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Springer-Chef Döpfner, "Bild" und Reichelt: Deutschlands Zeitungsriese wankt


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Springer-Affäre weitet sich aus
Deutschlands Zeitungsriese wankt


Aktualisiert am 21.10.2021Lesedauer: 8 Min.
Mathias Döpfner bei einer seiner zahlreichen öffentlichen Auftritte: Mit seinen Aussagen würden andere sich schnell auf dem Abstellgleis befinden. Schützt ihn die deutsche Medienlandschaft?Vergrößern des Bildes
Mathias Döpfner bei einer seiner zahlreichen öffentlichen Auftritte: Mit seinen Aussagen würden andere sich schnell auf dem Abstellgleis befinden. Schützt ihn die deutsche Medienlandschaft? (Quelle: imago-images-bilder)
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In einem Chat hat der Springer-Chef die Bundesrepublik mit der DDR gleichgesetzt. Dabei ist Mathias Döpfner nicht irgendwer, sondern vertritt die Interessen aller Verleger. Doch die schweigen. Warum?

Mathias Döpfner ist einer der bestbezahlten Manager Deutschlands.

Mathias Döpfner ist Axel Springers heimlicher Erbe, er steht seit Jahren dem riesigen Medienkonzern vor, der das Zeitungsflaggschiff "Bild" verlegt.

Mathias Döpfner ist der Branchen-Primus. Er vertritt als Präsident des "Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger" (BDZV) offiziell die Interessen aller Verlage in Deutschland.

Mathias Döpfner könnte zufrieden sein, denn über Mathias Döpfner verliert in der Branche niemand gern ein schlechtes Wort.

Und das gilt, selbst wenn Döpfner schlecht über andere redet: Bereits 2017 beschwor er das Schreckgespenst von "Staatsfernsehen und Staatspresse" im Stile Nordkoreas - und meinte damit den Auftritt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Internet.

Als 2019 schließlich ein rechtsextremer Deutscher mehrere Menschen in Halle ermordete, indem er eine Synagoge und anschließend einen türkischen Imbiss angriff, waren für Döpfner "Journalisten und Politiker" verantwortlich, die "nicht mehr sehen und sagen wollen, was ist". So schrieb er es in einem Leitartikel für die "Welt". Und meinte damit: "Ausländerkriminalität", die angeblich verschwiegen werde.

Ein großer Vorwurf, den BDZV-Präsident Döpfner seinen Mitbewerbern machte. Manch einer würde wohl entgegnen, dass Döpfner der radikalen Rechten das Wort schrieb, das lautete: "Lügenpresse". Und dabei eben mit dem Finger auf die Konkurrenz zeigte.

Umso erstaunlicher war die Reaktion der Branche. Es gab nämlich keine. Das medienjournalistische Portal "Übermedien" dokumentierte das laute Schweigen eindrucksvoll. Einer, der auch gar nichts dazu sagen wollte, war Deutschlands ältester Zeitungsverleger Dirk Ippen.

Und ausgerechnet der sorgte nun unfreiwillig dafür, dass Deutschland über Mathias Döpfner spricht. Ippen hatte, ganz der investitionsfreudige Verleger, als der er bekannt wurde, aus der Krise eines Konkurrenten eine Chance für das eigene Unternehmen gemacht. Im vergangenen Jahr übernahm er das angeschlagene Nachrichtenportal "BuzzFeed Deutschland".

Das dort investigativ arbeitende Kernteam sollte seit Mitte dieses Jahres der gesamten Zeitungsgruppe zuliefern, zu der vom "Münchner Merkur" bis zur "Frankfurter Rundschau" etliche Publikationen gehören. Fortan hieß es "Ippen Investigativ" und berichtete direkt an den Chefredakteur. "Für das ganze Unternehmen von großer Bedeutung" – so nannte der Ippen-Erbe und Geschäftsführer des Verlags, Jan Ippen, das Ressort im Juni.

Blamage statt Prestige

Dass eine Kontroverse um seinen Vater und das neue Team nur vier Monate später den gesamten Verlag in Misskredit und den Springer-Chef in Verlegenheit bringen würde, ahnte er da wohl noch nicht.

