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Nahostkonflikt in Deutschland: Warum Pro-Palästina-Demos so gefährlich sind


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Tagesanbruch
Eine furchtbare Entgleisung

  • Bastian Brauns
MeinungVon Bastian Brauns

Aktualisiert am 20.10.2023Lesedauer: 6 Min.
Unendliche Trauer: Die jüdischen Toten der Kibbuz-Angriffe von Hamas werden beerdigt.Vergrößern des Bildes
Unendliche Trauer: Die jüdischen Toten der Kibbuz-Angriffe von Hamas werden beerdigt. (Quelle: STRINGER)

Liebe Leserin, lieber Leser,

in diesen trüben und traurigen Tagen muss ich immer wieder an ein Gedicht denken. Es ist grauenvoll und zugleich meisterhaft. Denn seinem Schöpfer ist es einst gelungen, etwas absolut Unbeschreibliches in Worte zu fassen. Die ersten Verse lauten:

Schwarze Milch der Frühe
wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Was Sie dort lesen, beschreibt Rauch. Jenen Rauch, der rund um die Uhr aus den Schornsteinen des Massenvernichtungslagers Auschwitz emporstieg. Diesen historisch einmaligen, industriellen Völkermord an sechs Millionen Juden, begangen von Deutschen, hat der jüdische Lyriker Paul Celan in seinem Gedicht "Todesfuge" verarbeitet. Er hat ihnen damit ein Denkmal gesetzt. Es ist ein Werk, das gerade uns Deutsche für immer erschüttern und uns eine ewige Mahnung sein sollte.

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Es gibt einen besonderen Grund, weshalb ich Ihnen heute Morgen davon schreibe. Denn am Mittwoch wurde mitten in Berlin von zahlreichen Demonstranten vor dem Sitz des Auswärtigen Amtes ein Satz gerufen, der fassungslos macht und der mich zutiefst empört.

Aus Aberdutzenden Mündern hallte folgender Ruf: "Free Palestine from German guilt!" ("Befreit Palästina von deutscher Schuld!") Das ist ein unsäglicher, ein gefährlicher, ein geschichtsvergessener und ein antisemitisch wirkender Satz. Denn er behauptet, Deutschland würde aus einem Schuldempfinden heraus das Leid von Palästinensern gezielt unterdrücken. Das ist nicht nur grundlegend falsch.

So ein Satz fordert gewissermaßen dazu auf, einen Schlussstrich unter etwas zu ziehen, was sogenannte deutsche Staatsräson ist. Man kann es aber nicht oft genug betonen, auch wenn palästinensische Hamas-Terroristen und auch weite Teile der arabischen Welt, wie der Iran, es negieren wollen: Das Existenzrecht Israels und dessen Erhalt ist ein Staatsziel der Bundesrepublik Deutschland. Es geht dabei nicht um Schuld, sondern um ein Versprechen. Es ist die für immer gültige Lektion aus dem Holocaust: "Nie wieder!"

Die Demonstranten skandierten ihren unsäglichen Satz von deutscher Schuld nur wenige Hundert Meter vom Denkmal für die ermordeten Juden Europas entfernt. Das Protest-Klientel unterschied sich dabei deutlich von jenem, das seit Tagen im arabisch geprägten Teil Neuköllns auf die Straße geht. Zu sehen waren Menschen, viele im Studierendenalter, die offenbar eher dem linken Spektrum zuzuordnen sind.

Das ist bemerkenswert. Denn die Forderung, doch endlich von einem angeblichen Schuldkult in Deutschland abzusehen, kennt man besonders gut aus dem rechten politischen Spektrum. So hetzte etwa der rechtsextreme AfD-Politiker Björn Höcke 2017: "Wir Deutschen sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat." Und ein Jahr später sagte sein Parteikollege Alexander Gauland: "Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1.000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte."

Nichts ist an diesen widerlichen AfD-Parolen und an den antisemitischen Ausschreitungen in Neukölln zu beschönigen. Aber dass vermeintlich gebildete, linke Demonstranten von Berlin-Mitte aus das Gebiet Palästina von den behaupteten Auswirkungen deutscher Schuld befreien wollen, ist nicht minder schlimm. Das negiert nicht nur unsere historische Verantwortung, sondern ignoriert auch die existenzielle Bedrohung durch Krieg und Terror aus der direkten Nachbarschaft, der Israel seit seiner Staatsgründung fortwährend ausgesetzt ist.

Israel dürfe nicht so handeln wie die Hamas-Terroristen. Auch das heißt es in diesen Tagen von Leuten, die vorgeben, sich für die Anliegen der Palästinenser einzusetzen. Das klingt zwar erst mal richtig. Auch Israel darf und soll keine Kriegsverbrechen begehen. Fakt ist aber, dass das Vorgehen israelischer Soldaten ohnehin in keiner Weise vergleichbar ist mit dem der Hamas-Terroristen. Die Israelis sind nicht das neue angebliche Tätervolk.

