht, die Unabhängigkeit der Justiz, die Kontrolle der Polizei und natürlich auch die Blüte der Kultur und der Wissenschaft.

Vieles also gibt es hervorzuheben, vieles gibt es zu sagen, wenn die Spitzen unserer bundesrepublikanischen Demokratie heute Nachmittag bei einem Festakt in Weimar des 100. Jahrestages gedenken, an dem erstmals die verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung zusammentrat. Bundespräsident Steinmeier wird in Anwesenheit von Bundestagspräsident Schäuble, Bundeskanzlerin Merkel, Bundesratspräsident Daniel Günther und dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, eine Rede halten und dabei vermutlich einen Bogen von damals bis heute spannen. Vorher richtet die Stadt Weimar ein Bürgerfest aus, an dem auch Nachfahren von Parlamentariern der Weimarer Republik teilnehmen, unter anderem vom ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert und vom späteren Reichskanzler und Außenminister Gustav Stresemann. Da wäre ich gerne dabei.


Was lesen?

Als um 0.50 Uhr in der Nacht zu gestern der Airbus 321 auf dem Flughafen Münster-Osnabrück landete, wusste Jonas Schmidt noch nicht, dass er sich einen neuen Job suchen muss. Bisher verdiente er sein Geld als Flugbegleiter bei Germania. Jetzt ist die Berliner Airline bankrott. Was macht das mit einem Menschen, wenn ihm von heute auf morgen der Job, die Arbeitskollegen, die Hoffnung auf eine berufliche Perspektive genommen werden? Meiner Kollegin Nathalie Helene Rippich hat Jonas Schmidt erzählt, wie er noch an Bord von der Pleite seines Arbeitgebers erfahren hat – und wie emotional die Crew und die Passagiere reagierten.


Ich bekenne: Ich bin Minimalist. Na ja, zumindest, wenn es um Einrichtung geht. Was gibt es Schöneres als eine leere Wand oder ein großes Zimmer mit viel, viel Platz? Geschmacksache, ich weiß. Und ich ahne auch, dass viele Gäste meine Wohnungseinrichtung eher für eine Zumutung als für den Gipfel der Ästhetik halten. Aber ich stehe zu meiner Leere und freue mich jedes Mal, wenn ich den Blick durch die kargen Räume schweifen lassen kann. Da weitet sich der Geist, da stößt er sich nicht an Ecken, Kanten und Radaddelchen. Dies vorausgeschickt, werden Sie meine Freude verstehen, als ich das Interview meiner Kollegin Ana Grujić mit Sabine Bobert gelesen habe. Die Theologin erforscht seit vielen Jahren die minimalistische Lebensweise und lebt selbst nach der Devise "weniger ist mehr". Nach der Lektüre komme ich allerdings ins Grübeln: Wenn Gegenstände tatsächlich unsere Charakterzüge widerspiegeln, was sagen meine leeren Zimmer dann über meinen Kopf aus?


Was amüsiert mich?

Unser Cartoonist Mario Lars ist ein Teufelskerl! Er hat es tatsächlich geschafft, Donald Trumps Redemanuskript in die Hände zu bekommen!

Ich wünsche Ihnen einen vergnügten Tag.

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online.de
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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