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USA: Pro-Palästina- und Pro-Israel-Demonstranten geraten an Unis aneinander


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Tagesanbruch
Die Gefahr ist kaum noch einzufangen

  • Bastian Brauns
MeinungVon Bastian Brauns

Aktualisiert am 02.05.2024Lesedauer: 8 Min.
Schritt stundenlang nicht ein: Die Polizei in Los Angeles kam erst, als die Eskalation schon im Gang war.Vergrößern des Bildes
Schritt stundenlang nicht ein: Die Polizei in Los Angeles kam erst, als die Eskalation schon im Gange war. (Quelle: David Swanson)
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Liebe Leserin, lieber Leser,

ich hoffe, Sie hatten gestern einen schönen Feiertag! In den USA wird der Tag der Arbeit übrigens erst am sogenannten Labour Day, am 2. September, begangen. Darum konnte ich die Lage jenseits des Atlantiks für Sie im Blick behalten. Was hier unterdessen geschehen ist, war kein Feiertag, sondern hat das Etikett "Feuertag" verdient. So brenzlig ist die Lage.

In Wahrheit hätte ich bis vor Kurzem nicht mit solchen Bildern gerechnet. Aber das, was seit Tagen an den Hochschulen in den USA passiert, grenzt an Kontrollverlust. Die Universitäts-Proteste gegen den Gazakrieg entwickeln eine Eigendynamik, die alles mit sich zu reißen scheint: Politik, Gesellschaft und sogar die nächste Präsidentschaft. Das neueste und schlimmste Beispiel stammt aus der Nacht auf den 1. Mai an der University of California (UCLA) in Los Angeles.

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Pro-israelische und pro-palästinensische Gruppen fielen auf dem Campus mitten in der Nacht voller Wut übereinander her. Über Stunden schritt die Polizei nicht ein. Auf zahlreichen Videos bekommt man nur einen Eindruck der Zustände vor Ort: Sie gleichen einem Kriegsgeschehen. Es gibt zahlreiche, teils erheblich Verletzte. Kein Wunder.

Abgeschossene Feuerwerksraketen explodierten inmitten einer dicht gedrängten Menschenmenge. Laserpointer wurden gezielt auf die Augen anderer Demonstranten gerichtet. Bewaffnet mit Pfeffersprays und Schlagstöcken verletzten sich Menschen gegenseitig. Absperrgitter aus Metall und schwere Paletten aus Holz wurden zu Wurfgeschossen, die Köpfe und andere Körperteile trafen. Den Bildern und Berichten von Journalisten vor Ort nach zu urteilen, ging die Gewalt zumindest in diesem Fall von pro-israelischen Demonstranten aus.

Es geht aber nicht darum, wer angefangen hat. Erschreckend ist dieser gegenseitige Zorn. Begleitet von scheinbar grenzenlosem Hass aufeinander bezeichnen die Israel-Sympathisanten die pro-palästinensischen Demonstranten als Terroristen, während Letztere die Israel-Anhänger als völkermordende Zionisten beschimpfen. Es wirkt so, als würde der jahrzehntelange Nahost-Konflikt plötzlich auch auf amerikanischem Boden ausgetragen.

Ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Die Lage ist stellenweise so unübersichtlich, dass es kein Wunder ist, warum sich Universitätsleitungen, Polizeibehörden und auch Politiker so schwertun, mit Situationen wie diesen angemessen umzugehen. Denn es sind vielfach eben nicht nur Studentinnen und Studenten dabei, sondern auch viele externe Krawallmacher. Die Grenze zwischen legitimem Protest und illegalen Auswüchsen verläuft fließend. Klare Zuordnungen sind nicht immer einfach. Unerträglich ist jedenfalls der unverhohlene Antisemitismus von bestimmten Gruppen.

An vielen Universitäten und in vielen Bundesstaaten kommen zu der vermeintlich alles verbindenden Gaza-Problematik aber auch noch viele individuelle, lokale Dynamiken hinzu. In Austin im Bundesstaat Texas ist es etwa die Wut auf den konservativen Gouverneur Greg Abbott und seine restriktive Gesetzgebung. In New York hat die Präsidentin der Columbia-Universität den Bogen aus Sicht der Demonstranten überspannt, als sie die Polizei auf das Gelände holte, um den Protest gewaltsam auflösen zu lassen.

Video | Wegen Protesten: Polizei stürmt US-Universität
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Quelle: reuters

Klar ist aber nach der Nacht von Kalifornien auch: Gruppen, egal welches Lagers, ungehindert aufeinander losgehen zu lassen – das darf einfach nicht passieren. Auf einem Video ist zu sehen, wie ein Mensch schlimm verprügelt wird, ein anderer ruft: "Stop! Stop! Stop!". Die Szenen erinnern fast an einen Bürgerkrieg, vor dem sich hier insgeheim viele Amerikaner schon lange fürchten. "Wo kommen deine Vorfahren her?", schreit ein Demonstrant den anderen an. Ganz so, als würde er damit überprüfen können, ob er einen Feind oder Freund vor sich hat. Dass beide Amerikaner sein könnten, scheint Nebensache zu sein.

