Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.AfD-Chefin Weidel Wollen Sie wirklich von dieser Frau regiert werden?
Alice Weidel ist Kanzlerkandidatin der AfD. Wie sie als Kanzlerin auf der internationalen Bühne agieren würde, hat sie kürzlich im Gespräch mit einem Amerikaner erläutert. Nein, nicht mit Elon Musk.
Ein paar Tage vor dem 70-minütigen Trashtalk mit Elon Musk hat die AfD-Vorsitzende mit Sumantra Maitra gesprochen, auf einem ganz anderen Niveau. Maitra ist ein Politikwissenschaftler bengalischer Herkunft, ein ideologischer Vordenker der Trump-Kampagne. Sein Gespräch mit Weidel erschien als Interview in der Zeitschrift "The Conservative American".
Über die Weltmacht USA urteilt Weidel beißend-kritisch, aber zutreffend: Amerika sei ein "seltsames Imperium". Von Montag bis Mittwoch regiere dieses Imperium die Welt, von Donnerstag bis Sonntag habe es keine Lust dazu. In der Tat, seit Barack Obama spielt Amerika die Rolle des Weltpolizisten nur noch widerwillig. Irak, Afghanistan, Syrien – was haben wir da zu suchen?
Donald Trump ändert daran nichts, allenfalls die Reihenfolge der Wochentage. Er will den Ukraine-Krieg möglichst schnell beenden, nach Möglichkeit auch den Krieg im Nahen Osten. Von Montag bis Mittwoch. Von Donnerstag bis Sonntag schwadroniert er über die Eroberung von Grönland, droht Panama und Kanada. Ein seltsames Imperium.
Weidel hält Deutschland für ein versklavtes Land
Dieser Großmacht ordne sich Deutschland devot unter, findet Weidel. Der nächste Absatz enthält ausschließlich Originalzitate der AfD-Chefin. Sie werden staunen:
"Wir Deutsche sind ein besiegtes Land. So leben wir seit langer Zeit, definitiv zum Vorteil der USA. Ein Sklave zu sein, hat auch Vorteile. Es ist das vornehmste Recht eines Dieners, sich aus den Schlachten seines Herrn herauszuhalten. Aber die US-Führung mag auch das nicht. Man erwartet von uns, an ihren vielen Kriegen teilzunehmen. Aber warum sollten wir? Wir haben uns bereits aus der Geschichte verabschiedet."
Eine Frage: Leben Sie in einem versklavten Land? Deutschland war tatsächlich ein besiegtes Land, vor 80 Jahren, als das Hitler-Reich zusammenbrach, als unsere Städte in Trümmern lagen, als die Konzentrationslager der Nazis befreit und die ganze Dimension ihres Menschheitsverbrechens offenbar wurde. Amerikaner, Engländer, Franzosen und Sowjets hatten unter hohen eigenen Verlusten ein größenwahnsinniges Deutschland besiegt.
Geschichtsklitterung im Gespräch mit Musk
Elon Musk wies Alice Weidel in dem etwas wirren X-Space darauf hin, was danach geschah: Amerika reichte Deutschland die Hand zur Versöhnung und legte den Marshall-Plan zum Wiederaufbau des zerstörten Landes auf. Musk nannte diese Politik ein historisches Vorbild für die Zukunft des Nahen Ostens. Weidel ging nicht weiter darauf ein, im Nahen Osten kenne sie sich nicht aus. In der deutschen Geschichte sollte sie sich auskennen, schließlich will sie Kanzlerin werden.
Zur Person
Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt. Bei t-online erscheint jeden Dienstag seine Kolumne "Elder Statesman".
Im Gegensatz zu den USA hielten die Sowjets für den Osten Deutschlands keinen Marshallplan bereit. In Dresden, Leipzig und Leuna wurden die noch intakten Industrieanlagen demontiert und in die Sowjetunion geschafft. Die Ostzone, später die DDR, bekam keine Unterstützung, sondern wurde zur Rechenschaft gezogen. Moskau übte als Besatzungsmacht eine ganz andere Dominanz aus als Washington im Westen. Aber auch für dieses Verhältnis ist der Begriff Sklaverei völlig unangebracht.
Es waren übrigens Kommunisten, die nach dem Krieg die DDR als besseres Deutschland aufbauen wollten. Sie hatten in der vordersten Linie des Widerstands gegen Hitler gestanden, sie wurden von der Gestapo verfolgt, vom Volksgerichtshof verurteilt, viele ihrer Genossen waren in den Konzentrationslagern ums Leben gekommen. Hitler war kein Kommunist, wie Alice Weidel gegenüber Musk behauptete. Das ist Geschichtsklitterung.
Die Deutschen sehen Amerika als Freund
Als die Sowjetunion West-Berlin blockierte, organisierte die US-Army eine Luftbrücke, um die Frontstadt des Westens zu versorgen. 1963 erklärte John F. Kennedy vor dem Rathaus Schöneberg: "Ich bin ein Berliner." Der Republikaner Ronald Reagan forderte Gorbatschow 1987 auf: "Tear down this wall" – reißen Sie diese Mauer nieder. Ohne seinen Nachfolger George Bush Senior wäre die deutsche Einheit unmöglich gewesen.
