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Wahlkampf: Merz, Weidel und Co. versprechen das Blaue vom Himmel


Tagesanbruch
"Ein Armutszeugnis"

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 14.01.2025 - 07:22 UhrLesedauer: 6 Min.
Friedrich Merz (l.), Robert Habeck: Die Wahlkämpfer versprechen große Geschenke.Vergrößern des Bildes
Friedrich Merz (l.), Robert Habeck: Die Wahlkämpfer versprechen große Geschenke. (Quelle: Michele Tantussi / REUTERS)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

"Ehrlich währt am längsten", heißt es, aber das gilt offenbar nicht für Wahlkämpfer. Wie sonst ist zu erklären, dass sämtliche Kanzlerkandidaten dem Wahlvolk das Blaue vom Himmel versprechen? Alle möglichen Wohltaten sichern sie den Bürgern im Gegenzug für ihre Stimme zu: Die FDP kündigt 138 Milliarden Euro Steuerentlastungen an, vor allem für Spitzenverdiener. CDU und CSU wollen den Bürgern 99 Milliarden Euro bescheren, die AfD ebenfalls rund 100 Milliarden, bei den Grünen sind es 48 Milliarden und bei der SPD immerhin noch 30 Milliarden Euro.

Der Haken: Keine Partei sagt genau, wo sie den Geldsegen eigentlich herzunehmen gedenkt. Friedrich Merz hofft einfach mal darauf, dass seine Inthronisierung als Kanzler und ein paar Korrekturen beim Bürgergeld einen Wirtschaftsaufschwung auslösen. Die SPD-Chefs Lars Klingbeil und Saskia Esken haben die Klassenkampfrhetorik ausgemottet und propagieren Umverteilung von oben nach unten. FDP-Boss Christian Lindner will alle möglichen Ministerien und Behörden abschaffen, ohne zu erklären, wer dann die Arbeit machen soll. AfD-Frontkämpferin Alice Weidel meint ernsthaft, mit dem Austritt aus der Euro-Zone und dem Abbau aller Windräder werde Deutschland ein besseres Land. Und Grünen-Stratege Robert Habeck erntet schon einen Proteststurm für den Vorschlag, dass Sparer auf Kapitaleinkünfte ein paar Sozialbeiträge berappen sollen. Wie sollen so 30, 40, 50 Milliarden zusammenkommen?

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Unterm Strich gilt für den einen wie den anderen: Die Versprechen sind konkret, doch ihre Umsetzung ist offen. "Keine der Parteien hat einen soliden Plan für die Zukunft vorgelegt", rügt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. "Die Parteien trauen den Bürgern nicht zu, dass sie mit der Wahrheit umgehen können. Das ist für mich ein Armutszeugnis für die Demokratie."

Im "Tagesspiegel" fordert der Ökonom von allen Parteien mehr Ehrlichkeit: "Dazu gehören mutige Reformen, die so manche Besitzstände beschneiden werden." Stattdessen agierten sowohl Spitzenpolitiker als auch Wirtschaftslenker überwiegend rückwärtsgewandt, kritisiert er: "Politik, Wirtschaft und Lobbyverbände sind alle darauf ausgerichtet, in die Vergangenheit zurückzugehen, alte Strukturen zu zementieren." Viele Bürger hätten noch nicht verstanden, dass es einen grundlegenden Kurswechsel braucht.

In der "Augsburger Allgemeinen" legt Fratzscher nach: "Was mich schockiert, ist, dass die Parteien die Wähler hinters Licht führen wollen." Statt Gaben mit dem Füllhorn zu verteilen, brauche der Staat eigentlich mehr Geld, um all die Aufgaben dieser Krisenzeit zu bewältigen. Zusätzliche Investitionen von 40 Milliarden Euro für die Reparatur von Straßen, Schienen, Brücken und Schulen sowie weitere 30 Milliarden Euro für die Bundeswehr sind nötig – jährlich. Soweit der Fachmann.

Nun muss man wissen: Zwar gilt Herr Fratzscher als SPD-nah, aber ein Sozialist ist er nicht. Seine messerscharfen, aber verbindlich vorgetragenen Analysen werden bundesweit in Parteien, Firmen und Verbänden geschätzt. Umso mehr lassen seine mahnenden Worte im Wahlkampf aufhorchen. Einordnen muss man sie trotzdem.

Denn vermutlich liegt die Wahrheit wie meistens im Leben in der Mitte: Der deutsche Staat muss einerseits effizienter, schneller, schlanker werden. Er sollte wieder den Eindruck vermitteln, dass er gleiche Chancen für alle Bürger herstellt, die sich redlich mühen – und aufhören, Leistungsverweigerer genauso zu alimentieren wie Bedürftige. Er sollte die stark gestiegenen Sozialausgaben drosseln und den Bürgern das gute Gefühl zurückgeben, dass er ihr Steuergeld nicht verprasst, sondern sinnvoll investiert. Dabei muss der Staat sich auch selbst beschneiden. Dass die Ampelparteien zwar ständig von Bürokratieabbau redeten, aber gleichzeitig 1.600 neue Beamtenstellen in Bundesbehörden schufen, ist eine Zumutung.

