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Brachiale Sprache begünstigt Angriffe auf Politiker


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Tagesanbruch
Was vor Jahren gesät wurde, trägt nun giftige Früchte

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 07.05.2024Lesedauer: 6 Min.
Erkennen Sie ihn? Markus Söder pflegt sein scharfes politisches Profil.Vergrößern des Bildes
Erkennen Sie ihn? Markus Söder pflegt sein scharfes politisches Profil. (Quelle: Peter Kneffel/dpa)
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Drei Tage nach dem Angriff auf den sächsischen SPD-Politiker Matthias Ecke machen weitere Attacken Schlagzeilen: Immer mehr Lokal- und Landespolitiker berichten von Drohungen, Hassnachrichten, Gewalttaten. Die jüngste Meldung von gestern Abend: Vor dem Rathaus in Lehrte bei Hannover sind mehrere Karten aufgetaucht, auf denen zum Mord am SPD-Regionspräsidenten Steffen Krach aufgerufen wird. Wer im Frühling 2024 als Wahlkämpfer auf die Straße geht, lebt hierzulande gefährlich: So weit ist es gekommen. Schon ziehen Kommentatoren Vergleiche zur Weimarer Republik, in der sich rechte und linke Extremisten Straßenschlachten lieferten. Steht die deutsche Demokratie wieder am Abgrund?

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So weit ist es noch nicht. Die Mehrheit der Bevölkerung steht zum demokratischen Rechtsstaat, die staatlichen Institutionen funktionieren. Nachdem sich einer der Dresdner Täter gestellt hat, ermittelt das sächsische Landeskriminalamt gegen drei weitere Verdächtige: Alle vier sind Deutsche, 17 und 18 Jahre alt, zwei polizeibekannt, mindestens einer wird vom LKA in der Kategorie "politisch-motiviert rechts" geführt.

Die Ermittlungsbehörden tun ihre Arbeit – was tut die Politik? Unzählige Abgeordnete, Minister und Staatsvertreter bis hinauf zum Bundespräsidenten haben ihr Entsetzen über die brutalen Angriffe kundgetan. Eindrückliche Worte – aber wirken sie auch? Oder handelt es sich nur um Lippenbekenntnisse, heute gesagt, morgen vergessen? Man würde vielen Politikern Unrecht tun, stellte man in Abrede, dass ihre Sorge um die Demokratie und die Bewegungsfreiheit von Demokraten ernst gemeint ist. Viele setzen sich unermüdlich fürs Gemeinwesen ein, opfern dafür Kraft und Freizeit, sind Vorbilder für Toleranz.

Viele, aber nicht alle. Es gibt auch Politiker, die geflissentlich zu den Angriffen auf Wahlkämpfer schweigen – jedenfalls dann, wenn diese politische Gegner treffen. Dazu zählen AfD-Leute, in deren Partei es gang und gäbe ist, Beleidigungen und Hass in Parlamente und ins Internet zu kübeln. Sie diffamieren Andersdenkende und Flüchtlinge, skandieren Nazi-Parolen, wie Thüringens AfD-Frontkämpfer Höcke, und faseln davon, grundgesetzliche Pfeiler der Demokratie "abschaffen" zu wollen, wie der Brandenburger Abgeordnete Hünich.

Was vor Jahren gesät wurde, trägt nun giftige Früchte. Es war kurz vor der Bundestagswahl 2017, als der damalige Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) im Interview mit unserer Redaktion vor dem Einzug der AfD ins höchste deutsche Parlament warnte: "Dann haben wir zum ersten Mal nach Ende des Zweiten Weltkriegs im deutschen Reichstag wieder echte Nazis." Sieben Jahre später stellt Nordrhein-Westfalens CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst nun fest: "Die AfD ist eine Nazi-Partei!" Manche haben Erkenntnisse früher, andere später.

