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TikTok: Geheimwaffe des chinesischen Staats – Zur Verblödung aller anderen?


Meinung
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Tagesanbruch
Chinas neue Geheimwaffe

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 04.07.2023Lesedauer: 6 Min.
Zentrale des Bytedance-Konzerns in Peking.Vergrößern des Bildes
Zentrale des Bytedance-Konzerns in Peking. (Quelle: imago-images-bilder)

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Manchmal muss man einen Gedanken zugespitzt formulieren, um einen Missstand zu entlarven. Fragt man sich beispielsweise, warum unsere Gesellschaft immer kälter wird, warum der Egoismus um sich greift, Mobbing, Extremismus und plötzliche Gewaltausbrüche zuzunehmen scheinen, findet man schnell eine Menge Politologen, Soziologen und Ökonomen, die wortreich über Sinus-Milieus, soziale Entfremdung, kollektive Krisenerfahrungen und die Folgen von Corona, Krieg und Co. daherdampfplaudern können. Wir Journalisten saugen solche Erklärungen dankbar auf, weil wir es schwer ertragen, Probleme nicht sofort erklären zu können. Sei es die schlechte Schulbildung vieler Jugendlicher, eine Massenschlägerei wie jüngst in Essen oder der Aufstieg der AfD: Kaum jagt eine Eilmeldung durchs Land, steht schon ein Heer dienstfertiger Erklärbären aus Redaktionsstuben und Studierzimmern bereit, kommentiert in jedes Mikrofon, analysiert auf jeder Talkshow-Couch und twittert sich die Finger wund. Wer bei drei noch keine Meinung hat, gilt schon als abgehängt.

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So werden tagtäglich unzählige Erklärungen für die gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit veröffentlicht, und manche haben durchaus Hand und Fuß. Manche Begründungen fehlen aber auch. Zum Beispiel dann, wenn der Grund für einen gesellschaftlichen Trend so offensichtlich ist, dass niemand ihn mehr hinterfragt. So wie im Fall der Social-Media-App TikTok, die sich auf den Smartphones von zig Millionen Deutschen befindet.

Falls Sie zu den Glücklichen zählen, die TikTok-los durchs Leben gehen, lassen Sie sich sagen: Die App birgt für Jugendliche ein größeres Suchtpotenzial als Haschisch, Bier und Alkopops zusammen. In einem endlosen "Stream" bekommen sie kurze Videos angezeigt, die alles und nichts zum Inhalt haben. Viele sind lustig, andere nur dämlich, oft geht es um eine "Challenge", manchmal auch um ein aktuelles Ereignis irgendwo in der Welt. Nicht die einzelnen Beiträge sind entscheidend, sondern die schiere Masse: Die App bombardiert ihre Nutzer ununterbrochen mit mehr oder weniger austauschbaren Filmchen und raubt ihnen so das Kostbarste, was sie haben: ihre Zeit.

Nun könnte man sagen: Na und, man muss den Mist ja nicht angucken. Muss man aber eben doch. Wer zwischen 16 und 19 Jahre alt ist, will in seiner Peergroup auf dem Schulhof, im Sportverein oder beim Abhängen vorm Aldi mitreden können. Sage und schreibe 73 Prozent aller Jugendlichen in dieser Altersgruppe stieren hierzulande regelmäßig in die Kurzfilm-App; sie machen einen Gutteil der bundesweit rund 20 Millionen TikTok-Nutzer aus. Fast 64 Stunden pro Woche verbringen Jugendliche einer Postbank-Studie zufolge im Internet, knapp sechs Stunden mehr als vor Corona. Ein wachsender Teil der Zeit geht für TikTok drauf. Zwar hat die App eine Zeitbegrenzung für Jugendliche eingeführt, die lässt sich aber leicht umgehen und dient eher als Feigenblatt für verantwortungslose Eltern, die eine Ausrede brauchen, warum sie ihren Nachwuchs stundenlang herumdaddeln lassen.

TikTok ist sagenhaft erfolgreich, weil es nicht nur die Zeit vertreibt, sondern auch ein Gemeinschaftsgefühl erzeugt ("guck mal, die ist genauso schusselig wie ich!"), weil es vermeintlich authentisch wirkt ("so ähnlich könnte ich das auch!") und weil sich die Clips einfach bearbeiten lassen ("ich kann es wirklich!"). Die App wächst schneller als Instagram und Facebook. Auch deutsche Medienhäuser, allen voran die gebührenfinanzierten Sender ARD und ZDF, produzieren eifrig Formate für TikTok und kurbeln die Maschine weiter an.

Das wäre alles nicht so schlimm, bräuchten wir in der tiefsten Krise seit Jahrzehnten – angesichts von Klimawandel und Artensterben, erstarkenden Extremisten und Autokraten, wachsender Armut und täglichem Fake-News-Feuerwerk – nicht jeden jungen Kopf, um unsere Gesellschaft solidarischer, fortschrittlicher und aufgeklärter zu gestalten. Man würde sich wünschen, dass viel mehr junge Menschen mitreden, mitdenken, mitentscheiden, was aus Deutschland und Europa werden soll. Stattdessen verplempern sie ihre Zeit mit sinnlosen Filmchen in einer chinesischen App.

