Tagesanbruch Keine Sekunde mehr Zeit
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
Wasser ist Leben. Das kann jeder bestätigen, der im Sommer mal ein bisschen zu lange vergessen hat, die Blumen auf dem Balkon zu gießen. Wir kennen die Fakten: Mehr als die Hälfte des menschlichen Körpers besteht aus dem kostbaren Nass. Wenn das weniger wird, geht es schnell los mit den Warnsignalen: erst das normale Durstgefühl, dann ein trockener Mund und ein immer quälenderes Verlangen nach Wasser. Schwindel und Verwirrung setzen ein, alle Kraft schwindet. Schließlich stellen die Nieren ihren Dienst ein, der Körper vergiftet sich selbst. Nach wenigen Tagen ist es vorbei. Ohne Essen können Menschen Wochen überleben, ohne Wasser nicht.
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Zum Glück gibt es auf unserem Planeten massenhaft Wasser. Allerdings befindet es sich nicht unbedingt am richtigen Ort. Die salzige Suppe in den Ozeanen jedenfalls kann man nicht trinken, sie muss erst filtriert werden, indem sie eine gewaltige Maschinerie der Verdampfung, Kondensation und Abscheidung durchläuft. Üblicherweise nennen wir das Ergebnis "Regen". Das Problem ist nur: Auch der Niederschlag landet längst nicht mehr zu gewohnten Zeiten in konventionellen Mengen am üblichen Ort.
In Deutschland nimmt die Dürre gegenwärtig wieder zu. Massiv. Zwar hat es im Winter und Frühjahr erfreulich viel geregnet, aber die Sonne brutzelt diesen Puffer schon wieder weg. Bald dürften deshalb nicht nur weitere Waldbrände, sondern auch die Diskussionen um die Befüllung von Pools und die Berieselung des Rasens wieder aufflammen. Wird dem Hobbygärtner das Bewässern verboten, aber der Golfklub darf weitermachen? Wieso zieht Tesla im trockenen Brandenburg für seine "Gigafactory" so viel Wasser aus dem Boden wie eine Stadt mit 40.000 Einwohnern – aber den Bewohnern der Region wird der Verbrauch gedeckelt? Es sind kleine, örtliche Konflikte, die im Zuge der Trockenheit entstehen. Sie zeigen uns vor allem eines: welches Glück wir haben. Andernorts sieht es nämlich schon viel schlimmer aus.
Klimakrieg ist ein großes Wort, und wenn man es hört, mag man es für eine Übertreibung oder Angstmacherei halten. So oder so gehört es in eine Welt, die uns erst in der Zukunft droht. Auf diesen Gedanken kann man jedenfalls leicht verfallen – erst recht, wenn man sich von der Vorstellung leiten lässt, die der Begriff heraufbeschwört: Nationen, die bisher in Frieden miteinander lebten, ziehen im Krieg um den verbliebenen brauchbaren Lebensraum gegeneinander zu Felde. Ethnien, die mit dem Rücken zur Wand stehen, greifen schließlich zu den Waffen und gehen auf ihre Nachbarn los. Wäre es so, könnte man Klimakriege tatsächlich noch als Zukunftsmusik abtun. Aber sie sehen ein bisschen anders aus, als man erwartet – und der erste ist schon da.
Der Klimakrieg, der bereits im Gang ist, wird um das lebensspendende, kostbare Nass geführt. Im Krisengebiet kann man sehen: Es sind nicht die Menschen, die verdursten, wenn es ernst wird. Es sind die Tiere. Das Wasser in den Wasserlöchern mag viel zu wenig sein, die Suche zu schwer, das immer tiefere Graben zu kraftraubend. Aber solange noch etwas da ist, überleben die Menschen – ihre Tiere jedoch nicht. Ausgemergelte, entkräftete Rinder, die der Stolz und der Wohlstand ihrer Besitzer sein sollten, sterben wie die Fliegen.
Die verheerende Dürre in Ostafrika hält bereits seit Jahren an. Ich habe Ihnen hier im Tagesanbruch davon berichtet. Nomadische Viehhirten treiben das, was von ihren Herden noch übrig ist, über immer weitere Strecken, um Wasser zu finden. Sie haben keine Wahl: Die Rinder einer Familie sind nicht nur landwirtschaftliche Nutztiere, sondern ihr lebendes Bankkonto. Und ihre Kranken-, Renten- und Lebensversicherungspolice. Je schlimmer die Dürre wird, desto weiter wandern die Hirten in eine andere Welt hinein: die der Bauern, der Sesshaften, wo schon immer mehr Wasser zu finden war als in den kargen Weidegebieten der Nomaden. Bauern und Hirten geraten aneinander. Die Waffen kommen heraus. Nicht die Speere, sondern die Kalaschnikows. So wie nun in Zentralkenia.
