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"Aktenzeichen XY": Der Tunnel-Coup – Ein Verbrechen, das keiner lösen konnte


Aufwendigster Fall bei "Aktenzeichen XY"
Ein spektakuläres Verbrechen, das niemand lösen konnte

Von t-online, cat

Aktualisiert am 21.11.2024 - 07:11 UhrLesedauer: 4 Min.
Tresorraum der Berliner Volksbank in Steglitz: 2013 brachen Unbekannte über einen selbstgebauten Tunnel in die Bank ein und erbeuteten Wertsachen im Millionenwert.Vergrößern des Bildes
Tresorraum der Berliner Volksbank in Steglitz: 2013 brachen Unbekannte über einen selbstgebauten Tunnel in die Bank ein und erbeuteten Wertsachen im Millionenwert. (Quelle: imago stock&people/imago)

Ein spektakulärer Tunnel-Coup erschüttert Berlin: Die Millionenbeute verschwindet spurlos – genau wie die Täter. Bis heute ist die Tat ein Rätsel geblieben.

Am frühen Morgen des 14. Januar 2013 rückt die Berliner Feuerwehr zu einem Einsatz in die Steglitzer Schloßstraße aus. Dort tritt Rauch aus dem Tresorraum einer Volksbank. Bei diesem Einsatz soll es nicht bleiben. Auch in der nahegelegenen Tiefgarage eines Gebäudekomplexes brennt es. Zufall? Ganz im Gegenteil. Was die Feuerwehrleute in diesem Moment noch nicht ahnen können: Sie sind auf die Spuren eines kriminellen Mega-Coups gestoßen.

Vor Ort stehen die Einsatzkräfte wenig später nicht nur vor einem gigantischen Loch in der Betonwand des Bankinstituts, sondern vor dem Eingang zu einem Tunnel, der bis in die etwa 45 Meter entfernte Tiefgarage reicht und dort endet.

Eine "Mischung aus Bergbau und Armee"

Er ist mit Holz verstärkt, 1,60 Meter hoch, 1,20 Meter breit – und in Handarbeit gebaut. "Wie die Täter unter der Erde navigiert haben, ist bis heute ein Rätsel", erklärt Kriminalhauptkommissar Michael Adamski, der damals leitende Ermittler. Später wird er in der "Süddeutschen Zeitung" ergänzen, dass die Tunnelbauer eine "Mischung aus Bergbau und Armee" und "keine Heimwerker, aber auch keine Ingenieure" am Werk gewesen seien.

Bereits am Wochenende zuvor schlug der Alarm in der Bank an. Ein Wachmann, der kurz darauf aus dem Stadtteil Charlottenburg zur Filiale fuhr, konnte jedoch nichts Auffälliges erkennen. Ein Fehlalarm, urteilte er. Doch er irrte sich gewaltig. In der Filiale versteckte sich kein Nagetier, sondern eine organisierte Bande, die später 294 der 1.600 Schließfächer plündern. Dann legen sie im Tunnel Feuer, um ihre Spuren zu verwischen.

Die Ermittler finden zurückgelassene Werkzeuge, Holzverschalungen und sogar Zigarettenpackungen. Viele der sichergestellten Spuren führen über die deutsche Landesgrenze hinweg nach Polen. So stammen etwa die Holzwinkel, mit denen der Tunnel stabilisiert wurde, von einem polnischen Tischler. Auch ein genaueres Phantombild eines mutmaßlichen Täters kann erstellt werden. Zwei Jugendliche hatten in der Silvesternacht, knapp zwei Wochen vor der Tat, zwei Männer in der Tiefgarage bemerkt, von denen einer mit auffälligem Muttermal sogar näher beschrieben werden konnte.

Tatsächlich sind die Diebe sehr professionell vorgegangen und haben kaum verwertbare Spuren hinterlassen. Den Sand, der beim Bau des Tunnels angefallen ist – etwa 140 Tonnen – verteilten sie unauffällig auf Baustellen in Berlin. Die Verantwortlichen für dieses Verbrechen bleiben unauffindbar – doch nicht nur sie. Mit ihnen verschwindet auch ihre Beute, deren Wert auf spektakuläre zehn Millionen Euro geschätzt wird.

