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Kinderporno-Prozess Christoph Metzelder: Auch Unschuldige müssen mit Anzeigen rechnen


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Metzelders Missbrauchsaufnahmen
Experte warnt vor Ermittlungen gegen Opfer und Unbeteiligte

  • Jonas Mueller-Töwe
InterviewVon Jonas Mueller-Töwe

29.04.2021Lesedauer: 5 Min.
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Nach Geständnis: Ex-Fußballprofi Metzfelder ist zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. (Quelle: reuters)

Der Ex-Nationalspieler Christoph Metzelder ist für das Verbreiten von Missbrauchsbildern verurteilt worden. Er hat gestanden. Doch ein Experte warnt: Das Gesetz kann auch Unschuldige treffen.

Christoph Metzelder hat die Verbreitung kinderpornografischer Bilder gestanden. "Ich habe auf frei zugänglichen Internetseiten inkriminierte Bilder besorgt, Screenshots gemacht. Ich habe in Chats Extremfantasien ausgetauscht", sagte der ehemalige Fußballprofi und Nationalspieler vor seiner Verurteilung heute Nachmittag am Amtsgericht Düsseldorf. Er erhielt eine Bewährungsstrafe.

t-online sprach anlässlich der Urteilsverkündung mit Thomas-Gabriel Rüdiger. Der Kriminologe am Institut für Polizeiwissenschaft in Brandenburg forscht zu Cybergrooming, also der Anbahnung sexuellen Missbrauchs im digitalen Raum. Er warnt, kinderpornografische Inhalte seien weit verbreitet und keinesfalls nur ein Phänomen abgeschotteter Netzwerke. Die Gesetzgebung halte zudem Gefahren für Unbeteiligte und Opfer bereit.

t-online: Herr Rüdiger, der Ex-Fußallnationalspieler Christoph Metzelder hat heute die Weiterverbreitung von Bildern gestanden, die schweren Missbrauch von Kinder zeigen. Er hat sie demnach an mehrere Frauen verschickt. Wie werden solche Fälle bestraft?

Thomas-Gabriel Rüdiger: Bislang werden solche Fälle als Vergehen eingestuft, das bedeutet typischerweise Geld- oder Haftstrafen bis maximal fünf Jahre, bei besonders schweren Ausprägungen auch bis zu zehn Jahre. Es steht aber eine Reform des Sexualstrafrechts an: Wenn sie in Kraft tritt, sollen im Prinzip alle Deliktsformen im Zusammenhang mit kinderpornografischen Inhalten als Verbrechen eingestuft werden. Das würde Mindeststrafen nicht unter einem Jahr bedeuten.

Wie häufig sind solche Fälle ihrer Erfahrung nach?

Wir haben es mit einem globalen Phänomen zu tun. Kinder- und auch jugendpornographische Medien in verschieden schwerer Ausprägung sind durch das Internet letztlich omnipräsent. Auch die angezeigten Taten in Deutschland sind stark angestiegen.

Das klingt, als seien solche Inhalte für jedermann zugänglich. Ist das wirklich so?

Leider muss man das vermutlich bejahen. Allein nach einem Bericht von NCMEC – einer Kinderschutzorganisation – in den USA wurde in Ermittlerkreisen bekannte Bilder 2019 rund 22 Millionen mal ins Internet hochgeladen. Das sind nur die Medien, die bereits bekannt sind, keine neu angefertigten. Nicht mal Kindern an Schulen fällt es offenbar schwer, an solche Dateien zu gelangen.

Sind Ihnen solche Fälle bekannt?

Das geschieht immer wieder. Dafür sind keine ausgefeilten IT-Kenntnisse oder sonstiges Geheimwissen notwendig. Obwohl schon das Suchen danach strafbar sein kann! Es ist auch kein reines Problem des Darknets, sondern auch eines das in Sozialen Medien auftreten kann.

Wir müssen allerdings differenzieren: Es gibt Videos, die schwere Vergewaltigungen und Missbrauch zeigen, es gibt sogenannte Posingbilder, die Kinder in unnatürlich sexuellen Posen zeigen und es gibt beispielsweise Bilder, die Jugendliche und auch Kinder auch einvernehmlich für einander anfertigen.

Auch das ist also strafbar.

All das kann Jugend- oder Kinderpornographie darstellen und kann entsprechend strafbar sein. Der Begriff erfasst sehr viele unterschiedliche Kriminalitätsformen, bei denen man aufpassen muss, sie nicht einfach zusammen zu erfassen und auch kriminalpolitisch zu behandeln.

Im Fall Metzelder sollen die Bilder über WhatsApp verschickt worden sein. Nehmen solche Verbreitungswege zu?

Sie denken eher an eine vernetzte und arbeitsteilige Szene von Missbrauchstätern wie in Bergisch Gladbach. Solche Netzwerke gibt es und die agieren typischerweise über das Darknet, sie sind eine große kriminalpolitische Herausforderung. Es gibt aber einen weiteren Täterkreis, nämlich viele, denen die Strafbarkeit gar nicht bewusst ist.

Geben sie bitte ein Beispiel.

Beispielsweise wenn ein 14-jähriger Junge von seiner 13-jährigen Freundin ein entsprechendes eigenproduziertes Bild oder Video über WhatsApp zugesendet bekommt, kann das faktisch ein kinderpornografisches Medium darstellen und der Freund macht sich strafbar.

