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Landwirte als Fluthelfer an der Ahr: "Wir haben keine Befehlskette. Wir machen"


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Flut-Einsatz
"Wir Landwirte haben keine Befehlskette. Wir machen"

  • Lars Wienand
InterviewVon Lars Wienand

Aktualisiert am 28.07.2021Lesedauer: 5 Min.
Großes Aufräumen nach der Flut: Landwirte spielen eine große Rolle.Vergrößern des Bildes
Großes Aufräumen nach der Flut: Landwirte spielen eine große Rolle. (Quelle: Wolfgang Rattay/reuters)

Für viele Betroffene kam Hilfe in der Flut von Landwirten.

Wenn ein größerer Bagger an einem der Katastrophenorte an der Ahr gebraucht wird und unter den 107 Mitglieder in einer WhatsApp-Gruppe für Helfer niemand reagiert, dann schaltet sich Frank Kisfeld ein. "Wenn sich da eine halbe Stunde nichts tut, weil alle so beschäftigt sind, dann rufe ich mal an. Ich weiß ja meist, wer infrage kommt", sagt Kisfeld. Er steht dann vielleicht gerade im Stall. Der Landwirt betreibt Schweinemast, eine Biogasanlage und Ackerbau, und er konnte den Hof nicht verlassen zum Helfen. Seit anderthalb Wochen ist er trotzdem im Dauereinsatz und mehr als 200 Kilometer von der Ahr entfernt Drehscheibe für helfende Landwirte und Unternehmer. t-online hat mit ihm darüber gesprochen, wie schnelle Hilfe aussieht und was die Bauern dort tun.

Herr Kisfeld, wie viele Telefonate führen Sie im Moment?

Frank Kisfeld: Viele, sehr viele. Sicher mehr als 100 jeden Tag. An manchen Tagen ist der Akku mittags schon leer. Manche Anrufer, die helfen wollen, leite ich direkt an andere Hilfsbörsen weiter, wenn das zu wenig mit unserem Einsatz zu tun hat. Und dann bin ich permanent in mehreren WhatsApp-Gruppen aktiv, da haben wir welche für Helfer vor Ort, für Hilfswillige und für die Abstimmung der Maschinen. Ich kümmere mich eigentlich fast ausschließlich um die Vermittlung der Land- und Baumaschinen.

Dazu haben Sie ein Lagezentrum mit Landkarte eingerichtet?

Ich bin nicht am Schreibtisch, ich bin auf meinem Betrieb unterwegs. Ich mache alles mit dem Handy. Ich kenne die Einsatzorte da inzwischen ja ganz gut, und sonst nutze ich Maps auf dem Handy.

Was ist denn der Einsatz?

In der Nacht zum Donnerstag, dem 15., Juli war die Flut, wir sind seit Freitag, dem 16., mit Landwirten aus dem Münsterland im Einsatz in Bad Neuenahr-Ahrweiler, um Straßen passierbar zu machen und zu räumen. Jetzt verlegen wir nach Dernau, es gibt noch Orte, in denen es verheerend aussieht.

Wie kommen Landwirte aus dem Münsterland dazu?

Einer der Landwirte hier hat Verwandte in Bad Neuenahr, der ist donnerstags los, und andere aus den Kreisen Borken und Coesfeld haben sich dann angeschlossen. Die haben sich erst angeboten, aber keinen Ansprechpartner gefunden und sind dann abends einfach losgefahren mit ihren Maschinen, um nachts direkt anzufangen. Landwirte machen einfach.

Im Gegensatz zu manchen anderen Organisationen?

Die Helfer aller Organisationen leisten großartige Arbeit. Aber man hat gemerkt, dass es dauert, wenn es Befehlsketten gibt. Hinfahren und einfach helfen nach eigenem Ermessen, das ging bei uns, bei anderen musste diskutiert und abgestimmt werden. In einer totalen Katastrophe ist nachvollziehbar, dass anfangs viel Hilfe fehlt. Es waren ja großflächig chaotische Zustände. Unsere Hilfen konnten wir dann auch einfach und schnell ausbauen, weil wir ja schon Ansprechpartner vor Ort hatten.

Und wie erklären Sie sich die große Hilfsbereitschaft der Landwirte?

Wir sind organisiert in Gruppen von "Land schafft Verbindung", die sich 2019 zur Organisation von Demos gegen die Agrarpolitik gebildet haben. Da haben viele den Eindruck, dass die Wertschätzung für die Landwirte nicht so hoch ist. Landwirte haben schon immer geholfen. Vielleicht gibt es bei uns jetzt noch ein besonderes Bedürfnis, zu zeigen, wie wichtig die Bauern sind und was sie leisten, wenn es darauf ankommt.

Es gab auch Versuche, diesen großen Einsatz zu vereinnahmen. Etwa bei Ihrem Kollegen Markus Wipperfürth, der mit Streams und in Medien sehr präsent ist.