Denn die Journalisten um Daniel Drepper nahmen sich ein Projekt vor, das in einer Branche, die wenig Rücksicht auf andere, aber viel Rücksicht auf sich selbst nimmt, Aufsehen erregen konnte: das Gebaren von Julian Reichelt. Der Chefredakteur des Springer-Aushängeschilds "Bild" hatte schon länger mit Vorwürfen zu kämpfen, er vermische Privates und Dienstliches und nutzte seine Position insbesondere gegenüber weiblichen Untergebenen aus. "Ippen Investigativ" wollte mehr herausfinden, denn die Journalistin Juliane Löffler ist seit mehreren Jahren auf Recherchen zu Frauenrechtsthemen spezialisiert.

Das Ergebnis konnte sich wohl auch sehen lassen und sollte vor einigen Tagen erscheinen. Nur hatte die Investigativredaktion die Rechnung ohne Verleger Dirk Ippen gemacht. In der Nacht zu Montag wurde durch Berichte in der "New York Times" und bei "Übermedien" bekannt: Ippen pfiff die Veröffentlichung persönlich zurück, verstieß damit gegen die Trennung von Redaktion und Verlag, stieß die eigene Belegschaft vor den Kopf.

Er habe den Eindruck vermeiden wollen, der Konkurrenz schaden zu wollen, sagte er dem Branchendienst "Meedia". Angebliche Anrufe von Springer-Mitarbeitern bei Ippen sollen also nichts damit zu tun haben. Update, 21.10.2021: "Es hat keinerlei Einwirkung seitens des Hauses Springer auf mich in dieser Sache gegeben, ganz und gar keine", schrieb Ippen auch dem Comedian Jan Böhmermann in einer Email. Döpfner gab in einem verlagsinternen Video an, es habe keine Einflussversuche Springers gegeben. Dem widersprach Ippen-Redakteur Marcus Engert bei Twitter.

Der Darstellung der "taz", dass Springer zudem für Ippen nicht nur Konkurrent sondern auch Auftraggeber sei, da eine Teilauflage der "Bild" dort gedruckt werde, dementierte der Ippen-Verlag in einer Email an t-online nachdrücklich: "Es bestehen keine wirtschaftlichen Beziehungen mehr zwischen Ippen und Springer. Zuletzt gab es noch einige Druckaufträge an einzelne unserer Druckzentren, aber auch diese bestehen schon seit einigen Monaten nicht mehr."

Der Springer-Chef und der DDR-Vergleich

Die Berichterstattung zum Fall jedenfalls übernahm schließlich die "New York Times". Vom "Ippen Impact", den der Ippen-Chefredakteur anschließend auf Twitter konstatierte, blieb aufgrund der Intervention des Verlegers nur wenig. Das hauseigene Investigativ-Team protestierte intern vergeblich und veröffentlichte Teile der Recherche am Dienstag beim "Spiegel". Der "Frankfurter Rundschau" blieb nur, öffentlich gegen den Verleger Position zu beziehen. Auf der Titelseite forderte sie ihr Recht ein, ebenfalls die eigene Story veröffentlichen zu dürfen.

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Aus der prestigeträchtigen Recherche war für den Ippen-Verlag ein Kommunikations-Gau geworden.

Spielte tatsächlich nur Ippens Rücksichtnahme auf die Geschäfte der Konkurrenz eine Rolle? Das ist durchaus denkbar. Nicht völlig unplausibel ist allerdings, dass noch etwas anderes eine Rolle spielte.