Wann ging das los? Die Antwort ist erhellend: Es gibt keinen Startpunkt in jüngerer Zeit. Der Konflikt zwischen Nomaden und Sesshaften in der Region war irgendwie schon immer da. Bewaffnete Raubzüge der Nomaden sind keine Neuerung, die der Klimawandel hervorgebracht hat. Nicht unbedingt Tradition, aber ebenfalls nicht an die Witterung gebunden ist der Drang einiger Politiker, die Spannungen zwischen den sich misstrauisch beäugenden Volksgruppen weiter zu befeuern. So rücken sich Populisten auf Stimmenfang als Vorkämpfer ihrer eigenen Leute besonders wirkungsvoll ins Licht. Was der Klimawandel zu dem Schlamassel beisteuert, ist dies: Er gießt Öl ins Feuer. Die Not, die aus immer längeren, immer häufigeren und immer extremeren Dürreperioden erwächst, schafft keinen Konflikt, wo vorher keiner war. Sie verschärft ihn. Die Gewalt nimmt zu. Die Zahl der Toten auch.
Dass ein Klimakrieg nicht einsetzt, sondern sich einschleicht, lässt sich auch anderswo beobachten. Die Turbanträger in Afghanistan und ihre Kollegen im Iran waren sich noch nie besonders grün. Dass das Regime in Teheran zumindest rhetorisch auf die Taliban eindrischt und mit Eskalation droht, ist kein Jahrhundertereignis. Dass die im Gegenzug mit ihren Gewehren herumwedeln, auch nicht.
Aber auch im Iran und in Afghanistan hat die Dürre die Lage drastisch verschärft. In Teilen beider Länder ist der Helmand-Fluss die Ader, die das Leben der Menschen überhaupt erst ermöglicht – und den lukrativen Opium-Anbau übrigens auch. Weil die Herrscher in Afghanistan mit Dämmen den Wasserstand kontrollieren, während die Natur ihn eigentlich reduziert, kommt vom ehemals mächtigen Fluss immer weniger bei den Iranern an. Dem Schlagabtausch mit Worten folgte einer mit Waffen, wie meine Kollegin Sonja Eichert berichtet. Aus dem Scharmützel wird jetzt kein Krieg erwachsen, beide Seiten rudern bereits zurück. Aber die Temperatur steigt. Denn anders als eine rein politische Krise ist die des Klimas so schnell nicht aufzuhalten.
Es hat lange gedauert, bis wir die Veränderung der Welt bemerkt haben, die das beständige Herauspusten des unsichtbaren Kohlendioxids in Gang gesetzt hat. Inzwischen ist die Klimakrise nicht mehr zu übersehen, und zumindest über ihre Existenz herrscht Konsens. Aber nicht nur die weltweite Erwärmung, sondern auch ihre Folgeerscheinungen haben sich das Mäntelchen der Unsichtbarkeit umgehängt. Bis zum ersten großen Klimakrieg wird es wohl noch dauern. Aber die ersten Kämpfe haben begonnen – wenn man nicht weiß, worauf man achten muss, könnte man das glatt übersehen. Und fälschlicherweise meinen, wir hätten für den entschlossenen Klimaschutz noch Zeit. Die haben wir nicht. Keine Sekunde.
Tragödie im Mittelmeer
78 Tote und 104 Überlebende konnten nach dem Untergang eines Flüchtlingsboots vor Griechenland bislang geborgen werden – und obwohl die Suche weitergeht, schwindet die Hoffnung auf weitere Überlebende. Mehr als 700 Menschen aus Syrien, Pakistan, Afghanistan und Ägypten sollen sich nach Aussagen von Geretteten an Bord des verrosteten Fischkutters befunden haben, der am Mittwochmorgen auf der Fahrt von Libyen nach Italien vor der südwestlichen Küste Griechenlands kenterte. Gewissheit über diese Zahl wird es wohl nie geben.