Ich stehe nicht direkt mit ihm in Kontakt, und er ist in einer ähnlichen Rolle wie ich und bekommt viele Hilfsangebote. Da ist er angesprochen worden von jemandem, den er nicht kannte. Als klar war, was dahinter steckt und dass Hilfe instrumentalisiert werden könnte, wurde denen deutlich abgesagt. Wir haben mit "Querdenkern" und Extremisten gar nichts zu tun. Und wir erleben auch, wie mit Videos mit Falschmeldungen versucht wird, Stimmung zu machen und Leute zu verunsichern.

Heftige Kritik an der Hilfe durch den Staat hat Wipperfürth aber auch geübt.

Es war auch vielerorts erst mal niemand da außer den Bauern, die einfach gemacht haben. Ich habe aber auch Verständnis für Chaos. Wer nicht da gewesen ist oder permanent mit den Leuten dort im Einsatz zu tun hat, kann sich das nicht vorstellen. Die Kollegen haben am Dienstag noch zwei Leichen gefunden. Auch die schlimmen Fernsehbilder geben das nicht wieder. Bilder wie im Krieg, und das eben an ganz vielen Orten in einer großen Fläche.

Sie selbst sind mehr als 200 Kilometer entfernt.

Ich habe da sicher eine leichtere Aufgabe als die Kollegen vor Ort, vor denen ich enormen Respekt habe. Ich muss auf dem Hof bleiben, weil ich dafür niemanden finden konnte. Ich bin dann am Wochenende in meine Rolle als Koordinator gerutscht, weil der, der bis dato koordiniert und mobilisiert hat, dann selbst runtergefahren ist und mich angegeben hat. Und da gab es da unten auch noch kaum Netz und es musste viel koordiniert werden. Also habe ich das gemacht.

Und wie sieht das aus?

Wir haben schnell gemerkt, dass es einen Riesenbedarf gibt, die Freiwilligen zu koordinieren. Am Anfang haben wir Teams gebildet, die autark arbeiten können. Wir stellen einen Verband aus einem Bagger mit Sortiergreifer, einem Hoflader und drei Abfahrern zusammen, also Traktoren mit Hänger, Muldenkipper oder Lkw mit Absetzcontainer. Ich versuche etwa, Leute so zusammenzustellen. Zurzeit benötigen wir im Wesentlichen Kipper und Abfahrfahrzeuge, weil die Transportwege länger werden. Es haben sich aber auch Unternehmen gefunden, die mit 20 Lkw Müll mitnehmen in eine Verbrennungsanlage nach Fulda in Nordhessen.

Und Sie stimmen sich mit dem Katastrophenstab ab?

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Ich dachte, da kommt mal ein Kontakt zustande, aber da gibt es bisher keinen. Ich bespreche die Anforderungen im Katastrophengebiet mit meinen Hauptabnehmern.

Mit Ihren Hauptabnehmern?

Das ist zum einen natürlich ein Ansprechpartner unserer Truppe von etwa 40 Leuten aus Landwirtschaft und Unternehmen. Außerdem vermittle ich zu einem Bauunternehmer, der in mehreren Orten Arbeiten koordiniert, und zu einer Privatperson in Schuld, die da organisiert. Vor Ort entstehen aber schon weitere Kontakte mit anderen Stellen. Jetzt hilft uns die Bundeswehr sehr.

Mit Gerät?

Anders. Unsere Leute haben eine gute Unterkunft gefunden beim Ortsvorsteher im Stadtteil Gimmigen und seiner Frau. Wenn wir aber jetzt in entfernte Orte zum Einsatz fahren, müssten wir mit dem Gerät hin und her. Die Bundeswehr organisiert jetzt morgens und abends Transporte. Außerdem versorgt sie uns mit Diesel.

Melden sich denn weiterhin bei Ihnen Leute, die an die Ahr zum Helfen wollen?

Ja, die Bereitschaft ist sehr groß. Es gab aber auch große Verunsicherung. Die hören, dass keine Helfer kommen sollen und wollen dann nicht sieben Stunden mit ihrer Maschine fahren, um vielleicht nicht reinzukommen. Aber das konnten wir immer aufklären. Wir haben aber auch Helfer, denen wir sagen, dass zumindest wir sie nicht einsetzen können.

Wann ist das der Fall?

Das sind meist Leute, die viele Maschinen bedienen können und wollen, aber keine Geräte dort unten haben. Und die, die Maschinen dort haben, wollen die nicht unbedingt anderen überlassen oder organisieren das im eigenen Kreis, wenn sie selbst heimmüssen.

Wie lange werden Ihre Kollegen denn noch im Einsatz sein?

Wir haben am Montag über ein Ausstiegsszenario gesprochen. Aber dann sind wir in Orte gekommen, wo es noch sehr schlimm aussieht. In Bad Neuenahr-Ahrweiler und der direkten Umgebung ist ein großer Fortschritt erkennbar, aber es gibt noch sehr viel zu tun an der Ahr. Und wir Bauern machen deshalb weiter.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Frank Kistel
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