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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Terrorprozess gegen "Reichsbürger" Der Kreis der Verschwörer wird immer größer
Jetzt wird auch den mutmaßlichen Köpfen der "Reichsbürger"-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß der Terrorprozess gemacht. Ihr Netzwerk ist groß, und gegen Dutzende Beschuldigte wird noch ermittelt.
Sie wollten das alte Deutsche Reich zurück, doch was sie bekamen, war eine neu errichtete Halle: Auf einer Brache im Frankfurter Stadtteil Sossenheim ist in den vergangenen Wochen ein Gerichtssaal mit Zuhörerraum und Arrestzellen in Leichtbauweise entstanden. Denn kein vorhandener Saal bot ausreichend Platz für den Prozess gegen die Führungsriege der mutmaßlichen Putsch-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß.
An diesem Dienstag ging es los für den Prinzen, den früheren KSK-Oberst Maximilian Eder, die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann, sechs weitere Angeklagte und jeweils bis zu drei Verteidiger. 65 Seiten zum Verlesen aus 617 Seiten Anklage, womit Anklagevertreter Tobias Engestetter erst nach der Mittagspause beginnen konnte, weil es zuvor noch diverse Diskussionen um diverse Anträge der Verteidiger gab. Im Blickpunkt stehen die Hauptknoten eines Netzwerks, für das es allein 26 Hauptverdächtige gibt.
Es sind so viele mutmaßliche Haupttäter, dass sie auf drei Prozesse aufgeteilt werden mussten. In Frankfurt mit den zentralen Akteuren ab dem heutigen Dienstag, in Stuttgart seit dem 29. April mit weiteren Mitgliedern aus dem militärischen Arm, in München ab dem 18. Juni mit acht weiteren Angeklagten, die verschiedene Funktionen gehabt haben sollen.
Gegen fast 80 Beteiligte wird noch ermittelt
Zugleich laufen nach Recherchen von t-online gegen insgesamt 77 Beschuldigte bei fünf Generalstaatsanwaltschaften Ermittlungsverfahren gegen die Schattenarmee des Prinzen und seiner Mitstreiter. Und das Netzwerk ist noch größer: Die Umstürzler wollten zeitweise gemeinsame Sache machen mit einer weiteren mutmaßlichen Terrorgruppe, den "Vereinten Patrioten". t-online gibt den Überblick über das Netzwerk.
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Seit Mai 2023 läuft bereits ein Prozess gegen einen Teil der "Vereinten Patrioten". Angeklagt sind ein weitgehend geständiger Rädelsführer, der frühere NVA-Soldaten Sven Birkmann, drei weitere Männer und die 76-jährige Theologin Elisabeth R., die der politische Kopf der Gruppe war. Der "Klabautermann"-Plan lautete, Gesundheitsminister Karl Lauterbach zu entführen, ein neues Parlament einzusetzen und einen längeren Blackout herbeizuführen. Tote waren einkalkuliert, so die Ankläger. Auch laufen noch Ermittlungsverfahren, zu den ursprünglich fünf Angeklagten sind mindestens fünf weitere an verschiedenen Gerichten hinzugekommen. Der Kreis mutmaßlicher Verschwörer wird immer größer.
Aussagen und Anklage zeigen: Zwei Umsturz-Netzwerke waren miteinander verflochten und hatten viel gemeinsam: In der Corona-Zeit verfestigte sich bei den meisten Beteiligten die Überzeugung, dass ein Umsturz notwendig sei, es waren Ex-Militärs beteiligt, die meinten, etwas tun zu müssen – und es gab die Hoffnung auf Hilfe von außen.
Für den möglichen Schulterschluss trafen am 3. März 2022 drei Ex-Soldaten aufeinander. Sven Birkmann, Mitgründer der Gruppe "Veteranenpool" im wenig regulierten Messenger Telegram, suchte zu allem entschlossene Mitstreiter, ebenso wie die Reuß-Gruppe. Aus dem Reuß-Umfeld war Birkmann schon im Dezember 2021 von Johanna Findeisen-Juskowiak kontaktiert worden, einer früheren Bundestagskandidatin aus der Anti-Corona-Partei "dieBasis". Birkmann verabredete sich mit zwei Männern aus dem militärischen Arm der anderen Gruppe.