Andererseits muss ein zukunftsträchtiger Staat an den richtigen Stellen mehr Geld ausgeben als bisher. Forschung und Bildung, Infrastruktur und Klimaschutz, Verteidigung und Sicherheit: Diese sechs Felder sollten jetzt im Mittelpunkt staatlicher Investitionen stehen. "Ich glaube, die meisten Bürger haben eine klare Vorstellung davon, dass dieses Land unter Reformdringlichkeiten zu leiden hat und dass die angepackt werden müssen", hat der ehemalige SPD-Finanzminister Peer Steinbrück soeben im Tagesanbruch-Podcast gesagt. "Dieses Land hat nach wie vor enorme Potenziale, tüchtige Leute, qualifizierte Arbeitnehmer, irrsinnige Wissenschaftspotenziale, universitäre und außeruniversitäre, und es ist nach wie vor wirtschaftlich stark. Aber es wird sich mit der Frage beschäftigen müssen: Wie soll unser Wirtschafts-, unser Industriemodell in der Perspektive der nächsten 5 bis 10 Jahre aussehen? Es wird erhebliche Anstrengungen unternehmen müssen mit Blick auf seine Verteidigungsfähigkeit. Und es wird in Technologie investiert werden müssen und in Existenzgründungen, die technologieorientiert sind. Es wird erkennbar darauf hinauslaufen, dass wir gesamtwirtschaftlich mehr arbeiten müssen. Nicht jeder individuell, aber vor dem Hintergrund der schlechten Produktivität wird die Ansage lauten müssen: Wir werden uns anstrengen müssen."

Warum sagen das so deutlich nur Ökonomen wie Marcel Fratzscher und Politikrentner wie Peer Steinbrück? Warum hört man dergleichen nicht aus den Mündern der Spitzenkandidaten? Weil in Wahlkämpfen hierzulande immer noch Wünsch-dir-was-Beschwörungen besser ankommen als die Wahrheit. Das ist ein Versagen der Kandidaten, aber auch ein Versagen vieler Wähler, die sich lieber in rosarote Träume flüchten, statt der Realität ins Auge zu blicken. Vermutlich geht es uns allen miteinander immer noch zu gut. Es wird wohl noch dauern, bis wir wirklich verstehen, was mit diesem Satz gemeint ist: "Ehrlich währt am längsten."


Abwehr gegen Putins Flotte

Der nördlich von Rügen havarierte Tanker "Eventin" mit fast 100.000 Tonnen Öl an Bord ist nur das jüngste Beispiel: Immer wieder versucht Russland, mit seiner Schattenflotte aus maroden Schiffen die Sanktionen der USA, Großbritanniens und der EU zu umgehen. Doch das ist nicht die einzige Aufgabe der Klapperkähne in Putins hybridem Krieg gegen den Westen. Auch Spionage und Sabotage gehören dazu: Seit anderthalb Jahren häufen sich Vorfälle, bei denen Schiffe ihre Anker auf den Grund herabließen und so Strom- und Datenkabel sowie Pipelines beschädigten. Auf dem von Finnland beschlagnahmten Tanker "Eagle S" wurden zudem Abhörgeräte entdeckt.

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Um der Bedrohungslage in der Ostsee Herr zu werden, kommen die Nato-Anrainerstaaten heute zum Gipfel in Helsinki zusammen. Auch Kanzler Olaf Scholz ist dabei. Geplant ist ein verstärkter Einsatz von Schiffen und Flugzeugen zur Überwachung der kritischen Infrastruktur. Allein das Neu-Mitglied Schweden will dafür 14 Schiffe bereitstellen.


Kreuzritter 2.0

Auf Donald Trumps Kabinettsliste stehen eine Menge schräger Vögel, aber einer ragt optisch heraus: Der designierte Verteidigungsminister Pete Hegseth war zwar selbst Soldat und kann auf Militäreinsätze im Ausland verweisen. Aber er besitzt keinerlei politische Erfahrung oder tiefergehende Expertise in nationaler Sicherheit. Dafür prangen ein überdimensioniertes Jerusalemkreuz-Tattoo und die Kreuzritterparole "Deus vult" ("Gott will es") auf dem Körper des ehemaligen Fernsehmoderators.

Heute muss sich der Kämpfer gegen Frauen in Uniform und überhaupt alles "Woke" einer Anhörung im Senat stellen, um für sein Amt bestätigt zu werden. Weil gegen ihn seit seiner Nominierung Vorwürfe zu sexuellen Übergriffen, rassistischen Äußerungen und Alkoholmissbrauch laut wurden, galt der Termin zwischenzeitlich als Zitterpartie. Mittlerweile soll die republikanische Mehrheit für ihn aber stehen. Das kann ja heiter werden.


Selbst zahlen, bitte!

Bevor Jürgen Klopp heute Nachmittag in Salzburg als neues Maskottchen des Aufputschmittelkonzerns Red Bull vorgestellt wird, richten sich die Blicke aller Fußballfans nach Karlsruhe: Dort urteilt das Bundesverfassungsgericht darüber, ob der Deutschen Fußball Liga Polizeikosten für Hochrisikospiele in Rechnung gestellt werden dürfen. Das nämlich tut seit 2015 der klamme Stadtstaat Bremen – und fände im Fall eines Erfolgs vor Gericht sicher schnell Nachahmer. Gerechtfertigt wäre es.


Ohrenschmaus

Manche Leser schicken mir ihre Lieblingsmusik. Diese hier gefällt mir besonders gut.


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In einer Woche will Donald Trump ins Weiße Haus einziehen. Nun eskaliert der Konflikt zwischen seinen wichtigsten Unterstützern, schreibt mein Kollege Martin Küper.


Zum Schluss

Und was halten Sie vom Bundestagswahlkampf?

Ich wünsche Ihnen einen sonnigen Tag.

Herzliche Grüße und bis morgen

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

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Mit Material von dpa.

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