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Angriffe auf Kommunalpolitiker: Gefährlich für alle


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Tagesanbruch
Das ist für alle Bürger gefährlich

MeinungVon Heike Vowinkel

Aktualisiert am 26.02.2024Lesedauer: 7 Min.
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Zerstörtes Fenster (Symbolbild): Es bleibt nicht nur bei Beleidigungen und Drohbriefen, viele Kommunalpolitiker berichten auch von Sachbeschädigung und tätlichen Angriffen. (Quelle: Heiko Küverling/imago-images-bilder)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

stellen Sie sich vor: Sie opfern Ihre Freizeit, auch Wochenenden für Ihre Nachbarn, sind immer erreichbar, kümmern sich um Probleme, suchen Lösungen. Und dann erhalten Sie Mails, in denen Sie als "Pottsau" beschimpft werden, im Postkasten landen Briefe von Unbekannten: "Ich weiß, wo du wohnst!", steht darin. Es werden Brandsätze auf Ihr Haus und Ihr Auto geworfen oder die Radmuttern an Ihrem Wagen gelockert.

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Klingt verrückt? Stimmt. Es gibt aber Menschen, denen genau das immer häufiger passiert. Nur ein paar Beispiele von vielen:

  • Vor einer Woche stecken Unbekannte mitten in der Nacht im thüringischen Waltershausen das Auto und den Briefkasten am Haus von Michael Müller in Brand. Müller ist stellvertretender Vorsitzender des SPD-Ortsvereins, hat zuletzt eine Demonstration gegen Rechtsextremismus in dem Ort organisiert. Er selbst ist in der Nacht nicht zu Hause, aber eine Familie mit Kindern ist zu Besuch. Zum Glück wacht sie auf und kann sich in Sicherheit bringen.
  • 40 Kilometer entfernt werden kurz zuvor in Suhl die Scheiben mehrerer SPD-Wahlkreisbüros eingeworfen.
  • Die Bürgermeisterin der brandenburgischen Stadt Velten, Ines Hübner, erhält im Dezember Mails mit Beleidigungen und Gewaltandrohungen, nachdem ein rechtsextremes Magazin über den Bahnhof des Ortes als vermeintlichen Kriminalitäts-Hotspot berichtet hatte.
  • In der norddeutschen Gemeinde Harsum beantragt im vergangenen Jahr der parteilose Bürgermeister Marcel Litfin einen Waffenschein, weil er seit Jahren von mehreren Bürgern, darunter ein "Reichsbürger", so massiv bedroht wird, dass er um das Leben seiner Familie fürchtet.
  • Der Bürgermeister von Polch, einer Kleinstadt im Landkreis Mayen-Koblenz, Gerd Klasen, berichtet im vergangenen Jahr von anonymen Drohbriefen: "Pass auf, wo du dich bewegst. Es wird bald dunkel". Auch der Facebook-Account des CDU-Politikers wird gehackt.

Müller, Hübner, Litfin und Klasen eint: Sie sind Kommunalpolitiker. In Gemeinden, Stadt- und Kreistagen machen Menschen wie sie Politik, oft nach Feierabend und viele ehrenamtlich. Sie kümmern sich um den Ausbau der Kita im Ort oder kämpfen für eine Umgehungsstraße. Zum Dank dafür, man muss es so sagen, werden sie angefeindet oder erhalten Gewalt-, manche gar Morddrohungen. Mehr als jeder Zweite von ihnen hat bereits solche Erfahrungen gemacht, wie Befragungen regelmäßig zeigen.

Gefährlich ist das nicht nur für die Betroffenen selbst, die psychische und manche sogar körperliche Schäden davontragen. Gefährlich ist das für uns alle. Jeder Angriff auf sie ist einer auf uns. Denn die Attackierten werden deshalb zur Zielscheibe, weil sie einer Partei angehören, ein Amt innehaben, sich auf lokaler Ebene engagieren. Die Demokratie lebt davon, dass Menschen wie sie sich vor Ort einbringen, sich konstruktiv streiten, um Lösungen ringen – und eben auch Verantwortung und damit ein Amt übernehmen. Die Demokratie lebt im Kleinen und sie stirbt im Kleinen.