Mal sind es die Demonstranten selbst, die jegliche Kontrolle verlieren. Aber auch bei den Einsätzen der vielen Hundertschaften der Polizei ist das Vorgehen mancherorts brutal. Selbst in New York, wo die Polizei eine Hausbesetzung auf dem Campus der Columbia University halbwegs gemäßigt beenden konnte, wurde eine Person über mehrere Meter eine Treppe hinabgestoßen. Die Polizei verbreitet anschließend ein fast absurd wirkendes Einsatzvideo, das eher einem Hollywood-Film gleicht, in dem Terroristen bekämpft werden. Aber keine Studenten.

Amerika und ganz besonders die Biden-Regierung kann angesichts solcher Szenen froh sein, dass es noch keine Toten gibt. Politisch ist das Problem ohnehin schon brisant genug. Die Gaza-Proteste und der Umgang mit ihnen entwickeln einen Schneeballeffekt. Inzwischen solidarisieren sich vielerorts auch Menschen mit den Demonstranten, die gar nicht unbedingt deren Ziele teilen. Sie halten aber die Reaktionen der jeweils anderen Seite oder die der Ordnungskräfte oftmals für maßlos.

Das Problem für die Demokraten und ihren Präsidenten Joe Biden wird damit noch größer, als es ohnehin schon ist. Denn diese Verbrüderung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen betrifft fast ausschließlich das Wählerlager der Demokraten. Die Wut auf den eigenen Präsidenten ist so groß, dass immer mehr ihm womöglich im November wirklich die Stimme verweigern wollen.

Der Yale-Absolvent und Buchautor David Austin Walsh mag dafür nur ein Beispiel sein. Aber seine Meinung scheinen immer mehr liberal gesinnte Amerikaner zu teilen: "Ich wollte im November – aus Gründen der Arbeitnehmerrechte – für Biden stimmen und natürlich auch, um Trump von dem Amt fernzuhalten – aber nach heute Abend … Mann, ich weiß es nicht", schrieb der Historiker nach den Campus-Räumungen von New York auf der Plattform X. Dafür wird er nun aus den eigenen Reihen unter anderem als "nützlicher Idiot" der Rechten beschimpft.

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Aber auch David N. Myers äußerte schwere Vorwürfe an die Verantwortlichen eines immerhin demokratisch geführten Bundesstaates. Myers ist Professor für jüdische Geschichte an der Universität von Kalifornien. "Warum haben die Behörden die ungeheure Gewalt von gestern Abend nicht gestoppt?", überschrieb er einen Gastbeitrag. Hinzu kommen jetzt noch mehr demokratische Kongressabgeordnete, die sich wiederum wütend zeigen über die zu massiven Polizeieinsätze gegen Studenten.

Geht man rein oder nicht? Wenn ja, wie konsequent? Die Demokraten drohen sich selbst zu zerfleischen – über den richtigen Umgang mit dem Krieg im Gazastreifen und mit seinen konkreten Folgen im eigenen Land. Und der lachende Profiteur dieser Bredouille könnte trotz siechender Spendenkasse und trotz zeit- und kostspieliger Gerichtsprozesse Donald Trump sein. Seit Tagen nutzen er und die Republikaner die Uni-Proteste, um gegen die Auswüchse einer zu liberalen Ideologie und einen unfähigen US-Präsidenten Biden herzuziehen.

Die Regierung in Washington weiß, wie prekär die Lage ist – sowohl im Nahen Osten als auch im eigenen Land. Ihr Einfluss auf das Handeln der israelischen Regierung ist offenbar beschränkt. Zumindest, wenn man den eigenen Status als Schutzmacht nicht aufgeben will. Der Einfluss auf die Hamas-Terroristen ist ohnehin marginal. Noch immer nehmen sie den vorliegenden Deal zur Freilassung der Geiseln nicht an.

Zur Wahrheit gehört auch: Washington kann ebenfalls nicht einfach anordnen, wie genau Universitätsleitungen, lokale Behörden oder gar bundesstaatliche Regierungen die Proteste an ihren Bildungseinrichtungen lösen. Wie gesagt: Es darf jetzt keine Toten geben, auch nicht aus Versehen oder durch einen tragischen Unfall. Die Verantwortung für einen solchen Vorfall würde in letzter Konsequenz den Präsidenten treffen. So hart, dass seine Wiederwahl noch mehr als ohnehin gefährdet wäre.

Joe Biden hat ein Gaza-Problem. Denn alles, was im Nahen Osten schiefläuft, scheint ihm inzwischen aus fast allen politischen Lagern angelastet zu werden. Jüngsten Umfragen zufolge missbilligen fast zwei Drittel der Amerikaner seinen Umgang mit dem Gaza-Konflikt. Die meisten Politikwissenschaftler und viele Meinungsforscher in Amerika sind skeptisch, wenn es um die These geht, dass Außenpolitik den Ausgang der Präsidentschaftswahlen beeinflussen kann. Fast immer sind es die innenpolitischen Themen, wie Inflation oder Migration, welche die Wähler als entscheidend ansehen.