Die meisten Deutschen, vor allem im Westen, empfinden die Amerikaner als Freunde. Sogar jene, die in den wilden Siebzigern gegen den Vietnamkrieg demonstriert und "Ami go home" skandiert haben. Gerhard Schröder lehnte als Bundeskanzler die Beteiligung Deutschlands am Irakkrieg ab. Freundschaft verträgt Differenzen. Sklaverei duldet keinen Widerspruch. Entscheiden Sie selbst, ob Alice Weidel richtig liegt.
Dass Weidel Kanzlerin wird, ist unwahrscheinlich. Nicht jetzt. Aber ein Blick nach Österreich zeigt, wie schnell sich die Dinge ändern können. Eine Bundeskanzlerin Weidel könnte den Amerikanern die Freundschaft kündigen oder, in ihren Worten, Deutschland aus der Sklaverei führen. Außen- und sicherheitspolitisch gäbe es dann eine plausible Alternative: Europa als globale Macht gegen den US-Imperialismus zu stärken.
Weidel müsste es besser wissen
Aber lesen Sie bitte, was Alice Weidel über Europa sagt, wiederum im O-Ton:
"Deutschland braucht Europa nicht zum Überleben. Andersherum ist es richtig. Trotzdem verhält sich die EU, als müssten wir Deutschen unsere vitalen Interessen zurückstellen, um das 'europäische Projekt' nicht zu gefährden. Das ist eine groteske Verzerrung. Entweder lernt die EU unsere nationalen Interessen zu berücksichtigen oder sie wird verschwinden."
Die AfD ist als Euro- und europakritische Partei gegründet worden, diese Haltung ist zu respektieren. Aber Haltung ist das eine, Realität etwas anderes. Mehr als die Hälfte der deutschen Exporte geht in andere EU-Länder. Ist die Sicherung unseres Wohlstands etwa kein vitales Interesse Deutschlands? Wo sieht die AfD die Zukunft der deutschen Wirtschaft? In China? Nun ja, no risk, no fun. In Trumps Amerika? Der Mann liebt Zölle wie andere Männer ihre Frau. Strange. Weidel ist promovierte Volkswirtin. Sie muss es besser wissen.
Die AfD-Chefin glaubt, Deutschland könnte die Brüsseler Bürokratie, das lästige EU-Parlament und Ursula von der Leyen loswerden, aber den freien Handel in Europa behalten. So hatten sich das auch ihre britischen Freunde vorgestellt. Am 1. Februar jährt sich der Brexit zum fünften Mal. Wer erinnert sich noch an seine Protagonisten – Theresa May, Boris Johnson, Liz Truss? Sie haben ihr Volk getäuscht, sie wurden abgewählt.
Schutzlos gegenüber einem aggressiven Russland
"Slaves don't fight" steht über dem Interview, das Maitra mit Weidel geführt hat – Sklaven kämpfen nicht. Darunter steht diese kämpferische Ansage: "Wenn Donald Trump verlangt, dass Deutschland mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit übernimmt, dann sollte er sich über die Konsequenzen im Klaren sein." Sie werde sich dann seine Bedenken gegen North Stream höflich anhören, aber eigene Entscheidungen über die deutsche Energieversorgung treffen. Die müsse Trump akzeptieren, ob ihm das passt oder nicht.
Wer bei Alice Weidel Führung bestellt ... Aber kann man bei ihr auch Sicherheit bestellen? Deutschland könne für sich selbst sorgen, sagt sie. Die Bundeswehr verfüge, so Weidel, über mindestens zwei Drittel des russischen Verteidigungsetats, das Geld werde nur völlig ineffizient ausgegeben. Die USA und die Nato spielen in ihren sicherheitspolitischen Überlegungen keine Rolle. Deutschland würde unter einer Kanzlerin Weidel also auf den atomaren Schutzschirm der Amerikaner verzichten. Dieser Schutzschirm ist unsere Lebensversicherung, vor allem gegen ein aggressives Russland. Ein Land, das in Weidels Welt nicht existiert.
Weidels Zahlen stimmen hinten und vorne nicht. Eine Richtigstellung: Deutschland gibt gut 50 Milliarden Euro im Jahr für die Verteidigung aus. Wladimir Putin hat angekündigt, 2025 umgerechnet 130 Milliarden Euro für das Militär bereitzustellen. Dazu kommen nicht näher bezifferte, streng geheime Budgetposten für die Finanzierung des Ukraine-Kriegs.
Eine AfD-Regierung würde ganz auf die nationale Karte setzen. Amerika? Kann weg. Europa? Kann weg. Was bleibt? Deutschland! Wollen Sie wirklich von Alice Weidel regiert werden?
- Eigene Überlegungen