Schuld daran ist auch die demokratisch gesinnte Mehrheit. Drei große Fehler hat sie in den vergangenen Jahren begangen:

  1. Sie hat die Demokratie für selbstverständlich gehalten und ist nicht auf die Idee gekommen, dass diese ernsthaft in Gefahr geraten könnte.
  2. Sie hat es zugelassen, dass der öffentliche Diskurs immer mehr von den Lauten an den Rändern gekapert wurde – und zwar vor allem, aber nicht nur in den sozialen Medien.
  3. Und sie hat zu lange nicht hin- und oft weggeschaut, was im Kleinen seit Langem vor sich geht.

Angriffe auf Kommunal- und Lokalpolitiker sind kein neues Phänomen. Als Brandbeschleuniger für die Wut einiger Bürger hat erst die Flüchtlingskrise 2015/16, dann die Corona-Maßnahmen gewirkt. Seitdem sind in Befragungen zu Beleidigungen, Drohungen und tätlichen Angriffen auf lokale und kommunale Mandatsträgerinnen und Mandatsträger die Zahlen konstant hoch.

Seit Jahren wird darüber berichtet. Nur, spricht man mit Bürgermeistern und Ratsmitgliedern, hat das nicht viel verändert. Immerhin gibt es in vielen Bundesländern, bei Stiftungen und Parteien inzwischen Unterstützungsangebote für von Hass und Gewalt betroffene Kommunalpolitiker. Im Januar gab Innenministerin Nancy Faeser den Startschuss für eine bundesweite Ansprechstelle, die Betroffene ab der zweiten Jahreshälfte beraten und die Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden, Justiz und Verwaltung verbessern soll. Das ist überfällig, gut und wichtig.

Entscheidender aber ist, was sich seit ein paar Wochen auf den Straßen tut. Dort demonstrieren Menschen für die Demokratie, tausendfach, hunderttausendfach. Auch am Wochenende wieder. Sie machen deutlich, wer die Mehrheit ist: Nicht die Schreihälse an den Rändern sind es, die den Eindruck erweckt haben, ihr antidemokratisches Verständnis sei die neue Normalität. Die Vielen auf den Straßen zeigen: Es ist nicht normal, Menschen mit anderer Meinung zu beschimpfen, zu bedrohen oder gar Brandsätze auf ihre Häuser zu werfen.

Beeindruckender noch als die Großveranstaltungen in den deutschen Metropolen sind die vielen Demonstrationen in Kleinstädten und Dörfern im ganzen Land, von Boizenburg in Mecklenburg-Vorpommern bis Bautzen in Sachsen. Sie finden auch und gerade in Gegenden statt, in denen rechtsextreme Parteien stark sind, in denen antidemokratische Gesinnungen mehrheitsfähig scheinen. Es erfordert viel mehr Zivilcourage, sich dort einer Demonstration anzuschließen, wo jeder jeden kennt, und dort Gesicht zu zeigen, wo man nicht in der Anonymität der Hunderttausenden aufgeht.

Wo Gefahr ist, wächst das Rettende, schrieb der Dichter Friedrich Hölderlin. Das Rettende sind diese Menschen. Sie stärken mit ihrem Protest auch alle bedrohten und angefeindeten demokratischen Kommunalpolitiker, indem sie den Pöblern und Brandstiftern zeigen: Ihr genießt nicht den Schutz einer schweigenden Mehrheit im Ort.

In diesem Jahr finden im Osten des Landes nicht nur drei Landtagswahlen, sondern in neun Bundesländern auch Kommunalwahlen statt. Viele Gemeinden und Parteien klagen, es werde immer schwerer, Kandidaten für Bürgermeisterposten oder Stadt- und Kreistagsmandate zu gewinnen. Daran ist nicht nur die aufgeheizte Stimmung im Land schuld – aber eben auch.

Es ist höchste Zeit, dass wir alle unseren Kommunalpolitikern den Rücken stärken, ihnen zeigen, dass es nicht selbstverständlich ist, was sie in ihrer Freizeit für uns tun. Und vor allem: Dass sie nicht allein sind, wenn sie angefeindet werden – in den sozialen Medien oder auf der Straße. Vielleicht merkt der eine oder die andere von uns dann ja auch: Es lohnt sich, Politik im Kleinen zu machen.