Der Fall geht in die "Aktenzeichen XY"-Geschichte ein

Knapp sieben Monate später, am 7. August 2013, findet dieser spektakuläre Fall seinen Weg in die ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY … ungelöst" – und wird in die Geschichte des Formats als bis dato aufwendigster und längster Beitrag eingehen. Über 30 Minuten dauert der Film, der den Zuschauern das Tatgeschehen zeigen soll. Das Medienecho ist gewaltig. Insgesamt gehen weit über 900 Hinweise während der Ermittlungen ein. Täter und Beute bleiben dennoch verschwunden.

Einige Opfer verlieren Erbstücke, andere einfach alles

Für die Schließfachkunden ist der Raub eine Katastrophe. Viele haben nicht nur materielle Wertgegenstände verloren. Es sind vor allem auch unersetzliche Erinnerungsstücke von unschätzbarem ideellem Wert.

So wird beispielsweise einer Kundin eine Rolex-Uhr gestohlen. Für sie ein unschätzbar wertvolles Andenken an ihren an Krebs verstorbenen Vater. Andere verlieren kostbare Fotos, Erinnerungen, manche sogar ihre gesamte Altersvorsorge.

Viele der Schließfachkunden stehen vor einem weiteren Problem: Die Versicherung der Bank deckt ihren Verlust nicht voll ab. Banken haften in der Regel nur bis 30.000 Euro pro Schließfachkunde – was mehr wert ist, materiell oder ideell, muss der Kunde selbst versichern. Nur 50 der geschädigten Kunden haben eine solche Police abgeschlossen, weiß Rechtsanwalt Michael Plassmann, der mehrere Opfer vertritt.

Es entbrennt ein Streit zwischen den Geschädigten und der Volksbank. Vorwürfe, der Tresorraum sei nicht ausreichend gesichert gewesen und das Sicherheitspersonal habe versagt, bestreitet das Geldinstitut. Plassmann schimpft in einem Interview mit dem Magazin "Focus" trotzdem, "eklatante Sicherheitsmängel" hätten "den größten Schließfacheinbruch der deutschen Nachkriegsgeschichte" erst ermöglicht.

Viele der bestohlenen Kunden gründen die "Interessengemeinschaft Tunnelraub Berlin-Steglitz", organisieren Demonstrationen und Mahnwachen. Bis heute sind nicht alle entschädigt worden.

 
 
 
 
 
 
 

Ein Verbrechen mit unglaublicher Organisation

Die nachfolgenden Ermittlungen legen dar, dass die Täter über außergewöhnliche technische Fähigkeiten verfügen. Und noch mehr: Die Tat wurde, wie es scheint, von sehr langer Hand geplant. Bereits im September 2011 meldete sich ein vermeintlicher Neukunde unter falschem Namen in der Bankfiliale an und eröffnete ein Schließfach. Zeitgleich mietete eine zweite Person vier Stellplätze in der nahegelegenen Tiefgarage an und errichtete dort eine abgeschottete Werkstatt. Hier wurden in der Folge die Arbeiten am Tunnel vorbereitet.

Werkzeuge, Baumaterial und sogar Strom wurden unauffällig organisiert. "Die Täter haben sich mit enormem Aufwand vorbereitet, wie wir es sonst nur aus Filmen kennen", beschreibt Adamski die Vorgehensweise. Die Umgebung wurde ebenfalls geschickt genutzt: Baulärm von einer benachbarten Baustelle übertönte die Tunnelarbeiten, der Bauschutt wurde stückweise auf umliegende Baustellen verteilt, um keinen Verdacht zu erregen. Das alles verdeutlicht die akribische Vorgehensweise der Täter.

Ein Rätsel, das bis heute nicht gelöst ist

Trotz der Nachverfolgung Hunderter Hinweise bleiben die Täter verschwunden. Zehn Jahre später verjährt der Fall schließlich im Januar 2023. Adamski erinnert sich: "Wir waren ganz nah dran, aber der entscheidende Beweis hat gefehlt."

Fünf Monate nach der Tat wurde der Tunnel zugeschüttet. Er ist verschwunden. Genau wie die Phantome, die ihn einst gruben. Und mit ihnen Erbstücke, Erinnerungen, Altersvorsorgen. Was bleibt, sind die Geschädigten, ihre Wut, ihre Trauer und ihre Verzweiflung. Ein Schmerz, den keine Entschädigung lindern kann.

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