t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePanoramaUnglücke

Rekordhitze in Indien und Pakistan: An der Grenze des Überlebbaren


Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.

Rekordhitze trifft Hundertmillionen
An der Grenze des Überlebbaren


08.05.2022Lesedauer: 6 Min.
Hitze in Indien: Ein Mädchen verkauft am Straßenrand in Neu-Delhi Wasser und schützt sich vor der gleißenden Sonne.Vergrößern des Bildes
Hitze in Indien: Ein Mädchen verkauft am Straßenrand in Neu-Delhi Wasser und schützt sich vor der gleißenden Sonne. (Quelle: Montage: Heike Aßmann, Grafik: DTN, Bild: Anushree Fadnavis/Reuters)
News folgen

Weit über 40 Grad, kaum Regen, hohe Luftfeuchtigkeit: Rund 600 Millionen Menschen in Südasien sind derzeit von Hitzewellen betroffen, die für lebensfeindliche Bedingungen sorgen. Und es könnte noch schlimmer kommen.

37 Grad, die Sonne brennt vom Himmel. Trotzdem berichtet Berthold Franke aus Neu-Delhi, es habe sich abgekühlt. "Es hat mal geregnet", erzählt er, "das war eine richtige Erlösung".

Indien und Pakistan werden derzeit von Hitzewellen heimgesucht. Temperaturen von weit über 40 Grad, teils sogar über 45 Grad, sind keine Seltenheit, und das seit Wochen. Der Mai gilt als heißester Monat des Jahres. "Das Wetter ist zu dieser Jahreszeit eigentlich immer unerträglich", bestätigt Franke, der das Goethe-Institut in der indischen Hauptstadt leitet. "Aber in diesem Jahr ist es besonders schlimm."

Der Nordwesten und das Zentrum des Landes haben den heißesten April seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vor 122 Jahren erlebt, der März war sogar landesweit der wärmste seit 1901. Erleichterung ist nicht in Sicht – der Abkühlung versprechende Monsunregen erreicht den Süden Indiens nicht vor Juni; ehe er im Norden ankommt, werden weitere Wochen vergehen.

Das Wetter hat sich verschoben

Am kühlsten ist es normalerweise im Februar, sagt Franke, danach wird es bis zum Monsun immer heißer. Aber: "Wir hatten das Märzwetter im Februar, das Aprilwetter im März, und das Maiwetter im April. Das lässt befürchten, dass es noch schlimmer wird."

Mit dieser Vorahnung ist er nicht allein. Auch der Leiter des indischen Wetterdienstes, Mrutyunjay Mohapatra, glaubt, im Norden könnte in diesem Monat noch die 50-Grad-Marke geknackt werden.

Empfohlener externer Inhalt
X
X

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

Auch der indische Premierminister Narendra Modi warnte in der vergangenen Woche: "Die Temperaturen steigen schnell, und sie steigen deutlich früher als üblich." Die pakistanische Klimaministerin Sherry Rehman sprach gegenüber dem "Guardian" von einer "existenziellen Krise" für ihr Land. Denn zur Hitze gesellt sich die Trockenheit, Wasser wird knapp. Gleichzeitig werden schnell schmelzende Schnee- und Eismassen aus den Bergen des Hindukusch im Norden des Landes zur Gefahr – Tausende sind von Fluten bedroht.

Wann spricht man von einer Hitzewelle? In Indien legt das der staatliche Wetterdienst fest. Eine Hitzewelle sei dann zu verzeichnen, wenn entweder die Höchsttemperatur bei mindestens 40 Grad im Flachland oder mindestens 30 Grad in den Bergen liegt und zusätzlich die Temperatur mindestens 4,5 Grad über dem Durchschnitt liegt. Außerdem wird bei Temperaturen von über 45 Grad pauschal von einer Hitzewelle gesprochen.

Klimaanlagen sorgen für Kohleknappheit

Vor allem in den Städten nistet sich die Hitze ein. Gebäude und betonierte Böden strahlen die Wärme auch nachts noch ab. Wer nicht in klimatisierten Räumen schlafen kann, hat kaum Zeit, sich von der Hitze zu erholen. "Privilegierte Menschen erleben die Hitze ganz anders", sagt Franke.