Immer wieder: "Veteranenpool"
Der eine war der frühere Kommandosoldat Peter Wörner, der im Mai 2021 schon in einem Video verkündet hatte, die Geschicke des Landes würden bald durch einen vom Militär gestützten Rat gelenkt. Wörner leitete den "Veteranenpool Oberfranken". Der andere war Christian Wendler, früherer AfD-Stadtrat in Olbernhau im Erzgebirge und Administrator der sächsischen Landesgruppe des "Veteranenpools".
Die Befürchtungen, die der Deutsche Reservistenverband Ende April 2021 angesichts der damals auf Telegram entstandenen "Veteranenpool"-Gruppen geäußert hatte, hatten sich inzwischen bestätigt. Der Verband hatte gewarnt, die Gruppen versuchten, "Soldaten, Veteranen und Reservisten zu akquirieren, um sie dazu zu bringen, sich an verschiedenen Störaktionen, die sich gegen den Staat richten, teilzunehmen".
Das erste sichtbare Auftreten der Veteranen im Juni 2021 war noch mit viel Spott in sozialen Netzwerken kommentiert worden: An einem Montagabend standen bei einer Anti-Corona-Demo im sächsischen Döbeln Männer teils in bunten Shirts und Turnschuhen mit Baretts und Schiffchen auf dem Kopf militärisch stramm und salutierten auf Kommando "dem deutschen Volk". Es war eine Gruppe unter Christian Wendlers Leitung.
Fast zeitgleich trat auch im baden-württembergischen Ofterdingen bei einer "Querdenker"-Demo ein Quintett mit Bundeswehrbaretten auf, wie der "Stern" berichtete. Auch darunter waren Männer, die jetzt unter den Angeklagten in Stuttgart sind: Matthias H. und Markus L.
Matthias H. gehörte damals zur Führung des Reservistenpools Baden-Württemberg und soll später an der Spitze einer Heimatschutzkompanie für den Bereich Tübingen gestanden haben. Bundesweit wollte die Gruppe solche Kompanien lokal installieren, um nach dem Regierungswechsel für die Sicherheit und Ordnung zuständig zu sein.
Heimatschutzkompanie vor Haustür des Prinzen stand bereit
In Tübingen und in der Region um das Jagdschloss Weidmannsheil von Prinz Reuß im thüringischen Bad Lobenstein waren die Rekrutierungsversuche potenzieller Kämpfer für die Kompanien besonders erfolgreich. Das erklärt, warum aktuell bei der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart noch gegen 27 Beschuldigte Ermittlungsverfahren laufen und bei der Generalstaatsanwaltschaft in Jena gegen 17 Beschuldigte.
Der Gruppe in Tübingen soll auch Markus L. angehört habe. Er ist einer der Angeklagten im Stuttgarter Prozess, ihm wird unter anderem versuchter Mord vorgeworfen: Als Spezialkräfte seine Wohnung durchsuchen wollten, verschanzte er sich hinter einem besonders geschützten Stuhl und schoss auf die Polizisten, einen verletzte er dabei schwer. 22 legale Waffen hatte er in seiner Wohnung deponiert.
Insgesamt wurden bei der Gruppe Reuß 382 Schusswaffen und 150.000 Munitionsteile gefunden, die Führung hatte sich zudem mit Satellitentelefonen ausgestattet. Laut Anklage hatte die Gruppe zudem rund eine halbe Million Euro an Spenden für die Mission eingesammelt.
