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Kamala Harris nach dem Demokraten-Parteitag: Die Party ist vorbei


Tagesanbruch
Die Party ist vorbei

  • Daniel Mützel
MeinungVon Daniel Mützel

Aktualisiert am 23.08.2024Lesedauer: 7 Min.
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Kamala Harris (rechts) und ihr Ehemann Doug Emhoff beim Parteitag in Chicago.Vergrößern des Bildes
Kamala Harris (rechts) und ihr Ehemann Doug Emhoff beim Parteitag in Chicago. (Quelle: Charles Rex Arbogast/AP/dpa)

Guten Morgen liebe Leserin, lieber Leser,

an Unterhaltung und Symbolen durfte es auch am letzten Tag des Demokraten-Parteitags nicht fehlen. Der US-Popstar Pink sang "What about us", dann gab es herunterfallende Ballons und viel Konfetti für die Kandidatin. Kamala Harris hat sich in ihrer mit Spannung erwarteten Rede zum Abschluss des Parteitages der Demokraten unter Jubel der Delegierten als "Präsidentin aller Amerikaner" angekündigt.

Die US-Vizepräsidentin betonte, dass die Wahl eine einmalige Gelegenheit sei, einen "neuen Weg nach vorne zu finden", nicht als Mitglieder einer Partei, sondern als Amerikaner. Gleichzeitig warnte sie am frühen Morgen deutscher Zeit vor den Konsequenzen für den Fall, sollte Donald Trump erneut ins Weiße Haus einziehen und nannte ihn "unseriös".

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Aber die politischen Aussagen mal beiseite: wurde Ihnen in den letzten Tagen auch so viel Kitsch in die Timeline gespült? Zu Tränen gerührte US-Demokraten, ekstatische Reden, Giftpfeile gegen Donald Trump, Obamas Penis-Witz, die "ergreifende" Geschichte über Kamala Harris' Patchwork-Familie, obendrein Stars wie Oprah Winfrey, Stevie Wonder und Lil Jon: Der Parteitag der Demokraten in Chicago, Illinois, ist eine nahezu perfekte Inszenierung von Politik.

In Deutschland scheint das vielen zu imponieren, aber ich verwette meine J.D.-Vance-Gesamtausgabe, dass das große Jammern losgeht, sobald man in hiesige Parteitage genauso viel Glamour (und Geld) pumpen würde.

Für ein wenig Nestbeschmutzung empfehle ich daher dieses Video des früheren CNN-Moderators Chris Cuomo. Der Starjournalist, der wegen politischer Verstrickungen 2021 vom Demokraten-freundlichen CNN gefeuert wurde, zeigt eine bisher kaum beachtete Seite des Gute-Laune-Parteitags. Er lässt die Kamera auf die Logenplätze des Parteitags kreisen, die zwischen 100.000 und 5 Millionen Dollar kosten. "Glauben Sie, da sitzen Lehrer und Polizisten?", fragt er spöttisch. Cuomos Kritik: Während führende Demokraten auf der Bühne dem Parteifußvolk höhere Unternehmenssteuern versprechen, säßen die reichen Spender und Lobbyisten – also die, die man angeblich härter besteuern wolle – in ihren Logen und finanzierten die ganze Veranstaltung.

Cuomo ist nicht der einzige Spielverderber in dem wohl kalkulierten Euphorieorchester der Demokraten. So reibungslos es nach außen wirkt, so sehr soll es hinter den Kulissen rumoren. Denn Joe Bidens Verzicht auf die demokratische Präsidentschaftskandidatur und die Nominierung von Kamala Harris waren teuer erkauft: Der Preis war ein "Putsch" hochrangiger Demokraten gegen ihren eigenen Präsidenten, schrieb etwa kürzlich die "New York Times"-Kolumnistin Maureen Dowd. "Es wird eine glorreiche Krönung – nur dass alle wütend aufeinander sind."

Von der "Verbitterung", die laut der US-Zeitung unter Top-Demokraten herrscht, ist auf dem Parteitag jedoch nichts zu spüren. Alle wirken gut drauf, umarmen und herzen sich, als wären sie beste Freunde. Politprofis eben. Wer das Weiße Haus gegen Donald Trump verteidigen will, kann sich nicht mit Manöverkritik aufhalten oder das System infrage stellen, scheint die Devise. Auch wenn es gute Gründe gäbe, dies zu tun.

