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Protest in Polen | Tod einer Schwangeren: "Hört auf uns zu töten!"


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Menschenrechtsverstöße in Polen
"Hört auf uns zu töten"


Aktualisiert am 16.06.2023Lesedauer: 5 Min.
Zwei junge Frauen in Polen demonstrieren gegen das rigide Abtreibungsgesetz in Polen: "Schande!", riefen viele Demonstranten.Vergrößern des Bildes
Zwei junge Frauen in Polen demonstrieren gegen das rigide Abtreibungsgesetz in Polen: "Schande!", riefen viele Demonstranten. (Quelle: KACPER PEMPEL/reuters)
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In Polen ist erneut eine junge Schwangere in einer Klinik gestorben. Kritiker machen untätige Ärzte und das strenge Abtreibungsgesetz verantwortlich, die Wut auf die rechtskonservative Regierung wächst.

In der polnischen Hauptstadt Warschau haben sich am Mittwochabend Tausende Menschen versammelt. "Ani jednej więcej!", auf Deutsch "Keine mehr!", riefen sie. "Wir wollen Ärzte, keine Missionare" und "Hört auf, uns zu töten!". Die Frauen richten sich mit ihren Rufen an die polnische Regierung, die aus ihrer Sicht ihre Rechte zunehmend missachtet.

Vorwürfe gegen die rechtskonservative PiS-Regierung, den Rechtsstaat auszuhöhlen, gibt es seit Jahren. Vor Kurzem hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) festgestellt, dass Polen mit seiner Justizreform 2019 gegen europäisches Recht verstoßen hat. Obwohl die umstrittene Justizkammer abgeschafft wurde, verschärfte die PiS-Regierung in anderen Bereichen den bestehenden Rechtsrahmen – etwa bei Frauenrechten und Abtreibungsgesetzen.

Wie mittlerweile selbst grundlegende EU-Standards in Polen verletzt werden, zeigt sich aktuell am Tod einer jungen Frau. Die 33-jährige Dorota Lalik starb, weil ihr ein lebensrettender Schwangerschaftsabbruch von den zuständigen Ärzten verwehrt worden war. Kritikerinnen sehen darin eine Folge des De-facto-Abtreibungsverbots, das die polnische Regierung 2020 beschlossen hatte. Doch Lalik ist nicht das einzige Opfer. Immer wieder sterben Frauen wegen des restriktiven Abtreibungsgesetzes.

"Niemand hat uns die Chance gegeben, Dorota zu retten"

In Polen wächst daher die Wut auf die Regierung. Nach Laliks Tod organisierten Frauenrechtsverbände Kundgebungen in mehr als 50 polnischen Städten und Dörfern. Auf Plakaten zeigen die Protestierenden die Namen der Frauen, die seit der Verschärfung des Abtreibungsgesetzes starben, offenbar weil die Ärzte das Leben des Fötus über das Leben der Frau stellten: Agata, Justyna, Marta, Iza, Agnieszka, Anna – und nun auch Dorota.

Dorota Lalik war am 24. Mai in einem Krankenhaus im südpolnischen Nowy Targ an einer Blutvergiftung gestorben. Drei Tage zuvor war sie in der 20. Schwangerschaftswoche in die Klinik eingeliefert worden, nachdem das Fruchtwasser ausgelaufen war. Obwohl sich der Gesundheitszustand der Schwangeren stetig verschlechterte, blieben die Ärzte untätig, bis der Fötus starb und schließlich auch die werdende Mutter.

Marcin Lalik, Dorotas Ehemann, erhebt schwere Vorwürfe gegen die behandelnden Ärzte. Diese hätten verschwiegen, dass ein Schwangerschaftsabbruch das Leben seiner Frau retten würde. "Niemand hat uns die Wahl oder Chance gegeben, Dorota zu retten, weil uns niemand gesagt hat, dass ihr Leben in Gefahr ist", sagt er gegenüber polnischen Medien. Auch dass ihr Baby in Gefahr sei, hätte man ihnen verschwiegen.

Die Staatsanwaltschaft hat nun Ermittlungen zu Laliks Tod eingeleitet. Auch in zwei ähnlichen Todesfällen von schwangeren Frauen im Krankenhaus wird ermittelt, berichtet die Nachrichtenagentur AFP.

"Ärzte haben Angst vor dem Staatsanwalt"

Der Grund für die Untätigkeit der Ärzte sei Frauenorganisationen zufolge klar: die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes 2020. Durften Schwangerschaften zuvor noch aufgrund fötaler Fehlbildungen abgebrochen werden, gibt es seit 2021 auf dem Papier nur noch zwei legale Gründe:

  • Wenn eine Gefahr für die Gesundheit oder das Leben der Frau besteht
  • Wenn die Schwangerschaft durch einen Straftatbestand wie Inzest oder Vergewaltigung verursacht wurde und dies durch einen Staatsanwalt bestätigt wird

Ärzten, die sich nicht an diese Vorgaben halten, drohen nach dem Gesetz bis zu drei Jahre Haftstrafe – ein Grund, weshalb viele Ärzte womöglich davor zurückschrecken, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen.

