Wurde zu spät gewarnt? Flutkatastrophe in Spanien – Zahl der Toten übersteigt 100
Die schweren Unwetter in Spanien haben viele Tote gefordert. Ursache ist ein besonderes Wetterphänomen. Nun beginnt die Suche nach den Schuldigen.
Bei schweren Unwettern in der Region Valencia sind in Spanien mindestens 105 Menschen ums Leben gekommen. Zuletzt wurde von 95 Toten berichtet, am Donnerstagmittag erhöhten die Behörden die Zahl. Zahlreiche werden noch vermisst. Straßen und kleinere Brücken brachen weg, Bäume, Autos und auch große Lastwagen wurden von den Wassermassen wie Spielzeug mitgerissen. Neben heftigem Regen gab es Hagel und starke Windböen. Die Polizei rechnet in Folge der Katastrophe mit Plünderungen, wie die "Daily Mail" berichtet. Der Aussage eines Sprechers zufolge, setzen die Beamten derzeit alles daran diese zu verhindern.
Aus der andalusischen Küstenortschaft El Ejido unweit von Almería berichteten Einwohner von Hagelkörnern "so groß wie Golfbälle". Die Schilderungen von Augenzeugen, die aus den Fluten gerettet werden konnten, sind dramatisch. Auch eine Reporterin des spanischen Senders RTVE beschrieb die Situation vor Ort und sprach von "kriegsähnlichen Zuständen" in den betroffenen Regionen.
Wie aber konnte es zu den plötzlichen Fluten kommen, von denen offenbar auch die Behörden in Spanien überrascht wurden? Das Phänomen, das dahintersteckt, nennt sich "kalter Tropfen", im spanischen "gota fría".
"Kaltlufttropfen" zieht feuchtwarme Luft an
Es handelt sich um ein Wetterphänomen, das besonders im Frühherbst in der Region des westlichen Mittelmeers auftritt, etwa in Spanien. Dabei handelt es sich um ein isoliertes Gebiet kalter Polarluft in großer Höhe – oft fünf bis zehn Kilometer über dem Meer –, das als "Dana" bezeichnet wird. "Dana" steht für depresión aislada en niveles altos, was übersetzt "isoliertes Tief in hohen Schichten" bedeutet.
Dieses Höhentief schwebt in der Atmosphäre wie ein "kalter Tropfen", ohne Verbindung zu Bodenwetterfronten. Das Phänomen ist für Meteorologen nur schwer vorherzusagen. In einigen Gemeinden in Spanien sind in den vergangenen Tagen mehr als 500 Liter pro Quadratmeter Regen heruntergekommen, wie der spanische Wetterdienst mitteilte.
Die Entstehung einer solchen "Dana" ist komplex. Eine wichtige Rolle spielt der Jetstream, ein starker Windstrom in großen Höhen. Drückt dieser die kalte Polarluft zu weit nach Süden, kann sich eine Luftblase abtrennen – ein sogenanntes "cut-off low" oder "Kaltlufttropfen". Dadurch entsteht ein Sog, der die feuchtwarme Luft wie ein Schwamm anzieht. In Spanien sind die klimatischen und geografischen Bedingungen dafür günstig, weil das immer noch sommerlich warme Mittelmeer den Aufstieg feuchter Luftmassen fördert.
So viel Regen an einem Tag wie sonst im ganzen Jahr
Im aktuellen Fall sei das Mittelmeer immer noch "rekordwarm" gewesen, sagt die Meteorologin und t-online-Expertin Michaela Koschak. Das habe die Entstehung des Kaltlufttropfens enorm begünstigt. Zudem habe sich das Tiefdruckgebiet kaum von der Stelle bewegt. "Die Folgen sind zerstörerisch", erklärt Koschak.
Kamen die Warnungen zu spät?
Unterdessen hat in Spanien bereits eine Debatte über mögliche Schuldige begonnen. In den Medien und im Internet wurde diskutiert, ob die Behörden die Bürger früher oder besser hätten warnen müssen. Entsprechende Kritik gab es etwa von mehreren Rathaus-Chefs. Schließlich wisse man, dass das Wetterphänomen der "Dana" oder des "kalten Tropfens" gefährlich sei.
Die Regionalregierung und auch Experten wiesen die Vorwürfe zurück. Man könne solche "brutalen Folgen" nicht vorhersagen, weil diese von verschiedenen Faktoren abhängig seien, sagte etwa der angesehene Meteorologe Francisco Martín León der Nachrichtenagentur Europa Press. Der Wetterdienst Aemet habe mit Unwetterwarnungen der Stufen drei (Gelb), zwei (Orange) und eins (Rot) ausreichend und rechtzeitig informiert.
Aemet sprach von einem "historischen Unwetter". Demnach fielen in einigen Ortschaften innerhalb eines Tages bis zu 490 Liter Regen pro Quadratmeter, so viel wie sonst in einem Jahr. Es habe sich um den schlimmsten "Kalten Tropfen" (gota fría) dieses Jahrhunderts in Valencia gehandelt, hieß es auf X.
Meteorologin: "Wo soll das noch enden?"
Experten im In- und Ausland wiesen auch auf den vom Menschen verursachten Klimawandel hin. "Die Bilder aus Spanien sind erschreckend und zeigen in aller Klarheit: Der Klimawandel ist längst da und eine Gefahr für die Menschheit", sagte Klimaforscher Niklas Höhne, der Mitbegründer des Kölner NewClimate Institute. Verheerende Regenfälle würden durch die höheren Temperaturen immer stärker und wahrscheinlicher, warnte der Deutsche.
Auch t-online-Expertin Koschak spricht davon, dass die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels immer zahlreicher und heftiger werden. Dennoch nehme der Treibhausgasausstoß weiter zu und nicht ab. "Wo soll das noch enden? Unwetter wie jetzt in Spanien werden in Zukunft Normalität und werden extrem große Schäden anrichten." Dann drohen noch mehr Tote, warnt Koschak.
- lessentiel.lu: "Dana" – Das Wetterphänomen hinter dem Mega-Unwetter in Spanien
- dwd.de: "Gota Fria" - Der kalte Tropfen
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa und Ansa