Und dann sind da noch jene Politiker demokratischer Parteien, deren Betroffenheitsprosa hohl klingt. Hohl deshalb, weil sie selbst mitverantwortlich sind für die Verrohung der öffentlichen Debatte. Sie erhoffen sich einen taktischen Vorteil, wenn sie mit brachialen Sprüchen um die Wählergunst buhlen. Der Bayer Hubert Aiwanger ist so einer, je nach Stimmungslage kann man auch CDU-Chef Friedrich Merz und Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer dazuzählen. Der wortmächtigste Vertreter der Sprachbrutalos aber ist Markus Söder. Kein Volksparteipolitiker diffamiert demokratische Mitbewerber so brachial wie er, etwa wenn er Bundesumweltministerin Steffi Lemke als "grüne Margot Honecker" beschimpft.

Der CSU-Chef hat bei seinem Vorgänger Horst Seehofer gelernt. Auch der war bis zum Einsetzen der Altersmilde (oder -müdigkeit) ein gewiefter Sprachbrutalo. "Bis zur letzten Patrone" wollte er sich gegen eine Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme wehren. Die Szene wurde tausendfach im Internet geteilt. Dank dieses Spruchs konnten sich Ausländerfeinde von hoher politischer Stelle legitimiert wähnen, Flüchtlinge anzugreifen und Asylbewerberheime anzuzünden.

Heute stehen die Grünen am Pranger, aber auch SPD-Leute. Sie müssen als neues Feindbild von Politikern herhalten, die sich "konservativ" nennen, doch in Wahrheit auf Werte pfeifen. Denen geht es in erster Linie um den politischen Knalleffekt, um einen schnellen taktischen Vorteil, ein paar Minuten Rampenlicht auf Instagram und TikTok. Markus Söder ist ein großer Instagrammer.

Damals bei Seehofer wie heute bei Söder gilt dasselbe: Das schleichende Gift der Sprache schafft eine Atmosphäre, in der Kriminelle sich ermutigt fühlen. Natürlich tragen die Sprücheklopfer keine Mitschuld an Gewalttaten – aber sie tragen eine Mitverantwortung für die Verrohung des gesellschaftlichen Diskussionsklimas. Damit helfen sie indirekt den Feinden der Demokratie.

Denn es ist ja nicht so, dass Rechtsextremisten willkürlich vorgehen. Sie haben einen Plan, wie sie die Demokratie stürzen wollen. Erst brechen sie sprachliche Tabus und schüchtern Andersdenkende ein. Sie machen demokratische Institutionen lächerlich und behaupten immerfort, Deutschland stehe kurz vor dem Zusammenbruch. Wenn demokratische Politiker sich auf die Spracheskalation einlassen, drehen die Extremisten weiter an der Schraube und formulieren immer aggressiver. Sie verbreiten Angst durch Drohungen, Hetze und, wie nun immer öfter zu sehen, auch körperliche Angriffe. Und wenn politische Gegner sich dann eingeschüchtert aus öffentlichen Ämtern zurückziehen, greifen die Extremisten nach der Macht. Dabei bedienen sie sich auch demokratischer Wahlen – aber wenn sie diese gewinnen, bedeutet das natürlich nicht, dass sie selbst plötzlich demokratisch handeln. Vielmehr gelangen sie so an die Positionen, um das System von innen heraus zu bekämpfen. Und wenn dann auch noch ein paar willfährige Schlägertrupps um die Häuser ziehen, um Gegner niederzumachen, erledigt sich der Rest fast schon von selbst.

Male ich die Lage zu schwarz? In vier Monaten stehen die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen an, drei Wochen später in Brandenburg. In allen drei Ländern liegt die AfD in den Umfragen vorn, in allen drei Ländern werden die Partei und mehrere ihrer Funktionäre vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft. Kommt die AfD erst einmal in die Lage, über die Ernennung von Polizeipräsidenten, Richtern und Behördenleitern mitzubestimmen, können rechtsstaatliche Institutionen schnell ins Wanken geraten. Längst ist klar, welche Gesetze es bräuchte, um die Demokratie in einem gefährdeten Bundesland wie Thüringen zu schützen. Juristen haben dafür detaillierte Vorschläge gemacht. Doch anstatt die Demokratie sturmfest zu machen, starren die Verantwortlichen in politischen Ämtern ebenso wie viele Unternehmer und Akteure der Zivilgesellschaft wie gelähmt auf die immer rücksichtsloser auftretenden Extremisten.