Wenn man den absolut verstörenden Schilderungen der sogenannten Zaka-Helfer in Israel, den Leichenteilesammlern, zuhört, wird das bereits nach wenigen Sekunden klar. So beschrieb der jüdische Yossi Landau etwa, wie sie einen Tatort vorfanden, an dem gefesselte, gefolterte Eltern gegenüber ihren gefesselten, gefolterten Kindern nur noch tot aufgefunden wurden. Offenbar mussten die Familienmitglieder einander zusehen, wie ihnen Augen herausgerissen und Finger abgehackt wurden. Währenddessen speisten die islamistischen Täter das Festessen der Opferfamilie. Es sind Hunderte solcher Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die es so seit der Shoah nicht mehr gegeben hat.

Krieg ist immer furchtbar. Aber israelische Soldaten, die ihr Land gegen solch unmenschliche Barbarei verteidigen, machen dergleichen nicht. Sie rufen die Zivilisten im Gazastreifen zur Evakuierung auf. Sie rufen vor eigenen Raketenangriffen die Bewohner sogar per Telefon an, um die Bevölkerung zu warnen und den Menschen Zeit zu geben, sich in Sicherheit zu bringen. Würde die Hamas ihre eigene Bevölkerung nicht für ihren angeblich heiligen Krieg opfern, gäbe es keine toten Menschen im Gazastreifen.

Die israelische Regierung hingegen berät sich mit ihren Verbündeten und nimmt deren Vorschläge sogar an. Auf das Leid der palästinensischen Zivilisten muss hingewiesen, für deren Rechte muss gekämpft werden. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und Amerikas Präsident Joe Biden haben das bei ihren Nahost-Reisen gemacht. Damit haben sie sogar etwas erreicht: Israel und Ägypten machen den Grenzübergang für Lieferungen von Medikamenten, Wasser und Lebensmitteln nun passierbar.

Es geht bei der deutschen Haltung zu Israel nicht um Schuld. Das Menschheitsverbrechen des Holocaust ist eine Schuld, die nicht beglichen werden kann, schon gar nicht von den nachfolgenden Generationen. Es geht um eine fortwährende Verpflichtung, jüdisches Leben zu schützen – in Deutschland ebenso wie in Israel.

Die humanitäre Lage im Gazastreifen zu entspannen, gehört sogar dazu. Denn damit wird nicht nur das Leben von unschuldigen Palästinensern geschützt, sondern auch versucht, einen Flächenbrand zu verhindern, der die Existenz Israels noch sehr viel mehr gefährden könnte.

Palästinenser müssen von keiner deutschen Schuld befreit werden.

Palästinenser müssen von der Hamas befreit werden.

Versuchen wir in dieser Zeit, einen kühlen Kopf zu bewahren. Die Menschheit hat schon viel mehr durchgestanden. Die Israelis sind der überlebende Beweis dafür.


Was steht an

Annalena Baerbock ist im Nahen Osten und setzt ihre Krisengespräche fort. Nach Unterredungen in der jordanischen Hauptstadt Amman am Donnerstag will die Außenministerin nach Israel fliegen, um dort unter anderem Benny Gantz zu treffen. Der Oppositionspolitiker ist Teil des lagerübergreifend gebildeten Kriegskabinetts von Regierungschef Benjamin Netanjahu.


US-Präsident Joe Biden empfängt am Freitag EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel im Weißen Haus in Washington. Bei dem EU-USA-Gipfel soll es um den Gaza-Krieg und Russlands Invasion in die Ukraine gehen. Es wird auch um Handelspolitik gehen und um Kooperation bei neuen, kritischen Technologien, einschließlich digitaler Infrastruktur und künstlicher Intelligenz.

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Die Hängepartie im US-Parlament geht weiter. Noch immer konnten sich die Republikaner auf keinen neuen Sprecher im Repräsentantenhaus einigen. Der rechte Kandidat Jim Jordan war bereits am Dienstag und Mittwoch in den ersten beiden Wahlgängen für die Nachbesetzung des mächtigen Chefpostens gescheitert. Das Repräsentantenhaus ist damit vorerst weiterhin politisch größtenteils lahmgelegt. Die Gesetzgebungsarbeit liegt weitgehend brach. Das stellt auch Joe Biden vor Herausforderungen: In der Nacht kündigte der US-Präsident an, er wolle ein umfassendes Hilfspaket für die Ukraine und Israel beim US-Kongress beantragen.


Was lesen

Eine Arbeitspflicht für Flüchtlinge? Das ist gerade eine beliebte Forderung in der Politik. Dabei gibt es sie eigentlich schon – zumindest auf dem Papier, schreibt mein Kollege Johannes Bebermeier.


Sahra Wagenknecht will bekanntlich eine neue Partei gründen. Deren Potenzial ist groß – aber die Probleme, die sie erwarten, sind es auch, schreibt meine Kollegin Annika Leister.


Brisanter Vorfall: Wie viele Menschen sind wirklich bei der Explosion vor einem Krankenhaus in Gaza gestorben? Und wer ist dafür verantwortlich? Meine Kollegin Liesa Wölm bietet einen Überblick zur Informationslage.


Ohrenschmaus

Es gibt noch gute Nachrichten. Die Rolling Stones bringen heute ihr Album "Hackney Diamonds" heraus. Mein Favorit ist der Song "Angry", der bereits vorab veröffentlicht wurde. Viel Spaß beim Hören!

Ihr

Bastian Brauns
Washington-Korrespondent
Twitter @BastianBrauns

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Mit Material von dpa.

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