Bei der Gruppe um Birkmann schlugen die Ermittler zu, nachdem sein Komplize Thomas O. von einem verdeckten Ermittler zwei Kalaschnikows AK47 und vier Pistolen mitsamt Munition gekauft hatte. Zu den Helfern der anderen Gruppe um Birkmann zählen Ermittler einen bayerischen Neonazi, der eine Tonne Kriegswaffen vom Balkan habe besorgen wollen. Dennoch gab es Politiker wie die AfD-Vorsitzende Alice Weidel, die über die "Rollator-Gang" Witze machten, um den Großeinsatz ins Lächerliche zu ziehen.
Das Treffen an dem 3. März der beiden Gruppen verlief ergebnislos. Wörner berichtete laut Akten und der Aussage von Birkmann, er brauche Leute, um mit 30 Mann den Reichstag zu stürmen und Abgeordnete festzusetzen. Das war den Ermittlungen zufolge zentral in den Plänen, mal von mehr, mal von weniger Beteiligten verfolgt.
Tatsächlich verschaffte die frühere Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann Wörner, Eder und einem weiteren Soldaten Zugang zum Reichstags- und weiteren Gebäuden des Regierungsviertels, um diese auszukundschaften. Sie leitete den Ermittlungen zufolge auch regelmäßig "Blaue Pläne" weiter: Übersichten der AfD-Fraktion zu Sitzungen und Terminen des Bundestags sollten die Gruppe auf dem Laufenden halten.
Treffen brachte Ermittler auf Spur von Reuß-Gruppe
Doch bei diesen Plänen zur Stürmung wollte Birkmann nicht mitmachen – als Handlanger für andere zu agieren, kam für ihn nicht infrage. Thomas O., führender Kopf neben Birkmann, versuchte zwar, Kontakt mit Prinz Reuß aufzunehmen. Es blieb aber dabei, dass beide Gruppen separat ihre Pläne verfolgten.
Und doch hatte das Treffen weitreichende Folgen: Die Polizei hatte Birkmanns "Vereinte Patrioten" bereits im Visier und das Treffen observiert. Als Birkmanns Gruppe im April 2022 hochgenommen wurde, gab es auch bei Peter Wörner und Christian Wendler Durchsuchungen. Die hielten sich bei der Reuß-Gruppe in den kommenden Wochen zurück, aber die Ermittler waren damit endgültig auf die Reuß-Gruppe gestoßen.
Die hatte sich bereits vor der Gruppe um Birkmann gebildet: An der Gründung der mutmaßlich terroristischen Vereinigung mit Plänen für Hochverrat am 29. Juli 2021 war Wörner der Anklage zufolge maßgeblich beteiligt. Er traf sich mit seinem früheren Vorgesetzten beim KSK, dem Oberst a. D. Maximilian Eder, mit einer Astrologin und schaltete noch per Video aus Brasilien seinen früheren Kommandeur Rüdiger von Pescatore zu.
Der Gastgeber Thomas T. bekam später so etwas wie die Rolle des persönlichen Referenten von Prinz Reuß. Bei dem Treffen sei der Beschluss gefasst worden, etwas gegen den Staat zu tun. Von Pescatore kehrte sogar aus seiner neuen Heimat Südamerika nach Deutschland zurück, um das Kommando zu übernehmen.
Von Pescatore als Leiter des militärischen Arms und Prinz Reuß bestimmten der Anklage zufolge maßgeblich den Kurs. Der Immobilienunternehmer Reuß hatte finanzielle Mittel: In einem Tresor bei der Degussa Goldhandel wurden 120 Kilo Gold gefunden. Zudem hatte er in den Augen einiger in der Gruppe als vermeintlicher Vertreter der jüngeren Linie des Fürstenhauses Reuß ein Anrecht darauf, in einem neuen Staat vom Ausland anerkannt an der Spitze zu stehen. Der Kleinstaat hatte bis 1918 dem Reichsrat angehört.