In den Artikeln über Reichelt kommt auch Springer-Chef Mathias Döpfner nicht gut weg. Er hatte sich bereits im Frühjahr hinter seinen Chefredakteur gestellt, wie das Portal "Medieninsider" damals berichtete. Sowohl die "New York Times" als auch der "Spiegel" zitieren nun aber aus einer privaten Nachricht des Top-Managers, die die Untersuchung gegen Reichelt zum Thema hat. Im Kontext liest sie sich laut "Times"-Medienkolumnist Ben Smith so:

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"Um mich mal etwas Stimmung in unseren Austausch zu bringen: Lies mal JR [Julian Reichelt] Kommentar heute. Das ist nur ein aktuelles Beispiel warum wir besonders genau vorgehen müssen. Er ist halt wirklich der letzte und einzige Journalist in Deutschland der noch mutig gegen [den] neuen DDR Obrigkeits Staat aufbegehrt. Fast alle anderen sind zu Propaganda Assistenten geworden. Da macht sich einer jeden Tag viele mächtige Feinde. Und wir müssen sehr genau unterscheiden woher die Gegnerschaft kommt."

Der mächtigste Medienmanager Deutschlands vergleicht die Bundesrepublik also mit der DDR-Diktatur, alle anderen seien "Propaganda-Assistenten"? Der Springer-Verlag bestätigte t-online die Echtheit der Nachricht.

Es handele sich dabei aber um eine "ironische, polemisch überspitzte Bemerkung unter Freunden", sagte Pressesprecher Malte Wienker. Das belege der übrige Chat-Verlauf, der nicht veröffentlich worden sei. Mathias Döpfner halte "die Bundesrepublik selbstverständlich nicht für vergleichbar mit der DDR", hieß es zudem in einer schriftlichen Stellungnahme. Demnach sollten private Nachrichten "keinesfalls als quasi-öffentliche Statements interpretiert werden, für die sich der Absender rechtfertigen muss".

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Dennoch könnte das Zitat Döpfner über den Fall Reichelt hinaus in Bedrängnis bringen. Unter Reichelt hat die "Bild"-Zeitung zusehends eine Schützengrabenmentalität entwickelt, wetterte gegen fast alles und jeden. Auf dem Weg zu einer Art deutschen "Fox News" verabschiedete sich die Zeitung zusehends aus dem Grundkonsens einer vernunftgeleiteten Berichterstattung.

Viele in der Medienbranche fragen sich seit Langem, ob Döpfner dieses Gebaren nur duldete, weil es sich betriebswirtschaftlich lohnte, oder ob er auch inhaltlich dahinter stand. Döpfners SMS legt nahe, dass er eher ein Bruder im Geiste von Julian Reichelt zu sein scheint.

BDZV duckt sich weg

Das alles wäre eine Springer-interne Angelegenheit, wäre Döpfner nicht zusätzlich Präsident des BDZV. Ein Posten, wie es in der Branche heißt, der ihm offenbar sehr wichtig sei.

Natürlich darf man davon ausgehen, dass Döpfner den Job nutzt, um Springer-Interessen besonderes Gehör zu verschaffen. Nur bringt es die repräsentative Aufgabe eben auch mit sich, die Interessen aller Mitglieder zu vertreten. Da ist es gelinde gesagt verfänglich, den Journalisten fast aller anderen Medien zu attestieren, sie seien zu "Propaganda-Assistenten" geworden.

Und wie reagieren die Gescholtenen? t-online hat dem BDZV folgende Fragen gestellt:

  1. Ist es Position des BDZV, dass die Bundesrepublik ein „neuer DDR-Autoritätsstaat“ ist?
  2. Ist es mit dem Amt des BDZV-Präsidenten vereinbar, dieser Ansicht zu sein?
  3. Schadet eine solche Äußerung aus Sicht des BDZV dem Ansehen der Medien in Deutschland?
  4. Hat der BDZV das Gespräch mit Herrn Döpfner dazu gesucht?
  5. Hat Herr Döpfner gegenüber dem BDZV Kontext genannt, der das Zitat anderweitig erklärbar macht?
  6. Erwägt der BDZV Konsequenzen aus der kolportierten Äußerung?
  7. Wird sie Thema in der nächsten Präsidiumssitzung? Wann findet sie statt?
  8. Hat der BDZV eine Position zur Trennung von Verlag und Redaktion?
  9. Schadet ein direkter Eingriff des Verlegers in die redaktionelle Unabhängigkeit aus Sicht des BDZV dem Ansehen der Medien in Deutschland?

