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Amoktat in Hamburg bei Zeugen Jehovas: Buch zeigt Extremismus des Täters


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Gewalttat bei Jehovas Zeugen
Hitler als Werkzeug Christi – die kruden Thesen von Philipp F.


Aktualisiert am 11.03.2023Lesedauer: 3 Min.
Philipp F.: Er hielt sein Buch für epochal und sieht dort Hitler und Putin unter Gottes Gunst.Vergrößern des Bildes
Philipp F.: Er hielt sein Buch für epochal und sieht dort Hitler und Putin unter Gottes Gunst. (Quelle: Screenshot Telegram, dpa, Montage: t-online)
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Bevor er zum Töten aufbrach, postete der Amokläufer von Hamburg noch den Hinweis auf sein Buch. Es ist das Werk eines christlichen Extremisten, sagen Experten.

Er lobte Hitler und Putin. Er hielt Hitler sogar für ein Werkzeug Christi für dessen 1.000-jähriges Reich. Und er erklärte die Corona-Pandemie zu einem Gottesurteil. Philipp F., der Mann, der in einem Königreichssaal der Zeugen Jehova in Hamburg wild um sich schoss und acht Menschen tötete, hat ein krudes Werk hinterlassen. Es sagt viel über das Denken des 35-Jährigen aus.

Das Buch war dem Mann so wichtig, dass er ihm seine letzte Botschaft widmete: 100-Prozent-Zufriedenheitsrate gebe es bei den Verkäufen, schrieb er am frühen Donnerstagabend in einem Netzwerk. Täter wollen oft eine Botschaft hinterlassen, Medien tun ihnen einen Gefallen, wenn sie zu sehr darauf eingehen. Deshalb beschränkt sich t-online auf einige Aussagen.

F. galt als charismatische Persönlichkeit, das Buch zeugt von einem großen Ego oder von Größenwahn. Philipp F. hält es für ein epochales Werk, das Pflichtlektüre für Führungspersönlichkeiten und diverse Wissenschaften sei. Er selbst gab auf seiner Seite an, einen Tagessatz von 250.000 Euro als Unternehmensberater zu verlangen.

Das Buch werde übersetzt ins Portugiesische, Spanische, Französische, Arabische und Mandarin. Es sei "Die Wahrheit über Gott, Jesus Christus und Satan" und der erste Versuch, ihre Einflüsse auf die Menschheit, die Gesellschaft und den Einzelnen sichtbar zu machen. Er verspricht auch, "das Geheimnis des 1.000-jährigen Reiches Christi" zu lüften.

Hitler als Werkzeug Christi

Sucht man im Buch danach, dann wird dort Adolf Hitler als menschliches Werkzeug von Jesus Christus bezeichnet. Hitler habe seine Idee eines "Tausendjährigen Reichs" von Jesus gehabt und für ihn umsetzen wollen. Die Judenverfolgung sei eine "Handlung des Himmels" gewesen.

An anderer Stelle nennt er Hitler und Putin wohlwollend gemeinsam: Beide hatten oder hätten Gottes Gunst. Putin sei auch einer der wenigen Staatsmänner, die öffentlich für die Werte Gottes einträten.

Für Zeugen Jehovas muss das ein Schlag ins Gesicht sein. "Ich kann mir vorstellen, dass so etwas dort völlig untragbar ist und zum Konflikt führen muss", sagt Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor, innen- und religionspolitische Sprecherin der Grünen. "Er schreibt, dass Putin unter Gottes Schutz steht, während die Zeugen Jehovas zugleich beklagen, dass die Gemeinschaft dort verfolgt wird." Seine Ideologie knüpfe an anderer Stelle mit der Vorstellung eines 1.000-jährigen Reichs nach der Wiederkehr von Christus aber natürlich an Positionen der Zeugen Jehovas an. F. selbst schrieb, keine Glaubensgemeinschaft sei angemessen für den Umgang der Menschen mit Gott.

Kaddor hat sich das Buch besorgt und am Freitag quergelesen. Ihr Fazit: "Da finden sich erschreckendste Dinge, krude antisemitische Passagen." Das Werk zeige ein Schwarz-Weiß-Denken, wie man das auch aus anderen Bezügen des Fundamentalismus kennt. Sie fasst zusammen: "Das Buch ist das Werk eines religiös-radikalisierten Extremisten. Das zeigt bereits ein flüchtiger Blick." Deshalb sei es auch unverständlich, wenn das nach einem Hinweis auf den Mann von der Waffenbehörde nicht wahrgenommen worden sei.

"Christlich-apokalyptischer Dualismus"

Einen "christlich-apokalyptischen Dualismus" sieht auch Michael Blume, Religions- und Politikwissenschaftler: "Der Autor meint, ganz alleine letzte Wahrheiten über Gut und Böse, Gott, Jesus und Satan zu verkünden." Damit stehe Philipp F. auch im Widerspruch zur Praxis der Zeugen Jehovas, die neue Lehren nur kollektiv im Namen der Wachturm-Gesellschaft verkündeten.

Blume, der auch zum Extremismus des sogenannten Islamischen Staats als Gerichtsgutachter aufgetreten ist, sagt, "ohne den Ermittlungen vorzugreifen, dass sich der Autor dieses Textes sehr weit auch gegen christliche und andersglaubende Gruppen radikalisiert und eine Endzeit erwartet hat". Wie Hitler und Putin als Werkzeuge Gottes gepriesen und Holocaust und Corona-Pandemie als göttlich gewollt dargestellt würden, "ist wirklich schwer erträglich".

Das ist fast genau der Wortlaut, mit dem auch Michael Tsfidaris die Passagen kommentiert, regionaler Beauftragter der Zeugen Jehovas für Hamburg und umliegende Bundesländer. "Das ist mit unseren Überzeugungen überhaupt nicht vereinbar." t-online hat ihn mit Zitaten konfrontiert, er selbst habe sie bislang nicht gekannt und von dem Buch auch erst nach der schrecklichen Tat erfahren.

War die Haltung darin aber vielleicht der Grund, weshalb es in Hamburg zum Bruch von Philipp F. mit den Zeugen Jehovas gekommen ist? Es gibt noch keine Klarheit darüber, warum F. der Gemeinde in einem Brief seinen Ausstieg mitgeteilt hat. Tsfidaris konnte auch dazu am Freitag noch nichts sagen. "Wir haben auch gerade andere Sorgen. Wir kümmern uns um Angehörige und Familien, die durch die schreckliche Tat zerrissen wurden."

Verwendete Quellen
  • Anfragen an Lamya Kaddor, Michael Blume und Michael Tsfidaris
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