Ventilatoren und Klimaanlagen haben in den vergangenen Wochen den Stromverbrauch in Indien und Pakistan so sehr in die Höhe getrieben, dass es in einigen Teilen der beiden Länder zu stundenlangen Stromausfällen kam. Indien gewinnt seinen Strom hauptsächlich aus der Verbrennung von Kohle – nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters sind die Lager jedoch auf dem niedrigsten Vorsommer-Stand seit neun Jahren.

Der US-Sender CNN berichtet unter Berufung auf das indische Energieministerium, dass in drei von fünf Kohlekraftwerken, die die Region Delhi versorgen, die Kohlevorräte auf unter 25 Prozent der Kapazität fielen. Die Behörden strichen als Reaktion bis Ende Mai mehr als 650 Zugverbindungen im Personenverkehr, um zusätzliche Kohletransporte zu ermöglichen.

Goethe-Institutsdirektor Franke erzählt, dass es auch hier eine Schere zwischen Arm und Reich gebe: "In Vierteln, wo reiche Leute und Diplomaten wohnen, die zusätzlich noch Generatoren haben für den Fall eines Stromausfalls, wird der Strom weniger häufig abgestellt als in den ärmeren Vierteln."

(Quelle: Goethe-Institut New Delhi)


Berthold Franke ist Sozialwissenschaftler und arbeitet seit 1988 für das Goethe-Institut. Seit 2018 ist er Leiter des Goethe-Instituts in Neu-Delhi und Regionalleiter für Südasien. Zuvor arbeitete er in Warschau, Dakar, Stockholm, Paris, Brüssel und Prag.

"Je heißer es ist, desto weniger Wasser ist da"

Ebenso mehren sich Berichte über Probleme bei der Wasserversorgung. Viele ärmere Familien nutzen Pumpen, um an Grundwasser zu gelangen. Diese brauchen zum einen ebenfalls Strom, zum anderen ist es in manchen Regionen so trocken, dass keines oder nur noch trübes Wasser aus dem Boden kommt.

Wasser sei generell eine knappe Ressource, bestätigt auch Franke. "Je heißer es ist, desto weniger Wasser ist da." Die Menschen würden versuchen, das Wasser zum Kühlen zu nutzen – aber es gebe auch Versuche, trotz der Knappheit weiterhin die Gärten zu bewässern. Auch die pakistanische Klimaministerin Sherry Rehman warnte: "Die Wasserreservoirs trocknen aus. Unsere Dämme melden Nullpegel."

Die Wasserknappheit wird auch zum Problem für die Landwirtschaft. Indien ist einer der größten Weizenproduzenten der Welt, wollte eigentlich von den Exportausfällen aus der Ukraine durch den Krieg profitieren. Noch bei seinem Berlin-Besuch Anfang der Woche kündigte Premier Modi an: "Die großen Nationen machen sich Sorgen um die Ernährungssicherheit, und zu diesem Zeitpunkt melden sich die indischen Landwirte, um die Welt zu ernähren."

Doch dass der indische Regierungschef sein Versprechen halten kann, scheint immer unwahrscheinlicher zu werden. Die indische Wirtschaftszeitung "Economic Times" schreibt, in den drei nördlichen Bundesstaaten Punjab, Haryana und Uttar Pradesh gebe es 10 bis 35 Prozent Einbußen bei der Weizenernte. Erwartet wird, dass die Exportmenge entsprechend schrumpfen wird – und dass die Preise für Lebensmittel weiter steigen werden.

"Größere Sorgen als die Frage, ob es ein paar Grad wärmer ist"

Das beträfe wieder vor allem die ärmere Bevölkerung Indiens – die sich wiederum am wenigsten über die Hitze beschwere, erzählt Franke. "Paradoxerweise ist das Wetter vor allem bei denjenigen, denen es besser geht, ein Thema. Tagelöhner, die für drei Euro auf dem Bau arbeiten und so ihre Familien ernähren müssen, haben größere Sorgen als die Frage, ob es ein paar Grad wärmer ist als normalerweise."

Sie sind es jedoch, die durch die Hitze am meisten gefährdet sind. "Die Mittelklasse sitzt in gekühlten Apartmenthäusern und bestellt online. Aber viele Menschen müssen raus, einkaufen, arbeiten gehen", sagt auch Franke. "Die soziale Ungleichheit ist groß und die Menschen sind gewohnt, das zu ertragen." Er staune, wie die Menschen ihr Leben trotz der Hitze weiterlebten. "Die Hitze ist Teil der Kultur."

Loading...
Loading...