So nützlich solche Feelgood-Events für die Mobilisierung der Parteisoldaten vor Ort auch sein mögen, umso mehr muss man aufpassen, nicht auf die eigene Propaganda hereinzufallen. Denn die viertägige Parteiparty ist bereits wieder vorbei und auch der Harris-Hype trägt schon seinen Tod in sich. Der Zauber des Anfangs wird bald verpuffen. Dann muss sich Harris auf dem politischen Schlachtfeld bewähren, wo mit Donald Trump ein erfahrener Krieger auf sie wartet.

Auch wenn sich das für manche gerade anders anfühlt und die Umfragen Harris vorne sehen: Die US-Wahl ist längst nicht entschieden. Überhaupt: Wer kann jetzt noch ernsthaft von einer linearen Entwicklung bis zum Wahltag am 5. November ausgehen? Mit dem Trump-Attentat und dem Verzicht eines amtierenden Präsidenten auf die Kandidatur war der Wahlkampf schon jetzt eine Achterbahnfahrt mit historischen Wendungen. In den nächsten knapp drei Monaten kann noch viel passieren.

So gibt es noch zahlreiche Unbekannte in der Gleichung zur Macht: Da wäre allein die Tatsache, dass Harris noch nie direkt auf ihren Kontrahenten getroffen ist. In ihren Reden inszeniert sie sich gerne als eine Art Nemesis von Trump: Als ehemalige Staatsanwältin kenne sie "Verbrecher, die Frauen missbrauchen, und Betrüger, die Verbraucher abzocken", sagte sie neulich. Die hart gesottene Strafverfolgerin gegen den verurteilten Kriminellen – das Bild ist schön, weil es so einfach ist.

Aber in der Realität und auf den Bühnen der Fernsehdebatten ist Trump der Hartgesottene, der Zerstörer, der Rüpel. Ob Harris dem (erwartbaren) Sturm an Beleidigungen, Lügen und Angriffen unter der Gürtellinie standhalten kann, muss sich erst zeigen.

Auch werden Harris' politische Positionen in den nächsten Wochen verstärkt unter die Lupe genommen. Ihr wirtschaftspolitischer Aufschlag – Preisbremsen für Nahrungsmittel, Zuschüsse für Hauskäufer, Steuersenkungen – hat bisher zu gemischten Reaktionen geführt. Bei anderen großen Themen wie Migration und Grenzschutz muss sie noch liefern.

Die Verkündung von Trumps Strafmaß im New Yorker Schweigegeldprozess im September ist ein weiterer Faktor, der das Geschehen aufmischen könnte. Trump wird sich einmal mehr als Opfer einer korrupten Elite inszenieren, die sich angeblich der Justiz bemächtigt hat, um einen politischen Rivalen – Trump – aus dem Weg zu räumen. Dass der Republikaner von zwölf Geschworenen in allen 34 Anklagepunkten für schuldig erklärt wurde, spielt in Trumps Erzählung keine Rolle. Das Säen von Zweifel und die Unterminierung demokratischer Institutionen ist ein fester Bestandteil von Trumps Drehbuch ins Weiße Haus.

Immerhin: Noch sind Harris und ihr Vize Tim Walz, der Gouverneur von Minnesota, strategisch im Vorteil. Der Machtwechsel an der Spitze der Demokraten hat die Trump-Kampagne kalt erwischt. Die republikanische Strategie hatte sich voll auf Biden eingeschossen, sein Alter, seine Pannenauftritte, die steigenden Lebenshaltungskosten im Land.

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Gegen Harris wirkt die Trump-Kampagne eher einfallslos. Die entscheidenden Angriffsvektoren, um Harris zu schaden, scheinen Trumps Leute noch zu suchen. Die bisherigen Versuche zeugten eher von Ratlosigkeit: Vom offen-rassistischen Anzweifeln von Harris' Herkunft bis zu den wenig kreativen Spitznamen ("Kamabla"), eigentlich Trumps Spezialität – nichts will bisher so richtig zünden.

