t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePanoramaMenschen

Oldenburg: Polizist schießt viermal – warum starb Lorenz A.?


"Gewalt, die niemals hätte sein dürfen"
Von Polizei erschossen: Warum starb Lorenz A.?


24.04.2025 - 15:11 UhrLesedauer: 4 Min.
Auf Instagram wird "Gerechtigkeit für Lorenz" gefordert: Nach dem Tod des 21-Jährigen herrscht Trauer in Oldenburg.Vergrößern des Bildes
Auf Instagram wird "Gerechtigkeit für Lorenz" gefordert: Nach dem Tod des 21-Jährigen herrscht in Oldenburg Trauer. (Quelle: Screenshot Instagram: gerechtigkeit_fuer_lorenz)
News folgen

Ein junger Mann mit Migrationshintergrund wird durch vier Polizeischüsse getötet. Familie und Bekannte des Getöteten trauern – jetzt wollen sie auf die Straße gehen.

"Wer vier Schüsse von hinten abgibt, will nicht stoppen – sondern töten", steht auf einem Plakat, das in sozialen Netzwerken verbreitet wird. Und weiter: "Gerechtigkeit für Lorenz." Lorenz ist tot – erschossen von einem jungen Polizisten während eines Einsatzes in der Nacht auf Ostersonntag. Lorenz wurde 21 Jahre alt. Familie und Freunde verlangen Antworten: Wer ist schuld am Tod von Lorenz? Am Freitag wollen sie ihrer Trauer im Rahmen einer großen Kundgebung in der Oldenburger Innenstadt Ausdruck verleihen.

"Lorenz war mein einziger Sohn, meine Freude", sagte Lorenz' Vater der "Bild"-Zeitung. "Wut, Ärger – das nutzt mir nichts. Das bringt mir auch nicht meinen Sohn wieder." Der 21-Jährige habe Tischler werden wollen. Jetzt liegen schwarz-weiße Fotos in einem Meer aus Blumen, Kerzen und kleinen Engeln. Ein Freund erinnert sich: "Er war immer hilfsbereit und fröhlich. Mit Drogen oder Kriminalität hatte er nichts am Hut. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer." Doch wie konnte der Polizeieinsatz dann derart eskalieren?

Kriminologe Singelnstein: "Und am Ende ist ein Mensch tot"

Die Polizei wurde am frühen Sonntagmorgen zwischen 2 und 3 Uhr zu einer Disco in die Oldenburger Innenstadt gerufen. Der 21-jährige Lorenz soll Reizgas in Richtung des Sicherheitsdienstes gesprüht haben, hieß es von der Polizei. Zuvor soll die Security ihm den Zutritt zur Disco verwehrt haben. Was der Grund dafür war, ist unklar. Der 21-Jährige sei geflüchtet, so die Schilderungen der Polizei. Passanten rannten hinterher. Der 21-Jährige soll seinen Verfolgern dann mit einem Messer gedroht haben. Als er auf die Streifenwagenbesatzung stieß, soll er bedrohlich auf die Beamten zugegangen sein und erneut Reizgas versprüht haben. Daraufhin schoss der 27 Jahre alte Polizist viermal.

Foto: Goethe-Universität Frankfurt/Blachura Photography
Foto: Goethe-Universität Frankfurt/Blachura Photography (Quelle: Goethe-Universität Frankfurt: Blachura Photography)

Zur Person

Prof. Dr. Tobias Singelnstein ist seit dem 1. April 2022 Professor für Kriminologie und Strafrecht am Fachbereich Rechtswissenschaft der Goethe-Universität. Zuvor war er von 2017 bis 2022 Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie an der Ruhr-Universität Bochum. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Kriminologie sowie im Strafrecht und Strafprozessrecht.

Tobias Singelnstein beunruhigt der Fall. Er ist Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Goethe-Universität Frankfurt und forscht unter anderem zu Fehlverhalten von Polizisten, Polizeigewalt und Diskriminierung. Im Gespräch mit t-online sagt er: "Das ist ein Muster, das wir in den vergangenen Jahren häufiger gesehen haben: Ein Einsatz gegen eine Person of Colour läuft derart aus dem Ruder – und am Ende ist ein Mensch tot. Da muss man sich die Frage stellen: Wie entsteht diese Eskalation und wer hat welchen Anteil daran?"

Loading...
Symbolbild für eingebettete Inhalte

Embed

"Man zahlt bei diesem Vorgehen dann eben den Preis"

Die Frage, die jetzt auch die Ermittler der Staatsanwaltschaft beschäftigt: Hat Lorenz die Beamten tatsächlich mit einem Messer bedroht? Dann könnte es sich um eine Notwehrsituation gehandelt haben. Sollte sich herausstellen, dass kein Messer im Spiel war, würde der Druck auf die Polizei weiter steigen. Tatsächlich sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft am Mittwoch: "Wir gehen davon aus, dass in dieser konkreten Situation kein Messer zum Einsatz kam." Allerdings muss ein Messer nicht zwingend vorhanden sein. Auch die Drohung mit einer solchen Waffe könnte im Zweifel ausreichen, um den Einsatz der Schusswaffe zu rechtfertigen.