Aber in bestimmten wichtigen Bundesstaaten, wie Michigan oder Georgia, wo Joe Biden im Wahljahr 2020 gegen Donald Trump nur knapp gewonnen hat, könnte der Gazakrieg als Thema einen empfindlichen Ausschlag geben. Nur wenige Tausend Wählerinnen und Wähler müssten bei der kommenden Wahl zu Hause bleiben, schon könnten sich die Mehrheitsverhältnisse drastisch verändern und zu einem Übergewicht an Stimmen für Trump führen.

Vor diesem Hintergrund sind die fast schon hilflos wirkenden diplomatischen Bemühungen der Biden-Regierung zu sehen. Irgendein nachweislicher Erfolg im Nahen Osten muss doch herbeizuführen sein. See- und Luftbrücken für Nahrungsmittel nach Gaza, Sanktionen gegen bestimme israelische Siedler im Westjordanland. Washington will jetzt sogar selbst bestimmte Kontingente an Flüchtlingen aus dem Kriegsgebiet aufnehmen.

Das einzige, was aber in den Augen der Demonstranten im Land zu zählen scheint, ist ein sofortiges Ende des Krieges. Wie das geschehen soll, das können die Protestierer auch nicht sagen. US-Außenminister Antony Blinken konnte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu bei seiner inzwischen achten Reise in das Land seit dem 7. Oktober nun sogar enorme Zugeständnisse abringen. Sollte die Hamas die Geiseln freilassen, würde Israel seine Angriffe zumindest vorerst einstellen.

Doch die Terroristen weigern sich beharrlich, dem Deal zuzustimmen. Und so hält die Hamas nach wie vor nicht nur mehr als mutmaßlich hundert unschuldige Menschen gefangen. Sie opfert nicht nur ihre eigene Zivilbevölkerung. Sie hält gleichzeitig auch den US-Präsidenten als Geisel – indem sie ihn in ein politisches Dilemma stürzt.

Wenn Joe Biden sich aus dieser Lage nicht bald befreien kann, wird die Anzahl derer, die ihn für das Chaos an den Universitäten und deren Umfeld im eigenen Land verantwortlich machen, noch größer werden. Biden hat schon jetzt die seit Jahrzehnten schlechtesten Umfragewerte, die ein Präsident je zu diesem Zeitpunkt der eigenen Amtszeit hatte.


Was steht an?

In Halle wird der Prozess gegen den Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke fortgesetzt. Er soll in einer Rede eine verbotene Losung der Sturmabteilung (SA) verwendet haben, der paramilitärischen Kampforganisation der NSDAP. Angeklagt ist er wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen.


Ebenfalls fortgesetzt wird ein Prozess in Berlin. Es besteht der Verdacht der Russland-Spionage gegen einen BND-Mitarbeiter und einen mutmaßlichen Mittäter wegen Landesverrats.


Das historische Bild

Dass die USA 1961 einen Mann ins Weltall senden konnten, verdankten sie einer Frau. Wer sie war, lesen Sie hier.


Lesetipps

Die Ampel steht vor einem Milliardenloch, im Juni wird in Europa gewählt und in der Ukraine droht eine russische Großoffensive. SPD-Chef Lars Klingbeil erklärt im Interview mit meinem Kollegen Daniel Mützel, ob Deutschland auf all das vorbereitet ist – und sagt, was jetzt passieren muss.


Die Fußball-EM in Deutschland wird Zielscheibe russischer Desinformation. Wie? Das beschreibt mein Kollege Lars Wienand: Ein gefälschtes "Bild"-Video verbreitet Lügen – zu sehen sind darin Doping-Experte Hajo Seppelt und Ex-Bundestrainer Jogi Löw.


Die AfD und ihr Spitzenkandidat für die Europawahl, Maximilian Krah, erproben einen vermeintlichen Ausweg aus dem Spionageskandal. Sie streuen, der Verfassungsschutz wolle der Partei schaden. Die Ausflüchte sind allerdings unplausibel, schreibt mein Kollege Jonas Müller-Töwe.


Ohrenschmaus

Es sind nur noch wenige Monate, bis die US-Sängerin Taylor Swift mit ihrer "Eras-Tour" im Juli auch Deutschland einen Besuch abstattet. In den Stadien in Gelsenkirchen, Hamburg und München wird sie auftreten. Die Fans scheinen dem Superstar diesen recht späten Termin heimzuzahlen: In den deutschen Charts landet ihr Hit "Fortnight" aus dem Album nicht wie in den USA auf Platz 1, sondern nur auf Platz 2. Trotzdem, ein super Duett mit dem amerikanischen Künstler Post Malone.


Zum Schluss

Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!

Ihr

Bastian Brauns
Washington-Korrespondent
Twitter @BastianBrauns

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Mit Material von dpa.

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