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Das sollte sich schnell ändern. Viel Zeit bleibt nicht mehr.


CDU mit neuem Programm

Erst gab es langen Applaus für eine vergleichsweise moderate Rede, dann ein ordentliches Wiederwahlergebnis von rund 90 Prozent: Mit dem gestrigen Auftakt des dreitägigen CDU-Bundesparteitags in Berlin kann Parteichef Friedrich Merz zufrieden sein. Verbale Ausfälle hatte er für den Erfolg nicht nötig. Na bitte, geht doch auch anständig. Zu seinen Stellvertretern wählten die 1.001 Delegierten Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien, den Umweltpolitiker Andreas Jung aus Baden-Württemberg, Silvia Breher aus Niedersachsen sowie neu den nordrhein-westfälischen Arbeitsminister Karl-Josef Laumann. Außerdem wurde Carsten Linnemann, bisher nur kommissarisch im Amt, als Generalsekretär bestätigt.

Nach diesen Personalentscheidungen steht heute im Berliner Estrel-Hotel Inhaltliches zur Diskussion: Die Christdemokraten wollen ein neues Grundsatzprogramm verabschieden, das letzte stammt immerhin aus dem Jahr 2007. Interessante Debatten dürfte die Formulierung eines Standpunkts zum Islam auslösen: Gehört der nun zu Deutschland oder nicht und wenn ja (oder nein) wie genau (oder eben nicht)? Die CDU-Spitze hat sich da haarsträubend verheddert. Aber auch die Debatten zu einem gesellschaftlichen Pflichtjahr und der Wehrpflicht, der Schuldenbremse sowie dem Verhältnis zur Linkspartei bieten Konfliktstoff. Überdies soll die Abkehr von mehreren Leitlinien der ehemaligen Parteichefin Angela Merkel beschlossen werden: vor allem vom Ausstieg aus der Kernenergie und von der Willkommenskultur in der Asylpolitik. Gegen 16 Uhr ist dann ein Grußwort des CSU-Chefs Markus Söder eingeplant. Mal schauen, ob der sich auch zusammenreißen kann.


Schwarz-gelber Traum

Nach dem 1:0 im Hinspiel ist der erste Einzug in das Endspiel der Champions League seit elf Jahren für Borussia Dortmund zum Greifen nah. Um 21 Uhr beginnt im Pariser Prinzenpark der Showdown gegen die Milliardentruppe von PSG mit Kylian Mbappé. Sollten Sie über kein Amazon-Prime-Abo verfügen, können Sie die Partie in unserem Liveticker verfolgen.


Ohrenschmaus

Heute wird ein langer Tag: viel zu früh aus den Federn, nachts bis in die Puppen feiern. In Schwung komme ich mit einem Klassiker.


Lesetipps

Der SPD-Politiker Andreas Schwarz ist durch die Ukraine gereist, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Was er unserem Reporter Daniel Mützel berichtet, klingt besorgniserregend.


1918 endete der Erste Weltkrieg, so haben wir es in der Schule gelernt. Doch das stimmt so nicht ganz, sagt der Historiker Gerd Krumeich im Gespräch mit meinem Kollegen Marc von Lüpke: 1940 habe Adolf Hitler inmitten des zweiten Weltenbrands den Ersten Weltkrieg gewonnen.


Der FC Bayern findet keinen Trainer. Geht die Aufstellung des neuen Mannschaftskaders nun auch noch in die Hose? Meine Kollegen Robert Hiersemann und Florian Wichert wissen Bescheid.


Zum Schluss

Der FCB sucht dringend einen Übungsleiter.

Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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