Was war die Unglücksursache? Die griechischen Behörden vermuten, dass das Schiff sank, nachdem ihm der Treibstoff ausgegangen war oder ein Motorschaden auftrat. Aber auch Bewegungen der Passagiere könnten dazu geführt haben, dass das Boot kippte und kenterte. Manche Medien gehen von einer Massenpanik an Bord aus. Unterdessen sollen in der Hafenstadt Kalamata acht Überlebende von der Hafenpolizei festgesetzt und befragt worden sein. Sie gelten als mutmaßliche Schleuser und Organisatoren der Todesreise, für die die Migranten zwischen 5.000 und 6.000 Euro pro Kopf gezahlt haben sollen. Möge ihnen ein für alle Mal das Handwerk gelegt werden!
Wer wird's denn nun?
Die Kandidatenkür verlief standesgemäß turbulent: Interims-Intendantin Katrin Vernau, die nach dem Skandal beim Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB) zur befristeten Krisenmanagerin gewählt wurde, hätte den Job nach eigenem Bekunden gern weiter gemacht. Weil sie sich aber nicht bewarb, sondern gebeten werden wollte, wurde daraus nichts. So kann man an der eigenen Eitelkeit scheitern.
Jan Weyrauch, derzeit Programmdirektor bei Radio Bremen, hat seine Bewerbung zurückgezogen, weil ihm offenbar die avisierte Bezahlung zu gering erschien.
Und Juliane Leopold, Digital-Chefredakteurin von ARD-aktuell, warf diese Woche mit der bemerkenswerten Begründung hin, dass es ihrem Eindruck nach im Sender derzeit nicht um digitale Transformation gehe, sondern um die Frage: "Wie bleibt am ehesten alles so, wie es ist?" Veränderungsmut sieht anders aus.
Wenn heute der RBB-Rundfunkrat zusammenkommt, um den neuen Intendanten oder die Intendantin zu küren, stehen daher nur noch zwei Namen auf der Liste: Zum einen ist da Heide Baumann, zuletzt Mitglied der Geschäftsführung von Vodafone Deutschland, und zum anderen Ulrike Demmer, einst Vize-Regierungssprecherin der schwarz-roten Bundesregierung. Die Kollegen des "Tagesspiegel" hatten zwischenzeitlich schon mal Herrn Weyrauch zum Favoriten ausgerufen – er habe bei einer internen Umfrage in der Belegschaft die meisten Stimmen bekommen. Aber halt, auch bei dieser Abstimmung soll es schon wieder turbulent zugegangen sein. Und nun will er ja nicht mehr.
Wir ahnen: Die Verantwortlichen beim gebührenfinanzierten RBB werden sich noch eine ganze Weile lang vor allem um sich selbst statt ums Programm für die Zuschauer und Hörer kümmern.
Ohrenschmaus
Heute Nacht sollte die letzte Ariane-5-Rakete vom Weltraumbahnhof in Französisch-Guayana starten. Doch nicht einmal das hat geklappt. Europas Raumprogramm ist ein Debakel, meint mein Kollege Steve Haak. Mir fällt zum Thema dagegen ein ganz wunderbares Lied ein.
Lesetipps
Die AfD erlebt einen Umfragen-Höhenflug – die Panik bei CDU und CSU wächst. Dabei gäbe es eine einfache Methode, die Rechtspopulisten zurückzudrängen, meint unsere Kolumnistin Liane Bednarz.
Ein neues Gesetz soll pflegende Angehörige entlasten, heute stimmt wohl der Bundesrat zu. "Das ist ein Witz", sagen Angehörige von Betroffenen meiner Kollegin Lisa Becke.
Warum können Putins Truppen der ukrainischen Offensive bislang erfolgreich standhalten? Oberst Markus Reisner hat es meinem Kollegen Marc von Lüpke erklärt.
In Polen ist schon wieder eine Schwangere in einer Klinik gestorben – Grund ist womöglich das strenge Abtreibungsgesetz. Die Wut auf die rechtskonservative Regierung wächst, berichtet meine Kollegin Marianne Max.
Zum Schluss
Die EU schottet sich ab.
Ich wünsche Ihnen einen grenzenlos schönen Tag. Bleiben Sie kritisch, aber zuversichtlich.
Herzliche Grüße
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
Anmerkung: In der ursprünglichen Version dieses Textes stand noch die Information, dass Jan Weyrauch als RBB-Intendant kandidiere. Er hat seine Bewerbung mittlerweile jedoch endgültig zurückgezogen. Die Passage wurde entsprechend aktualisiert.
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