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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Stürme, Trockenheit, Schädlinge Wie können wir den Wald retten? Das sagen Fachleute
Er ist Holzlieferant, Lebensraum, produziert Sauerstoff und Trinkwasser: Der Wald ist immens wichtig, doch es geht ihm immer schlechter. Was Naturschützer, Jäger, Förster und Waldbesitzer nun fordern.
Stürme, Trockenheit, Schädlinge: Dem Wald in Deutschland geht es so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Selbst in diesem vergleichsweise nassen Frühjahr leidet er massiv. Laut Bundesregierung müssen 277.000 Hektar neu bewaldet werden – eine Fläche größer als das Saarland.
Der Wald ist immens wichtig – für das Klima, die Gesellschaft und die Wirtschaft. Er ist Sauerstoffproduzent, Holzlieferant, Kohlenstoffspeicher, bildet Trinkwasser und ist ein Lebensraum für etliche Tiere und Pflanzen. Und er ist Erholungsraum für den Menschen. Wie sehr sich der Zustand der deutschen Wälder in den vergangenen Jahren verschlechtert hat, sehen Sie hier.
Doch was tun gegen das Waldsterben? t-online hat mit Naturschützern, Jägern, Waldbesitzern und Förstern gesprochen.
Das macht die Politik
Besonders drastisch zeigt sich der Dauerstress, dem die Wälder ausgesetzt sind, nahe Wörlitz, einer kleinen Stadt in Sachsen-Anhalt. In Teilen des Waldes stehen nur noch einzelne Bäume, Luftbilder zeigen einen kahlen, fast leblos wirkenden Ort. Eine Katastrophe nannte Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) den Zustand des Waldstücks bei Wörlitz bei einem gemeinsamen Besuch mit Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU). "Er braucht unseren verstärkten Schutz", sagte Haseloff.
Haseloffs Statement passte zum Termin: dem Nationalen Waldgipfel. Ebenfalls passend zum Termin verkündete Klöckner neue Hilfen für den Wald. Die Bundesregierung hatte schon vor zwei Jahren Hilfen von 1,5 Milliarden Euro angekündigt. Die fließen vor allem an private und kommunale Waldbesitzer, um Schäden im Wald zu beheben und wiederaufzuforsten. Knapp ein Drittel des Geldes sei bereits ausgezahlt worden, sagte Klöckner beim Waldgipfel.
Jetzt soll es eine weitere Prämie geben. Künftig sollen Waldbesitzer auch Geld erhalten können, wenn sie ihren Wald besonders klimafest umbauen. Heißt: in Mischwälder, etwa mit Buchen, Hainbuchen, Linden und Eichen. Diese gemischten Wälder seien weniger störungsanfällig als reine Fichten- oder Buchenwälder, heißt es vom Landwirtschaftsministerium. Die Prämie soll an ein Zertifikat für Nachhaltigkeit gekoppelt werden.
Das sagen die Förster
Rainer Städing ist viele Jahre Förster gewesen, seit drei Monaten ist er im Ruhestand. Für den Sprecher des Bundes Deutscher Forstleute ist die Verbindung zwischen den Menschen und dem Wald etwas Besonderes in Deutschland. Ein Drittel der Fläche ist von Wald bedeckt, er wechselt sich immer wieder mit den Städten und Siedlungen der Menschen ab. "Der Wald spielt für uns eine wichtige Rolle", sagt Städing. Das habe auch die Corona-Krise gezeigt: Viel mehr Menschen seien in den Wald gegangen, um sich zu erholen.
Was nun passieren muss? Für Städing stehen vier Punkte im Fokus: Zum einen der Klimawandel. "Aufhalten können wir ihn nicht mehr", sagt Städing. Aber: "Je stärker der Klimawandel ausfällt, desto stärker sind auch die Auswirkungen auf den Wald." Deswegen müsse er verlangsamt werden. Der nächste Punkt ist der Waldumbau: Es brauche deutlich mehr verschiedene Baumarten, vor allem viel mehr Laubbäume. Das könnten fremdländische Arten sein, aber vor allem denkt Städing dabei an heimische Bäume, die aus wirtschaftlichen Gründen eher vernachlässigt wurden, wie die Linde oder Wildobstbäume.
Dafür braucht es allerdings mehr Arbeitskräfte, und die sind gerade knapp. Obwohl immer mehr junge Menschen den Beruf erlernen, droht ein Mangel an Arbeitskräften. Viele Förster gehen derzeit in den Ruhestand, außerdem wurden massiv Stellen abgebaut. Für stabile Mischwälder aber brauche es wieder mehr Arbeitskräfte, so Städing.
Dann ist da noch ein heiklerer Punkt, bei dem sich Förster und Jäger nicht unbedingt grün sind. Rehe und Hirsche fressen am liebsten Jungbäume – und sind den Förstern deshalb ein Dorn im Auge. "Wir müssen die Wildpopulation so reduzieren, dass sie von zehn Jungbäumen nicht vier oder fünf, sondern nur einen wegfressen", sagt Rainer Städing. Sonst werde das nichts mit der Wiederaufforstung kaputter Wälder.
Das sagen die Jäger
Torsten Reinwald vom Deutschen Jagdverband hat dazu naturgemäß eine andere Haltung: "Waldumbau allein mit dem Gewehr funktioniert nicht". Der Wald sei nicht nur für Pflanzen ein wichtiger Lebensraum, sondern eben auch für Wildtiere. Von den Hirschkäfern bis zu den Hirschen müssen alle ihren Platz haben. "Der Wald ist mehr als nur die Summe der Bäume", so Reinwald. Er schlägt vor, dass Aufforstungsgebiete stärker bejagt und dafür an anderer Stelle Ruhezonen eingerichtet werden, in denen das Wild ungestört bleibt. "Die Tiere lassen sich ja lenken", sagt Reinwald. Laut Förster Städing reicht das allerdings nicht aus.