Doch die Motive gingen auseinander: Von Pescatore griff den Ermittlungen zufolge den Prinzen an, weil der zu egoistisch vor allem seine nach dem Zweiten Weltkrieg enteigneten Besitztümer zurückerhalten wollte. Reuß hatte allein am Verwaltungsgericht Jena 281 Verfahren geführt, und nur zehn gewonnen. Im Sommer 2019 hatte er versucht, die verschiedenen "Reichsbürger"-Strömungen bei einem Treffen zu vereinen für eine "Grundlage zur Rückkehr zu Souveränität und Staatlichkeit". So erzählte es ein Teilnehmer später. "Es gab bei 34 Teilnehmern 25 verschiedene Meinungen."
Der irre Glaube an die "Allianz"
Die gab es bei der Putschgruppe auch. Eine maßgebliche Rolle spielte der Glaube an eine sogenannte "Allianz", die würde helfen. Der "Allianz"-Glaube ist verbunden mit wirren Erzählungen aus dem QAnon-Lager, in denen unter anderem Satanisten Kinder unterirdisch gefangen hielten und alles Teil eines großen Planes sei. Ein großes Aufräumen stehe bevor. Teile der Gruppe sollen überzeugt gewesen, sogar Plejaden, Außerirdische, gehörten zur Allianz.
Deutschlandweit wurde das Phänomen erstmals bekannt, als der Sänger Xavier Naidoo unter Tränen in einem Video erzählte, nun würden die unterirdisch gefangenen Kinder befreit. Maximilian Eder vertritt bis heute die Überzeugung, Eliten bis in den Bundestag hinein steckten hinter diesem vermeintlichen Verbrechen und das Volk werde aufwachen, wenn dies erst öffentlich werde. Mitverschwörer Marco van H. behauptete in der Gruppe, schon bei der Befreiung von Kindern gekämpft zu haben und mit der "Allianz" in Kontakt zu stehen. Damit kam ihm eine herausgehobene Rolle zu – zumindest bis ein für Ende September 2022 angekündigter Angriff der "Allianz" offensichtlich ausblieb.
Das Warten auf den Tag X, an dem man losschlagen wollte, zerrte an den Nerven von Mitgliedern der Gruppe, der Handlungsdruck wuchs. Bei einem abgehörten Gespräch ermahnte von Pescatore den Leiter der Thüringer Heimatschutzkompanie: Seine Leute müssten noch warten und dürften keinesfalls schon mit geladener Waffe aufs Finanzamt marschieren, um erlittenes Unrecht zu vergelten. Matthias H., der sich hoch verschuldet hatte, wurde drei Tage vor der Razzia von einem Mitverschwörer zurückgehalten, es bringe nichts, jetzt Selbstmordattentate zu begehen.
Mit dem Ausbleiben des erwarteten Angriffs der "Allianz" hatte sich nach Eindrücken der Ermittler das Machtverhältnis in der Gruppe verschoben: Mehr Loyalität zu Reuß, der sich um Unterstützung aus Russland bemühte. Von Pescatore dagegen verlor an Rückhalt, weil er an Marco van H. als Sprachrohr zur ominösen "Allianz" festhielt. Zum endgültigen Bruch kam es nicht: Rekrutierungen für den militärischen Arm wurden unter von Pescatore mit Hochdruck fortgesetzt.
Am Abend des 7. Dezember 2022 etwa sollte der aus dem Dienst entfernte Kriminalhauptkommissar Michael Fritsch, Redner auf vielen Demos, bei einem Treffen in Sachsen-Anhalt mögliche weitere Mitglieder unter Polizisten anwerben. Es kam nicht mehr dazu. Am Morgen des 7. Dezember rückten rund 3.000 Polizeikräfte zu mehr als 150 Wohnungen, Büros und dem Schloss des Prinzen aus.
- Eigene Recherchen
- stern.de: Angriff auf den Staat: Wie sich Rechtsradikale mit einer Armee an die Macht putschen wollten
- reservistenverband.de: Reservistenverband distanziert sich von "Veteranen-Pool"
- YouTube: Döbeln – Die Elite probt den Aufstand