Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Das Gift wirkt
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
ein bisschen lächerlich ist das ja schon: 333 Millionen Menschen leben in den USA – aber die beiden einzigen fürs höchste Staatsamt geeigneten Personen sollen ein seniler Opi und ein größenwahnsinniger Lügenbold sein? Man kommt angesichts des Wahlkampfdramas ins Zweifeln, ob die amerikanische Demokratie noch hinreichend funktioniert.
Das Land ist gespalten, sicher. Familienclans und Strippenzieher-Netzwerke dominieren die Spitzenpolitik, auch das. Trotzdem hat sich Amerika in den vergangenen Jahrzehnten immer dadurch ausgezeichnet, dass auch Überraschungskandidaten mit ungewöhnlichen Biografien bis ins Weiße Haus gelangen konnten. Ronald Reagan war Hollywood-Schauspieler. Bill Clinton stammte aus einer zerrütteten Kleinbürgerfamilie. Barack Obama begann seine Karriere als Sozialarbeiter. Jeder von ihnen hat als Präsident große Erfolge verzeichnet.
Eine erfolgreiche Bilanz kann auch Joe Biden vorweisen. Wie er die USA mithilfe eines großangelegten Investitionsprogramms aus der Corona-Katastrophe geführt, die Ukraine vor der vollständigen Niederwerfung durch Putins Mörderbanden gerettet und das Bündnis mit den Europäern gekittet hat, dürfte als große Leistung in die Geschichtsbücher eingehen.
Jetzt aber, dreieinhalb Monate vor der wichtigsten Wahl des Jahrhunderts, ist Biden am Ende seiner Kräfte. Bleich, gebeugt und zitternd schlich er zu seinem Flugzeug, um sich in die Covid-Isolation zu begeben – und vielleicht auch, um sich dem Kritikersturm aus seiner eigenen Partei zu entziehen. Joe Biden ist zu alt, um nochmals für das mächtigste Amt der Welt zu kandidieren, das kann jeder sehen. Der Rückhalt seiner Unterstützer bricht atemberaubend schnell weg. Es dürfte nur noch eine Frage von Tagen oder Stunden sein, bis er "zur Seite tritt", wie das in Amerika heißt, und die Kandidatur einer Jüngeren überlässt, womöglich seiner Vizepräsidentin Kamala Harris.
Könnte die 59-Jährige die Wahl gewinnen? Auch ihre Führungsqualitäten sind umstritten, aber wenigstens ist sie quicklebendig.
Donald Trump hat sich derweil auf dem Parteitag der Republikaner zum Messias ausrufen lassen. So muss man wohl nennen, was da in Milwaukee geschehen ist. Es war eher eine religiöse Zeremonie als ein politischer Konvent. Anfangs versöhnlich gestimmt, steigerte sich der Angehimmelte in seiner Nominierungsrede wieder in den bekannten Trump-Furor hinein, beschimpfte Amtsinhaber Biden und "geistesgestörte" Flüchtlinge aus Lateinamerika, die "friedliebende Amerikaner fressen" wollten. Es ist nach wie vor gefährliches Gift, was aus seinem Mund schwappt, daran hat das Attentatserlebnis nichts geändert. Die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft wird so verstärkt.
Stehen die USA am Abgrund? Was ist in den kommenden Wochen zu erwarten und was kommt auf Deutschland zu? Darum geht es in dieser Folge unseres Podcasts, für die ich unseren USA-Korrespondenten Bastian Brauns und den Extremismusforscher Peter Neumann eingeladen habe. Hören Sie bitte hinein, es lohnt sich:
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Hierzulande geht es zum Glück friedlicher zu. Obendrein scheint die Sonne, herrlich. Ich wünsche Ihnen ein famoses Wochenende und werde mich Mitte August wieder bei Ihnen melden. Bis dahin schreiben meine lieben Kolleginnen und Kollegen für Sie den Tagesanbruch.
Herzliche Grüße
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
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