Damit sind wir am Punkt, an dem man als Autor eines notorisch zugespitzten Morgen-Newsletters eine Frage stellen darf: Was haben sich die Bosse des chinesischen ByteDance-Konzerns eigentlich gedacht, als sie ihre TikTok-App auf den weltweiten Siegeszug schickten? Was denken sie sich dabei, wenn sie Künstliche Intelligenz einsetzen, um die Nutzer mit individuellen Videostreams einzulullen, sodass sie gar nicht mehr vom Smartphone wegkommen? Und was stellen sie mit all den gewonnenen Daten an? Die Firma in Peking macht nicht nur 80 Milliarden Dollar Umsatz jährlich, sondern unterhält auch eine "strategische Partnerschaft" mit dem Ministerium für Öffentliche Sicherheit.

Im Klartext: TikTok kooperiert mit der chinesischen Stasi. Die App ist eine Art Geheimwaffe – eingesetzt, um die Bevölkerungen rivalisierender Länder zu verblöden und sie mit permanentem Nonsens davon abzuhalten, ihre eigenen Gesellschaften weiterzuentwickeln. Wer seine Gegner so in Schach hält, hat es leichter, zur Weltmacht aufzusteigen. Kein Wunder, dass Indien die App schon vor drei Jahren verboten hat und auch der amerikanische Kongress über ein Verbot diskutiert.

Hierzulande hingegen schlummert man den süßen Traum der Ahnungslosen. Wer deutsche Politiker auf die Risiken von TikTok anspricht, erntet entweder Beschwichtigungen oder Ausflüchte: China ist schließlich unser wichtigster Handelspartner, mit dem will man sich abseits von Sonntagsreden nicht ernsthaft anlegen. Und auch mit der eigenen Bevölkerung mag man es sich nicht verscherzen: Würde ein Politiker hierzulande ein TikTok-Verbot fordern, würde er wohl binnen Minuten einen Shitstorm ernten. Um den auszuhalten, bräuchte man ein starkes Rückgrat, das leider vielen Volksvertretern fehlt.

Eine wehrhafte Demokratie schützt sich aber vor den Feinden der Freiheit – selbst wenn diese sich hinter Klamauk-Videos verstecken. Ach ja, als eingefleischte Online-Leser dürfen Sie das alles natürlich ganz anders sehen und den Autor dieser Zeilen als Wirrkopf schmähen. Das nehme ich Ihnen allerdings nur dann ab, wenn Sie nach der Lektüre dieser Zeilen nicht sofort die andere App auf Ihrem Smartphone öffnen. Sie wissen schon, welche ich meine.

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Ohrenschmaus

Auf TikTok läuft nur Quatsch? Sag ich doch!


Kein Steuergeld für Neonazis

Am Sonntag wurde in Sachsen-Anhalt erstmals ein AfD-Politiker zum Bürgermeister gewählt, im südthüringischen Kreis Sonneberg nahm gestern der erste AfD-Landrat die Amtsgeschäfte auf: Am rechten Rand des Parteienspektrums dominiert die vor zehn Jahren gegründete "Alternative für Deutschland", während die seit 1964 bestehende NPD, die sich vor Kurzem in "Die Heimat" umbenannt hat, kaum noch eine Rolle spielt. Trotzdem ist es eine gute Nachricht, dass das Bundesverfassungsgericht ab heute über den Ausschluss der Ex-NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung verhandelt. Immerhin kassieren die Rechtsextremisten pro Jahr rund 350.000 Euro aus öffentlicher Hand; hinzu kommen Steuervergünstigungen für Spenden und andere Zuwendungen. Mit dem Verfahren geht eine jahrelange Hängepartie zu Ende: Schon vor vier Jahren hatten Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung den Antrag gestellt.


Urteil zum Illerkirchberg-Mord

Das Verbrechen sorgte bundesweit für Erschütterung: Im Dezember wurden in der baden-württembergischen Gemeinde Illerkirchberg zwei Schülerinnen mit einem Messer angegriffen und eines der Mädchen getötet; das zweite Opfer überlebte schwer verletzt. Mutmaßlicher Täter war ein 27-jähriger Asylbewerber aus Eritrea. Im folgenden Prozess forderten Staatsanwaltschaft und Verteidigung jeweils eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes und versuchten Mordes mit gefährlicher Körperverletzung. Staatsanwaltschaft und Nebenklage plädierten darüber hinaus für die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld, womit in der Regel eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren ausgeschlossen ist. Heute spricht das Ulmer Landgericht sein Urteil.


Lesetipps

An der Front in der Ukraine schlagen sich die russischen Truppen besser als erwartet, aus Moskau erschallen immer lautere Atomdrohungen gegen den Westen: Warum Europa darauf schnell eine Antwort finden muss, erklärt der Politologe Herfried Münkler im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke und mir.


CDU-Chef Friedrich Merz und CSU-Boss Markus Söder haben ein Zehn-Punkte-Programm vorgestellt, das als Gegner nur die Grünen kennt. Wie kann man sich nur so verlaufen, fragt sich unser Kolumnist Gerhard Spörl.


Jahrelang haben Politiker versucht, die AfD zu ignorieren. Diese Strategie ist gescheitert, meint unsere Kolumnistin Liane Bednarz.


Fliegen, Pauschalreisen, Hotels: Alles wird teurer. Wo es trotzdem noch Urlaubsschnäppchen gibt, hat der Reise-Experte Patrick Andrä meiner Kollegin Sandra Simonsen verraten.


Zum Schluss

Was für Leute wählen eigentlich die AfD?

Bleiben Sie konstruktiv und vernünftig. Ich wünsche Ihnen einen fröhlichen Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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