Als der Staat die Straftatbestände gegen kinderpornografische Inhalte schuf, galt es vermutlich als ausgeschlossen, dass jemand zufällig an solche Bilder oder Videos gelangen könnte oder sie als Kind oder Jugendlicher sogar freiwillig produziert. Der digitale Fortschritt hat das komplett verändert.

Mit welchen Folgen?

Wenn ein Schüler in den WhatsApp-Chat der Klasse ein entsprechendes Bild postet, kann gegen alle Chat-Teilnehmer zunächst der Verdacht einer Straftat bestehen, da die Bilder meist automatisch heruntergeladen werden. Hier müssen wir auch dringend endlich über die Vermittlung von Medienkompetenz ab der 1. Klasse an jeder Schule sprechen.

Und das ist alles gleich strafbar? Ob jemand die Bilder unaufgefordert erhält oder um sie bittet, ist erstmal unerheblich? Im Fall Metzelder wurde ja auch gegen die Frauen ermittelt, denen er die Bilder zugeschickt hat.

Ich bin gespannt, was in diesen Fällen passiert. Für denjenigen, der so etwas selbst anzeigt, kann leider immer die Gefahr eines gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens bestehen, denn der Besitz als solches ist strafbar. Für den Anfangsverdacht einer Straftat ist es ziemlich unerheblich, wie der Besitz zustande kam.

Die Staatsanwaltschaft kann das natürlich später einstellen, aber die Polizei muss aufgrund des Legalitätsprinzips immer ermitteln. Es ist alles der Verdacht auf Besitz kinderpornographischer Inhalte. Und ich glaube jeder kann erahnen, was so ein Verdacht im privaten und beruflichen Umfeld anrichten kann.

Verhindert das nicht, dass überhaupt jemand Anzeige erstattet, wenn er selbst mit Strafverfolgung rechnen muss?

Das kann ich nicht ausschließen. Es kann in dieser Konstellation Menschen treffen, die gar nichts dafür können. Mal als ein Beispiel. Ein Kind wird Opfer von Cybergrooming – also der onlinebasierten Anbahnung eines sexuellen Kindesmissbrauchs – und übersendet dem Täter ein Masturbationsvideo. Die Eltern bemerken das und machen Screenshots von den Aufnahmen ihrer Tochter, um es für die Polizei zu dokumentieren.

Bei der Polizei – so komisch es sich anhört – wird dann vermutlich auch gegen die Eltern ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, da sie mit dem Screenshot kinderpornografische Inhalte angefertigt haben. Denn eigentlich hätten die Eltern auf die Anordnung der Polizei oder Staatsanwaltschaft warten müssen. Das wird sicherlich durch die Staatsanwaltschaft eingestellt, aber wie belastend so etwas sein muss, ist auch klar.

Mit der geplanten Reform wird sich das Problem noch verschärfen: In dem Moment, wo der Besitz zum Verbrechen wird, kann das nicht mehr einfach so eingestellt werden. Darüber wird einfach nicht genug debattiert. Es fehlt die Möglichkeit, so etwas zur Anzeige zu bringen, ohne selbst die Gefahr einer Anzeige einzugehen. Eigentlich ist das eine Situation, in der der Gesetzgeber in irgendeiner Form reagieren müsste.

Würden nicht aber Schutzbehauptungen vereinfacht, wenn nicht jeder Besitz gleich verfolgt würde? Dann hat es doch im Zweifel jeder Täter gerade eben zufällig zugeschickt bekommen...

Ja, und solche Behauptungen sind auch nicht selten! Eine Patentlösung habe ich dafür nicht. Trotzdem müssen wir über die Tücken und kriminalpolitischen Auswirkungen der Gesetzeslage vor allem im digitalen Kontext sprechen. Vermutlich müssten wir kinderpornographische Schriften auch noch genauer differenzieren.

Was meinen wir als Gesellschaft damit genau, wollen wir schwere Missbrauchsabbildungen von Kindern genauso einstufen wie eigenproduzierte Bilder von Kindern für ihren gleichaltrigen Freund im Rahmen sogenannter Sexting-Prozesse? Sonst besteht die Gefahr, dass es enorme Kollateralschäden gibt, auch Kinder und Jugendliche, die eigentlich geschützt werden sollen.

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Trifft die Reform zur Strafverschärfung also bislang gar nicht die Täter, die sie treffen will? Die vernetzten Missbrauchstäter, die sich gegenseitig unterstützen?

Jedenfalls nicht zwingend. Die kriminologische Forschung zeigt, dass Täter weniger von der Höhe der Strafe abgeschreckt werden – sondern von der Wahrscheinlichkeit der Entdeckung. Da hätten wir sehr viel größeren Nachholbedarf.

Inwiefern? In den vergangenen Jahren wurden doch immer wieder große Netzwerke von der Polizei aufgedeckt.

In vielen Missbrauchskomplexen können am Ende nur eine kleine Anzahl von sehr vielen Fällen effektiv verfolgt und die Täter überführt werden. Diese Situation wird durch eine Täterstruktur verschärft, die auf die Mechanismen eines globalen digitalen Raumes zurückgreifen kann.

Denn wenn der Eindruck entsteht, dass so etwas im Internet eine gewisse Normalität hat und die Wahrscheinlichkeit, überführt zu werden, gering ist und bleibt, werden wir die Taten nicht eindämmen können. Wir bräuchten eine Art globales Strafrecht und eine globale Polizeiarbeit für einen globalen digitalen Raum, um Fälle weltweit zu verfolgen und vernetzten Täterstrukturen die Sicherheit zu nehmen.

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Interview mit Thomas-Gabriel Rüdiger am 29.4.2021
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