In anderen Punkten stimmt Jäger Reinwald mit Förster Städing überein. Die Artenvielfalt sieht auch Reinwald als Voraussetzung für klimafitte Wälder – und darauf müsse man aktiv hinwirken und Laubbäume aussäen und anpflanzen. "Wir können nicht warten, bis der Eichelhäher die Eichel in den Wald schleppt", sagt Reinwald mit Blick auf Naturschutzgruppen. Denn der Schaden, über den man derzeit spricht, treffe vor allem eine Art von Wäldern: die reinen Nadelwälder, die in Deutschland 27 Prozent ausmachen. Reinwald nennt sie die Problemzone des deutschen Waldes: "Sie haben der Dürre nicht viel entgegenzusetzen."
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Klar ist für ihn auch: Der Wald ist mehr als ein Holzlieferant. "Wir brauchen ein Umdenken bei Produktionszielen für den Wald." Es müsse sich mehr lohnen, Pflanzen und Bäume zuzulassen, die zwar keinen forstwirtschaftlichen Ertrag versprechen, dafür aber die Artenvielfalt stärken – etwa Sträucher wie Holunder oder Bäume wie der Speierling. Die beim Waldgipfel von Landwirtschaftsministerin Klöckner versprochenen Prämien für klimafeste Wälder seien bisher nur ein Lippenbekenntnis, so Reinwald.
Das sagen die Waldbesitzer
Max von Elverfeldt ist ein Mann der Zahlen: Fast 300.000 Hektar Kahlfläche sind in den deutschen Wäldern in den vergangenen drei Jahren entstanden, 13 Milliarden Euro Schaden. Das Landwirtschaftsministerium beziffert den Schaden auf rund 277.000 Hektar. Es sei ein "gewaltiges Problem", sagt der Vorsitzende der "Familienbetriebe Land und Forst". Nun sei die Gesellschaft gefragt. Denn der Rohstoff Holz wird auch in Zukunft eine immens wichtige Rolle spielen.
"Wir müssen die kaputten Wälder aktiv wiederaufbauen", sagt von Elverfeldt. Wie auch Städing und Reinwald plädiert er für mehr Mischwälder. Dabei möchten die Waldbesitzer unterstützt werden. Das fordert nicht nur von Elverfeldts Verband, sondern auch der Dachverband Deutscher Waldbesitzerverbände "AGDW – Die Waldeigentümer". Sie fordern eine CO₂-Honorierung. Heißt: Weil der Wald CO₂ aus der Luft zieht und speichert, sollten die Waldeigentümer dafür bezahlt werden – so wie die Industrie dafür bezahlt, CO₂ ausstoßen zu können.
Von Elverfeldt plädiert zudem dafür, mehr mit fremdländischen Bäumen zu experimentieren. Dafür eigne sich beispielsweise die Pyrenäeneiche, die Libanonzeder oder der Küstenmammutbaum. Letzterer ist einer der Bäume, mit denen von Elverfeldt in seinem Betrieb experimentiert. Für eine Bilanz sei es noch zu früh, aber: "Wir müssen es zumindest ausprobieren", sagt von Elverfeldt. Denn beim Wald müsse man in Generationen denken: "Den Wald, den ich heute sehe, hat mein Großvater angepflanzt." Derzeit bezahle er die Versuche allerdings aus eigener Tasche, weil es dafür keine Förderprogramme gebe. Bei dem Thema wünscht er sich eine Kehrtwende.
Das sagen die Naturschützer
Ralf Schulte hält davon nichts. Niemand wisse heute, was die Wälder von morgen brauchen, sagt der Fachbereichsleiter für Naturschutzpolitik beim Naturschutzbund (Nabu). Die Annahme, bestimmte fremdländische Bäume seien zukunftsfähiger für unsere Wälder, sei unseriös, findet er. "Wie eine Vorhersage aus der Glaskugel."
Der Naturschützer plädiert dafür, die Wälder weitestgehend sich selbst zu überlassen. "Die Wälder wissen am besten, wie sie sich anpassen." Totholz etwa solle nicht weggeräumt werden, sondern liegen bleiben; alte Bäume nicht abgerissen, sondern stehen gelassen werden. "Dann gibt es eine gute Chance, dass in deren Schutz eine Naturverjüngung stattfindet", so Schulte. Das Totholz könne zudem als Bissschutz für Jungbäume dienen.
Klar ist für Schulte, dass es einen Paradigmenwechsel braucht: Denn noch immer gelte im Wald das Primat der Forstwirtschaft. Nun sei es wichtig, Wälder wieder vorrangig als Ökosysteme zu betrachten. In einem anderen Punkt stimmt er aber mit den Waldbesitzern überein. Auch er fordert Förderungen für Waldbesitzer, die ihre Wälder fit für die Erderwärmung machen wollen. Die CO₂-Honorierung ist dabei nur ein Aspekt, auch die Leistung der Wälder für die Grundwasserbildung und ihr Beitrag zur Artenvielfalt müsse honoriert werden, so Schulte.
Eine Kernforderung des Nabu ist es, besonders die alten Wälder, die heute noch existieren, unter Schutz zu stellen. Mindestens zehn Prozent der Waldfläche soll zudem der wirtschaftlichen Nutzung entzogen und komplett der Natur überlassen werden. Denn: "Mutter Natur weiß es am besten."
- Eigene Recherche
- Nachrichtenagentur dpa