Empfohlener externer Inhalt
Instagram
Instagram

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen Instagram-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren Instagram-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

"Bei der Bedrohung mit einem Messer sollen die Beamten bei Unterschreitung einer bestimmten Entfernung schießen", sagt Polizei-Experte Singelnstein. Das werde in der Ausbildung so gelehrt. Im Hinblick auf die Eigensicherung sei das verständlich. Es gebe aber auch die Kehrseite, "weil es in der Praxis zu einem automatisierten Ablauf führen kann. Man zahlt bei diesem Vorgehen dann eben den Preis, dass immer wieder Menschen erschossen werden."

Obduktion: Kugel traf Lorenz A. von hinten am Kopf

Fragen wirft auch das Ergebnis der Obduktion auf. Demnach wurde Lorenz durch gleich vier Polizeischüsse getroffen. Ein Schuss verletzte ihn am Kopf. Drei der vier Schüsse haben den jungen Mann von hinten getroffen. Der Anwalt von Lorenz' Mutter, Thomas Feltes, fordert Aufklärung: Kameras in der Straße müssten überprüft, der Funkverkehr der Polizisten ausgewertet werden. Die Ermittler müssten jetzt verhindern, dass wichtige Beweise gelöscht würden, so Feltes.

In Oldenburg weicht die Trauer langsam der Wut – auch auf die Polizei. "Der Fall muss (...) Konsequenzen nach sich ziehen", heißt es etwa vom Aktionsbündnis "Gerechtigkeit für Lorenz" auf Instagram. Das Bündnis ruft für Freitagabend zu einer Kundgebung in der Oldenburger Innenstadt auf. Die Stadt rechnet mit rund 1.000 Teilnehmern. "Der Mord an Lorenz ist kein Einzelfall", heißt es vom Aktionsbündnis.

Das niedersächsische Innenministerium widerspricht: "Das ist nicht an der Tagesordnung", so ein Ministeriumssprecher. Im vergangenen Jahr verzeichnete die Polizei landesweit mehr als 1,5 Millionen Einsätze, in fünf Fällen hätten Beamte ihre Pistole gegen Menschen eingesetzt.

Rassismus bei der Polizei? Gewerkschaften widersprechen

Das Aktionsbündnis hingegen spricht von "Rassismus, der auch bei der Polizei strukturell" sei. Es zeige sich immer wieder: "Polizeieinsätze enden tödlich, wenn migrantisierte Menschen (...) betroffen sind."

Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) sieht das anders: "Grundsätzlich geht es bei polizeilichem Handeln nicht darum, ob jemand eine Person of Color ist oder Weiß und deutsch. Das ist nicht die Bewertungsgrundlage", sagte der DPolG-Vorsitzende aus Niedersachsen, Patrick Seegers, dem NDR. Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnte vor einer Vorverurteilung der Polizei: Bis kein umfassender Bericht vorliege, seien sämtliche Mutmaßungen fehl am Platz. Konkrete Anhaltspunkte, dass Rassismus Ursache für die tödlichen Schüsse war, gibt es bislang nicht.

Aufklärung "ohne unabhängige Zeugen" schwierig

Kriminologe Tobias Singelnstein will sich noch kein Urteil erlauben, aber es müsse zumindest die Frage gestellt werden: "Haben die Beamten die Gefahr durch den jungen Mann anders bewertet, weil er eine Person of Colour war?" Es gebe Rassismus in der Gesellschaft. Und "entsprechende Narrative gibt es natürlich auch in der Polizei".

Wie die Ermittlungen gegen den Polizisten ausgehen, ist unklar. Aktuell ist der Schütze wie in solchen Fällen üblich vom Dienst suspendiert. Es gilt die Unschuldsvermutung. In der Vergangenheit sind Ermittlungsverfahren gegen Polizisten meist eingestellt worden, weiß Singelnstein. Eine Aufklärung "ohne unabhängige Zeugen" dürfte sehr schwierig werden, so seine Vermutung. Unabhängig davon, wie die Ermittlungen in diesem Fall ausgehen, ist dem Kriminologen wichtig: "Die Polizei muss stärker Konzepte entwickeln, wie sie Situationen deeskalieren kann."

In Oldenburg dürften manche ihr Urteil schon gefällt haben: "Du bist einfach gegangen – du wurdest uns genommen. Durch Gewalt, die niemals hätte sein dürfen", steht auf einem Zettel an einer Hauswand.

Verwendete Quellen

Quellen anzeigenSymbolbild nach unten

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



Telekom