Urteil im "Gaffer-Prozess" Mann muss vier Monate ins Gefängnis
Der Unfall machte das kleine Bremervörde auf einen Schlag bundesweit bekannt: Ein Auto kracht in eine Eisdiele, zwei Menschen sterben. Danach kommt es zu Tumulten zwischen Rettern und drei Männern. Nun sind die Brüder verurteilt worden. Doch waren sie wirklich Gaffer?
Den letzten Prozesstag nutzen die Verteidiger auch zur Abrechnung. "Das war ganz sicher kein Gaffer-Verfahren", stellt Lorenz Hünnemeyer in seinem Plädoyer am Amtsgericht Bremervörde fest. Seine beiden Kollegen stimmen ihm zu. Selbst Richter und Staatsanwältin nehmen das Wort Gaffer für die drei 20, 27 und 36 Jahre alten angeklagten Brüder am Donnerstag nicht in den Mund. Das ändert aber nichts daran, dass das Trio verurteilt wird - unter anderem wegen Körperverletzung und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte.
Verhandelt wurde ein Unfall, der das beschauliche Bremervörde am 5. Juli 2015 erschütterte und die Kleinstadt auf einen Schlag auch bundesweit bekannt machte. An einem heißen Sommer-Sonntagabend krachte ein Kombi ungebremst in die Eisdiele "Pinocchio", ein zweijähriger Junge und ein 65 Jahre alter Rentner starben, weitere Menschen wurden verletzt.
Am Rande des Unfallortes kam es zu hässlichen, tumultartigen Szenen, an denen der 27-jährige Angeklagte aus Sicht von Richter Florian Pflug seinen Anteil hatte. Er hielt sich damals mit einen Handy in der abgesperrten Unfallzone auf. Polizisten forderten ihn auf zu gehen, was er ignorierte. Es erging ein Platzverweis, den der Mann ebenfalls ignorierte. Die Situation eskalierte. Zwei Beamte streiften sich Handschuhe über und brachten den 27-Jährige zu Fall, der junge Mann rastete dann wohl aus, wehrte sich heftigst und wie von Sinnen, wie es die Staatsanwältin beschrieb.
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Bedrohung, Körperverletzung, versuchte Nötigung
Er nahm einen Polizisten am Boden hart in den Schwitzkasten, sein Griff konnte nur durch zwei Männer gelöst werden. Es gab Schürfwunden und Prellungen auf beiden Seiten, auch eine Brille ging zu Bruch. Der 20-jährige Bruder mischte sich ein, griff einen Feuerwehrmann an. Nur der 36-Jährige sprach zunächst beruhigend auf seinen Bruder ein, wollte deeskalieren, bis auch er einem Polizisten Prügel androhte.
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Bedrohung, Körperverletzung, versuchte Nötigung - die Anklageschrift listete schwere Vorwürfe auf. "Geplatzt wie eine Seifenblase" seien diese Anschuldigungen, urteilt Lars Zimmermann, der Verteidiger des 27-Jährigen. Weder habe bewiesen werden können, dass sein Mandant Fotos oder Videos des Unfalles mit dem Handy gemacht habe. Noch habe sich sein Mandant in dem gesperrten Bereich rund um den Unfall aufgehalten, meint er im Gegensatz zum Richter. Auch die Rettungsarbeiten habe er nicht gestört.
Tatsächlich konnte nicht bewiesen werden, dass Aufnahmen gemacht wurden, denn das Handy des Angeklagten fehlt. Das Gericht verurteilt den 27-jährigen Vater eines einjährigen Sohnes dennoch zu vier Monaten Freiheitsstrafe, sogar ohne Bewährung, wegen Widerstandes gegen die Vollstreckungsbeamten und Körperverletzung. Seine beiden Brüder kommen mit Geldstrafen von 100 beziehungsweise 150 Euro davon. "Das Verfahren hätten wir am ersten Tag beenden können, wenn nicht soviel Medieninteresse da gewesen wäre", meint Verteidiger Hünnemeyer. Er spricht von einem "Pille-Palle-Prozess", selbst die Staatsanwältin sieht Hinweise auf ein "Rauschen im Blätterwald".
Das Gaffer-Gesetz ist jetzt auf dem Weg
Doch egal, ob die drei Brüder nun Gaffer waren oder nicht - der Vorfall hatte auch politische Implikationen. Niedersachsen brachte als Reaktion 2016 im Bundesrat eine Initiative für ein Gaffer-Gesetz auf den Weg, das bis zu einem Jahr Gefängnis oder Geldstrafe für diejenigen vorsieht, die bei Unglücks- oder Notfällen Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder des Rettungsdienstes behindern. Der Bundesrat stimmte zu, derzeit befindet sich der Gesetzentwurf aber noch in der Warteschleife.
In Bremervörde dürfte mit dem Urteil zumindest die juristische Aufarbeitung des Unfalltages vor fast zwei Jahren beendet sein. Das kleine Amtsgericht hatte sich in den vergangenen Monaten in gleich zwei Prozessen damit auseinanderzusetzen. Im ersten Verfahren musste sich die 61-jährige Fahrerin des Unglückswagens verantworten, sie wurde im März zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Keine zehn Tage nach dem Urteil starb die Frau.