Schwüle Hitze wird zur tödlichen Gefahr

Dabei hat Berthold Franke in Neu-Delhi noch einen Vorteil: In diesem Teil des Landes ist die Hitze vornehmlich trocken. "Das ist leichter zu ertragen", bestätigt er. Erst in der Monsunzeit steigt die Luftfeuchtigkeit. Obwohl die Temperaturen dann niedriger sind, sei dies "eine andere Form der Qual", wie er es nennt.

In anderen Landesteilen, vor allem an den Küsten, kommt jedoch beides zusammen: die hohe Luftfeuchtigkeit und die Hitze. Gepaart kann sich daraus eine tödliche Kombination entwickeln.

Das Gesundheitswesen in Indien ist darauf zwar vorbereitet, dennoch wurden im westlichen Bundesstaat Maharashtra, wo auch die Millionenmetropole Mumbai liegt, seit Ende März bereits 25 Todesfälle nach Hitzschlag gemeldet. 6.500 Menschen sind seit 2010 in Indien offiziellen Angaben zufolge an den Folgen der Hitze gestorben – durch verbesserte Warnsysteme ist die Zahl bereits deutlich gesunken.

Das Problem: Ist die Luftfeuchtigkeit zu hoch, kann sich der Körper durch Schwitzen nicht mehr abkühlen. Eigentlich entzieht der Schweiß der Haut beim Verdunsten Energie in Form von Wärme. Ist die Luft jedoch so gesättigt, dass sie kein Wasser mehr aufnehmen kann, verdunstet der Schweiß nicht mehr.

Gemessen wird diese Belastung mit der sogenannten Feuchtkugeltemperatur. Sie gibt die tiefstmögliche Temperatur an, die sich durch Verdunstung erreichen lässt. Ab 30 Grad Feuchtkugeltemperatur wird es lebensgefährlich, 35 Grad gelten als Grenze des Überlebbaren.

Sowohl in Pakistan als auch in Indien wurden solche Werte schon erreicht: Die Region um Mumbai im Westen des Landes überschritt die 30-Grad-Marke bereits; auch im Süden des Landes, dem Osten an der Grenze zu Bangladesch sowie in einigen Regionen im Landeszentrum wurden in den vergangenen Tagen solche Werte gemessen. Am Donnerstag meldeten Wetterstationen in den südlichen Bundesstaaten Tamil Nadu und Kerala sogar zeitweise 35 Grad.

"Testet die Grenzen der menschlichen Überlebensfähigkeit"

"Diese Hitzewelle testet die Grenzen der menschlichen Überlebensfähigkeit", urteilt auch Chandni Singh bei CNN. Sie ist Autorin im Weltklimarat und leitet das Indian Insitute for Human Settlements. Sie berichtet von Veränderungen hinsichtlich der Intensität, der Ankunftszeit und der Dauer der extremen Hitze in ihrem Land. "Das ist das, was Klimaexperten vorhergesagt haben, und es wird Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Man kann sich nur bis zu einem gewissen Grad anpassen."

Einer dieser Klimaexperten ist Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Auch er sagt, in Indien erreiche man derzeit Werte, "wo es wirklich gefährlich ist, sich längere Zeit im Freien aufzuhalten". Und: "Solange die globale Erderwärmung weitergeht, ist klar, dass auch die Hitzeextreme zunehmen werden."

Zu diesem Schluss kommt auch die indische Regierung: Laut einer Analyse könnten Hitzewellen bis Ende des Jahrhunderts drei- bis viermal so häufig werden wie im Vergleichszeitraum 1976 bis 2005. Luftfeuchtigkeit und Temperaturen werden als Folge des Klimawandels steigen – und damit auch die Gefahren für die Gesundheit.

Keine guten Nachrichten für Berthold Franke – sowohl lang- als auch kurzfristig. Die nächste Hitzewelle soll am Wochenende wieder bis zu 46 Grad nach Indien und sogar bis zu 48 Grad nach Pakistan bringen. In Neu-Delhi werden am Wochenende 42 Grad, Mitte der nächsten Woche 44 Grad erwartet.

"Man sollte denken, bei über 40 Grad wäre das egal. Aber dann merkt man: 42 Grad sind signifikant härter als 40 Grad. Und 43 sind noch mal härter", schildert er seine Erfahrungen. "Jede kleine Nuance ist eine Zusatzbelastung. Dann ist es nicht nur brüllend heiß, sondern noch heißer."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Video-Telefonat mit Dr. Berthold Franke am 05. Mai
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website