Auch die KI-frisierte Antikommunismus-Kampagne – ein computergeneriertes Bild von Harris auf einem Parteitag im Sowjetstil, Trumps Gekeife über "Genossin Kamala" – wirkt eher wie ein Platzhalter mangels besserer Ideen. Dass antikommunistische Reflexe und eine Prise McCarthyismus die republikanische Basis noch aktivieren können, mag eine nützliche Erkenntnis für Trumps Kampagnenplaner sein.

Aber eine valide Strategie, um Wechselwähler zu überzeugen, ist das noch lange nicht. Denn auf diese viele unentschiedenen Wähler, vor allem in den "Battleground States", wird es am Ende ankommen. Und um die wird auch Harris kämpfen müssen.

Hat jemand Ukraine gesagt? Oder Israel? Auch die instabile Weltlage kann die US-Wahl noch drehen. Aus Demokraten-Sicht darf außenpolitisch nichts Großes mehr anbrennen. Die Biden-Regierung tritt daher seit einer Weile außenpolitisch auf die Bremse. Kongressabgeordnete warten etwa seit Monaten auf eine neue Ukraine-Strategie, während Russlands Truppen in der Ostukraine kurz vor einem größeren operativen Erfolg stehen. Auch im Nahen Osten ist die Lage weiterhin besorgniserregend. Die Gefahr einer militärischen Eskalation, etwa zwischen Israel und Iran, besteht weiter. Aber statt größerer Initiativen in die ein oder andere Richtung beschränkt sich Biden auf Telefondiplomatie.

Noch 75 Tage bis zur wichtigsten Wahl dieses Jahres. 75 Tage, in denen sich noch alles drehen kann, und das gleich mehrmals. Auch die deutsche Politik tut gut darin, sich nicht vom Harris-Hype einlullen zu lassen und sich auf den Worst Case – eine erneute Präsidentschaft Trumps – vorzubereiten.


Was steht an?

Heikler Besuch in Kiew: Indiens Premierminister Narendra Modi besucht am Freitag erstmals die Ukraine, in Kiew wird er auf Präsident Wolodymyr Selenskyj treffen. Bislang verhält sich die indische Regierung zum russischen Angriffskrieg neutral, unterhält sowohl zu Russland als auch zur Ukraine diplomatische Beziehungen: Indien trägt die Russland-Sanktionen des Westens nicht mit und kauft im großen Stil russisches Öl auf dem Weltmarkt. Der Westen versucht schon seit Längerem, einen Keil zwischen Neu-Delhi und Moskau zu treiben – bisher ohne Erfolg. Im Gegenteil: Erst vor einem Monat reiste Modi nach Moskau und umarmte Kremlchef Putin öffentlichkeitswirksam. Kann Selenskyj den indischen Premier umstimmen?


Ob mit Schwert, Gewehr oder Rennautos: Seit Mittwoch tauchen Computerspielefans auf der Messe Gamescom in digitale Abenteuer ein. Hunderttausende Zocker und Fachleute strömen bis Sonntag in die Kölner Messehallen. Dabei ist etwa auch der deutsche Auslandsgeheimdienst BND mit einem Stand vertreten, um Ausschau nach potenziellen Neuzugängen zu halten. Es gebe eine "Schnittmenge" zwischen Gamescom-Besuchern und dem, was der BND sich an Nachwuchskräften vorstelle, heißt es beim Nachrichtendienst. Man suche händeringend nach neuen Kräften, "der Fachkräftemangel macht auch vor dem BND nicht halt".


Was lesen?

Die Grünen setzen sich von der Ampel ab und zeigen sich offen für Schwarz-Grün. Gar keine gute Idee, findet die Grüne Jugend – und übt Kritik an der Parteiführung, berichtet mein Kollege Johannes Bebermeier.


Seit mehr als zwei Wochen dauert die Kursk-Offensive der Ukraine an. Die Operation bringt Kremlchef Putin unter Zugzwang. Er steckt in gleich mehreren Dilemmata, analysiert mein Kollege Simon Cleven.


Zum Schluss

Der beste Zeitpunkt, um Papa zu veräppeln? Natürlich dann, wenn die gesamte Nation zusieht – dachten sich zumindest die Kinder von Harris-Vize Tim Walz.

Ich wünsche Ihnen ein vergnügliches Wochenende. Morgen schreibt Ihnen Florian Harms.

Ihr Daniel Mützel
Politischer Reporter im Hauptstadtbüro
X: @DanielMuetzel

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Mit Material von dpa.

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