Stillstand im Nahverkehr

Wenn Sie in dieser Woche öffentliche Verkehrsmittel nutzen wollen, sollten Sie das gut planen. Die Gewerkschaft Verdi ruft wieder zu Streiks auf. Von Montag bis Samstag soll der Arbeitskampf regional gestaffelt in ganz Deutschland stattfinden. Busse und Bahnen stehen in den einzelnen Bundesländern an unterschiedlichen Tagen still, zum Teil auch an mehreren Tagen. Nur Bayern ist als einziges Bundesland nicht betroffen. Den Anfang machen heute Schleswig-Holstein, das Saarland und die Region Trier. Hauptstreiktag wird der 1. März sein. Für den Tag ruft auch Fridays for Future zu Demonstrationen gegen die Klimakrise auf.

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Verdi will für die rund 90.000 Beschäftigten im öffentlichen Personennahverkehr bessere Arbeitsbedingungen erreichen – etwa durch weniger Wochenarbeitszeit, mehr Urlaub oder zusätzliche Entlastungstage für Schicht- und Nachtarbeit.


Standortvorteil Demokratie

Nicht nur viele Bürger haben verstanden, wie groß die Gefahr antidemokratischer Kräfte in Deutschland ist. Auch die Wirtschaft. Der Arbeitgeberverband Südwestmetall und die Gewerkschaft IG Metall laden daher heute zu einer Veranstaltung "Für Demokratie und gegen Extremismus" nach Stuttgart. Dort soll die Erklärung "Wirtschaft für Demokratie" verabschiedet werden.

Mit dabei sind der Vorstandsvorsitzende der Mercedes-Benz Group, Ola Källenius, der Vorstandsvorsitzende von Volkswagen, Oliver Blume, und der Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nimmt teil. Er hatte bundesweit zu einem breiten Bündnis für Demokratie und gegen Extremismus aufgerufen.


Mitglied Nummer 32

Lange verweigerte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán seine Zustimmung. Nun will das ungarische Parlament am Montag endlich über den Nato-Beitritt Schwedens abstimmen. Orbáns regierende Fidesz-Partei sprach sich zuletzt für den Beitrittsantrag aus. Ungarn hat als einziges der 31 Mitglieder des Bündnisses bisher nicht zugestimmt.


Historisches Bild

Reichlich Schnee und viel Arbeit verschafften diesem Schneeriesen 1999 einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde. Wer er war, lesen Sie hier.


Was lesen?

Diskussionsstoff: Die Grünen treffen sich diese Woche zur Klausur der Bundestagsfraktion in Leipzig. Dort wollen sie ein Papier beschließen, das es in sich hat und das zu Diskussionen in der Ampelkoalition führen dürfte. Meinem Kollegen Johannes Bebermeier liegt es exklusiv vorab vor.


Zweikampf: Zwischen dem Bundeskanzler und dem Oppositionsführer herrscht mittlerweile eine Rivalität, wie es sie selten gab. Sowohl Olaf Scholz (SPD) als auch Friedrich Merz (CDU) scheinen ein Interesse daran haben, die Situation bis zur nächsten Wahl auf ein Duell hinauslaufen zu lassen, schreibt meine Kollegin Sara Sievert.


Förderung: Ab morgen können Eigentümer staatliche Zuschüsse für den Heizungstausch beantragen. Wie das geht und wer bis zu 21.000 Euro bekommt, klärt meine Kollegin Christine Holthoff im Gespräch mit Experten des Heizungsbauers Vaillant.


Scham: Der Sänger Roland Kaiser schafft es seit 50 Jahren, Musik und Politik strikt zu trennen. Seiner Karriere hat das nicht geschadet. Doch im Gespräch mit Steven Sowa erzählt er nun ganz offen, was ihn in Deutschland gerade am meisten umtreibt.


Ohrenschmaus

Am Samstag endete die 74. Berlinale. Den Goldenen Bären gewann der Dokumentarfilm "Dahomey" von der in Frankreich geborenen Regisseurin Mati Diop. Darin geht es um die Rückgabe von Raubkunst aus dem westafrikanischen Benin. Für Empörung und Entsetzen sorgte nach der Abschlussveranstaltung die einseitige Israel-Kritik einiger Filmemacher und Preisträger während der Gala. Hätten sie doch besser geschwiegen. Da höre ich mir lieber den zwei Jahre alten Song von Keimzeit an, der ist wenigstens lustig.


Zu guter Letzt

Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Start in die Woche – ohne Verspätungen. Morgen schreibt hier meine Kollegin Christine Holthoff für Sie.

Ihre Heike Vowinkel
Textchefin t-online
Twitter: @HVowinkel

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Mit Material von dpa.

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