Der BDZV hat darauf geantwortet: "Herr Döpfner hat seine Aussagen im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE getroffen. Der BDZV kommentiert grundsätzlich keine einzelnen Vorgänge unternehmerischer Tätigkeiten von Mitgliedsverlagen."

Ob die anderen Verleger ihre Stimme zu dem Fall wiederfinden? Schließlich könnte er ein Schlaglicht darauf werfen, inwiefern die Branche bereit ist, die Maßstäbe von Transparenz und Verantwortlichkeit in den eigenen Reihen einfordern zu können, die sie an die übrigen Gegenstände ihrer Berichterstattung anlegt.

"Unter Verlegern, da hält man zueinander", kommentierte der Branchendienst DWDL. Tenor: Die deutsche Medienlandschaft lasse Kritik an ihren wichtigen Playern nicht zu – und Döpfner sei dafür schon seit Langem das beste Beispiel. "Der Springer-CEO und Verbandspräsident durfte schon die unsäglichsten Behauptungen aufstellen, absurde Vergleiche bemühen, bewusste Falschmeldungen verbreiten oder wissentlich die Unwahrheit sagen - und selten wurde das thematisiert." Ändert sich das nun?

Brancheninsider sind skeptisch. Springer ist der mit Abstand größte und mächtigste Medienkonzern Deutschlands. Und Mathias Döpfner ist überdurchschnittlich charismatisch. Er kann der Branche also Gehör verschaffen – sei es in Reden oder dank seines direkten Drahts in die Spitzenpolitik. Einen vergleichbaren Einfluss habe sonst niemand in der eher mittelständisch geprägten Branche, heißt es. Deshalb sähen die meisten auch darüber hinweg, dass Döpfner mit viel Verve die Interessen seines Konzerns vertrete und eher nur nebenbei die von allen übrigen Beteiligten. Aber lieber ein bisschen Lobbyarbeit als gar keine.

So lobbyierte Döpfner beispielsweise seit Jahren unermüdlich für die Verlage gegen die Digitalbranche, gegen die Expansion der Öffentlich-Rechtlichen im Internet und will Google zur Kasse bitten. Dabei wusste er auch Verleger Ippen an seiner Seite. Medienjournalisten beobachteten derweil, so der Branchendienst DWDL, dass Verlage "unter dem Deckmantel von Medienjournalismus beim Thema Leistungsschutzrecht teils unverhohlen die eigenen Unternehmensinteressen propagierten". Von etablierten Medien sei diese Sichtweise allerdings kaum aufgegriffen worden.

Im Fall Reichelt geht es also mittlerweile möglicherweise um mehr als Machtmissbrauch und das Kleinklein einer Interessenvertretung. Durch das Eingreifen Ippens und die kolportierten Zitate Döpfners wird er zu einer Springer-Affäre, die das Selbstverständnis der gesamten Branche in Frage zu stellen droht.

Was die Affäre für Mathias Döpfner bedeutet, dem Springer-Witwe Friede Springer erst vor Kurzem Aktien im Wert von rund einer Milliarde Euro schenkte und ihn damit zum wahren Erben des Konzerngründers Axel Cäsar Springer machte, lässt sich noch nicht absehen.

Was die Affäre für die Medienbranche bedeutet, ist noch viel weniger klar. Zunächst liegt die Aufmerksamkeit noch auf dem Hause Ippen: Ob sich ein Verleger so einfach über alle Regeln der redaktionellen Unabhängigkeit hinwegsetzen darf - und damit durchkommt. Bald dürfte aber verstärkt auch über Döpfner gesprochen werden. Und darüber, warum die anderen Zeitungsverlage ihn so auffällig zu schützen scheinen.

Vielleicht wird dann auch über die innere Pressefreiheit in Redaktionen gesprochen. Die Springer-Affäre, die mit dem mutmaßlichen Machtmissbrauch eines Chefredakteurs begann und vorerst in seiner Entlassung gipfelte, könnte Konsequenzen für die gesamte deutsche Medienlandschaft haben. Wenn der mächtigste Medienmanager des Landes tatsächlich ins Wanken gerät.

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