Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Jetzt treibt er es zu weit
Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
ich hoffe, Sie sind heute nicht mit Schnappatmung aufgewacht. Kann ja schnell mal passieren bei der Weltlage, wenn man SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich glaubt.
Wobei ich Ihnen in diesem Fall nicht raten würde, Mützenich zu glauben. Denn er versucht schlicht, dem politischen Gegner in einem Streit anzudichten, er hätte nicht genug nachgedacht. Ein überhastetes Urteil gefällt. Das ist etwas lustig, wenn man bedenkt, dass nun schon seit Monaten genau darüber diskutiert wird, was Mützenich meint: die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine. Schnappatmung? Nun ja.
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Viele haben stattdessen das Gefühl, nicht mal ihre Pferdelunge reiche aus in dieser endlosen Debatte. Deshalb folgten die Reaktionen prompt. Marie-Agnes Strack-Zimmermann etwa bezeichnete Mützenich als "Sinnbild aller zentralen Verfehlungen deutscher Außenpolitik". Was deftig ist für einen Koalitionspartner und wohl zu viel der Ehre. Aber sei's drum.
Die Vorwärtsverteidigungspolitikerin der FDP hatte zuvor wie viele andere derzeit noch etwas anderes kritisiert. Sie sagte, die Kommunikation der Bundesregierung und insbesondere des Bundeskanzlers sei bei den Panzerlieferungen eine "Katastrophe". Und so oft Strack-Zimmermann zuletzt den Finger in Wunden legte, die zu Recht schmerzten – diesmal legte sie ihn in die falsche Wunde.
Die Kritik an der Kommunikation des Olaf Scholz ist populär und sicher nicht unberechtigt. Bei der Diskussion um die Leopard-Panzer greift sie zu kurz. Gleich aus zwei Gründen.
Der erste Grund ist simpel, aber wichtig. Das Leopard-Gerangel nur als Kommunikationsdebakel zu bezeichnen, verstellt den Blick darauf, dass es um eine konkrete Entscheidung geht, über die es Streit gibt: Soll die Ukraine Leopard-Panzer bekommen oder nicht? Strack-Zimmermann und andere wollen das, Olaf Scholz (bisher?) nicht. Selbst der beste Kommunikator könnte diesen Unterschied nicht wegmonologisieren.
Der zweite Grund ist komplizierter, aber ebenso wichtig. Um ihn zu verstehen, müssen wir uns kurz mit Scholz' Gedanken vertraut machen. Zumindest mit denen, die wir aus Gesprächen mit ihm und seinem Umfeld kennen. Selbst wenn wir sie nicht komplett teilen.
Der Kanzler will verhindern, dass Deutschland und die Nato in den Krieg hineingezogen werden. Und er glaubt, dass Wladimir Putin angesichts der deutschen Geschichte sehr genau darauf achtet, was die Bundesregierung tut und was sie nicht tut. Scholz ist deshalb überzeugt davon, dass es ein Risiko wäre, wenn nur Deutschland oder die Europäer Kampfpanzer lieferten. Weil Putin dann auf die Idee kommen könnte, sie täten mehr als die USA. Oder hätten zumindest nicht die volle Unterstützung der größten Militärmacht der Welt. Und damit auch nicht ihren atomaren Schutzschirm.
Folgen wir dieser Logik, dann ist es plötzlich kein Nachteil mehr, sondern sogar ein Vorteil, wenn Deutschland als zögerlich dasteht. Und nicht als das Land, das vorangeht, sich an die Spitze setzt und dadurch exponiert. Zumindest, wenn die Reaktion Putins auf das deutsche Verhalten der Maßstab ist. Und wenn wir glauben, dass Putin seine Entscheidungen von solchen Dingen beeinflussen lässt. Die Zögerlichkeit wird in dieser Logik zur Versicherung dafür, zumindest nicht allein zum Ziel Putins zu werden.
Es spricht deshalb einiges dafür, dass es für Scholz und die Bundesregierung zwar nicht angenehm ist, ständig als Getriebene dazustehen. Aber dass sie es in Kauf nehmen. Weil ihnen wichtiger ist, Putin keinen Vorwand zu liefern, als ihre Partner zufriedenzustellen. Lieber Zögern als Ziel werden. Lieber Partner verärgern als Putin.
Olaf Scholz hat das Zaudern damit zur Methode gemacht. Und das ist der zweite Grund, weshalb es irreführend ist, den Leopard-Streit nur als Kommunikationsdesaster zu begreifen. Die Kommunikation ist wichtiger Teil der Methode von Olaf dem Zauderer.
Die vergangenen Tage haben jedoch gezeigt, dass diese Methode an ihr Ende gelangt ist. Denn das Ganze funktioniert nur, solange es nicht zu sehr zum Problem wird, dass Deutschland seine Partner verärgert. Allen voran die USA. Und die sind mittlerweile mächtig wütend.
Das deutete sich schon an, bevor US-Verteidigungsminister Lloyd Austin am Donnerstag nach Deutschland kam. Ganz offen sagte er da, Ziel seiner Reise sei es, Deutschland zumindest davon zu überzeugen, anderen Ländern die Lieferung der Leopard-2-Panzer zu erlauben. Bemerkenswert undiplomatisch für einen Partner. In Berlin dann soll Austin über die Frage mit dem Kanzleramtsminister und Scholz-Vertrauten Wolfgang Schmidt persönlich aneinandergeraten sein, wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet.
Wie ernst der Streit mit den USA ist, zeigte sich auch an anderer Stelle. So wurde aus Regierungskreisen Ende vergangener Woche noch gestreut, Deutschland werde nur dann Leopard-2-Panzer liefern, wenn die USA auch Abrams-Panzer lieferten. Das ist eigentlich nicht mal eine Neuigkeit, sondern seit Monaten die deutsche Position. Vor dem Treffen der Ukraine-Unterstützerstaaten in Ramstein erregte sie aber größere Aufmerksamkeit.
Und zwar so große, dass mancher sie so verstand, als wolle das kleine Deutschland die großen USA erpressen, zumindest aber unter Druck setzen. Auch in den USA war der Ärger offenbar so groß, dass das Kanzleramt plötzlich seine eigene, wohlbekannte und verbürgte Position dementieren musste. Ein Regierungssprecher sagte, es habe "zu keinem Zeitpunkt" ein "Junktim oder eine Forderung gegeben, dass das eine zu erfolgen habe, damit das andere erfolgen kann".
Was nur zeigt: Das verständliche Ziel von Olaf dem Zauderer, bei der Unterstützung der Ukraine "keine Alleingänge" zu machen, führt mittlerweile selbst in die Isolation.
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Was amüsiert mich?
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche. Morgen schreibt Florian Harms wieder den Tagesanbruch für Sie.
Ihr Johannes Bebermeier
Politischer Reporter
Twitter: @jbebermeier
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Mit Material von dpa.
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