Die Kritik von Frauenverbänden hat die rechtskonservative PiS-Regierung unter Druck gesetzt. Gesundheitsminister Adam Niedzielski kündigte an, "noch präzisere Richtlinien" für medizinisches Personal erlassen zu wollen. Dass das Abtreibungsgesetz an sich für den Tod Laliks oder anderer Frauen verantwortlich sei, wies das Gesundheitsministerium allerdings zurück.

Kritiker warnen jedoch davor, dass neue Leitlinien nicht ausreichen. "Ärzte haben mehr Angst vor dem Staatsanwalt als vor den Richtlinien des Gesundheitsministeriums", sagte Małgorzata Kidawa-Błońska, Politikerin der Partei Platforma Obywatelska, polnischen Medien.

Tödliche Gewissensklausel?

Zudem sieht das polnische Gesetz eine sogenannte "Gewissensklausel" vor, nach der Ärzte medizinische Leistungen verweigern können, wenn sie diese nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können – eine Klausel, die vor allem streng katholische Mediziner davor schützt, im Zweifel lebensrettende Maßnahmen an Schwangeren vorzunehmen.

So kündigte der ehemalige Direktor des Johannes-Paul-II.-Krankenhauses, in dem Lalik starb, an, dass das Krankenhaus keine Abtreibungen durchführen werde, da das Verfahren "Gottes Gesetz und der Lehre des Papstes" widerspreche. Das berichtet die polnische Nachrichtenseite "Gazeta Wyborcza". Demnach habe seit mindestens 2018 keine Abtreibung mehr in dem Krankenhaus stattgefunden.

Auch der derzeitige Direktor des Krankenhauses, Marek Wierzba, der laut "Gazeta Wyborcza" Gemeinderat der PiS-Regierung ist, befürwortet ein striktes Abtreibungsverbot. Das Krankenhaus wies die Vorwürfe, dass seine politische Einstellung zum Tod Laliks beigetragen habe, von sich.

Politikerinnen und Politiker, etwa die Linkspartei, fordern nun dennoch eine Abschaffung der Klausel. "Wir brauchen einen Staat, der Gesetze durchsetzt, keine Gewissensgesetze", forderte etwa Daria Gosek-Popiołek.

"Sie haben Angst schwanger zu werden"

In der PiS-Regierung streitet man die Verantwortung für den Tod Laliks hingegen ab. So warnte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki etwa davor, den Fall zu "politisieren". Die Opposition sieht das anders. "Alles ist politisch, wenn man eine Frau in Polen ist", sagt Katarzyna Kotula Abgeordnete der linksliberalen Partei Wiosna, der "oko.press". "Aufgrund von politischen Entscheidungen sterben Frauen in polnischen Krankenhäusern – und andere haben einfach Angst, schwanger zu werden."

Auch die Organisation "Allpolnischer Frauenstreik", die die landesweiten Proteste organisiert hat, sieht die Politik in der Verantwortung. "Alle schwangeren Frauen sind in Gefahr, sobald sie in ein polnisches Krankenhaus überwiesen werden", sagen die Frauenrechtsaktivisten. Sie fordern, dass die polnische Regierung Frauen Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen gewährleistet.

"Eklatante Missachtung von Menschenrechten"

Auch Amnesty International kritisiert die polnische Regierung scharf. Mit dem De-facto-Abtreibungsverbot verstoße sie gegen rechtsstaatliche Prinzipien der EU, so Berber Biala-Hettinga, EU-Rechtsanwältin bei Amnesty International zu t-online. Diese hatte zuletzt im Dezember 2021 an die polnische Regierung appelliert, die Menschenrechte und damit die reproduktiven Rechte von Frauen zu gewährleisten.

"Polen weigert sich systematisch, die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu befolgen", sagt Biala-Hettinga. Seit der Verschärfung des Abtreibungsgesetzes hätten bei dem Gericht Tausende Frauen Klage gegen die polnische Regierung eingereicht.

Doch die PiS-Regierung verschärfe ihren Kurs unterdessen weiter, so die Amnesty-Anwältin: Neben dem schrittweisen Umbau der Justiz, um unliebsame Richter aus dem Amt zu entfernen, drängten rechte und nationalkonservative Parteien etwa immer wieder darauf, Abtreibungen gänzlich zu kriminalisieren und Strafen für Frauen und Ärzte zu verschärfen.

Auch ein Vorschlag für ein Melderegister für Schwangere sei in Warschau noch nicht vom Tisch – ein Instrument der Einschüchterung, fürchten Kritiker. Die EU, so Biala-Hettinger, sollte die Menschenrechtsverstöße in Polen daher dringend untersuchen. "Die eklatante Missachtung dieser Werte durch Polen ist nicht nur für Frauen und Mädchen in Polen, sondern in ganz Europa gefährlich."

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa und AFP
  • theguardian.com: ‘All pregnant women are in danger’: protests in Poland after expectant mother dies in hospital (englisch)
  • oko.press: Aborcja w Sejmie. Lewica: klauzula sumienia do kosza, mizoprostol i dekryminalizacja aborcji (polnisch)
  • dw.com: Polen: Meldepflicht für Schwangere?
  • Anfrage an Amnesty International
  • zakopane.wyborcza.pl: Sprawa śmierci 33-letniej ciężarnej Doroty. Szpital, w którym kobieta zmarła, ma relikwie Jana Pawła II i nie wykonuje aborcji (polnisch)
  • Twitter: Profil des "Allpolnischen Frauenstreiks" (polnisch)
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