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Überraschende Zeugen-Aussage aufgetaucht: Platzt der Reichsbürger-Prozess?


Geplante Lauterbach-Entführung
Überraschende Zeugenaussage: Platzt der Reichsbürger-Prozess?


Aktualisiert am 27.07.2023Lesedauer: 5 Min.
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Neu aufgetauchte Zeugenaussage: Wegen einem möglichen Beteiligten an den Plänen für Lauterbach-Entfühung und Putsch wollen Anwälte den Prozess in Koblenz platzen lassen.Vergrößern des Bildes
Neu aufgetauchte Zeugenaussage: Wegen eines möglichen Beteiligten an den Plänen für eine Lauterbach-Entführung und Putsch wollen Anwälte den Prozess in Koblenz platzen lassen. (Quelle: Boris Rössler/dpa, Telegram, Montage: t-online)

In Koblenz läuft der Prozess gegen die Gruppe "Vereinte Patrioten". Ihre Verteidiger wollen ihn nun platzen lassen. Es geht um eine überraschend aufgetauchte Zeugenaussage.

Seit zwei Monaten läuft vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Koblenz der Prozess gegen vier Männer und eine Frau, die eine Terrorgruppe gebildet haben sollen. Den fünf Angeklagten wird vorgeworfen, einen Staatsstreich geplant zu haben. Einer der mutmaßlichen Rädelsführer, der frühere NVA-Offizier Sven Birkmann, erzählte im Prozess bereits ausführlich, wie mit bewaffneten Reservisten Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) entführt und ein neues Parlament gesichert werden sollte. Es ist ein aufwendiges Verfahren mit hohen Sicherheitsvorkehrungen. Mehr als 100 Journalisten sind akkreditiert, zehn Anwälte verteidigen die Angeklagten.

Doch nun wollen eben diese Verteidiger den Prozess platzen lassen. Anlass sind überraschend aufgetauchte Zeugenaussagen einer prominenten Figur der selbst ernannten Widerstandsszene: Markus Lowien. Brisante Aussagen von ihm seien ihnen vorenthalten worden, sagen die Anwälte: Seine Rolle gehe womöglich weit über die eines Zeugen hinaus.

Doch wer ist Markus Lowien? Und wie wahrscheinlich ist es, dass der Prozess wegen einer möglichen Panne um seine Befragung platzt?

Lowiens Name fiel schon häufiger im Prozess in Koblenz. In seinem Telegram-Kanal mit heute 40.000 Abonnenten verbreitete er bereits im April 2021 ein Video von Sven Birkmann. Im September 2021 lief Birkmann in Lowiens Gefolge bei einer Demo mit schwarz-orangener Fahne und Georgsbändchen mit, das sind Symbole eines deutschen Ablegers der rechtsradikalen russischen "Nationalen Befreiungsbewegung". Reichsbürger Lowien filmt langatmige Ansprachen von sich für seinen Kanal, in denen er für Protestaktionen wirbt.

Er wollte "montags im Kanzleramt frühstücken"

Er versuchte auch früh, Corona-Proteste in Richtung eines Systemsturzes zu lenken. Der gut vernetzte Norddeutsche schien oft eingeweiht zu sein, wenn irgendwo irgendwer entsprechende Pläne hegte. In seinem Telegram-Kanal machte er immer wieder geheimnisvolle Andeutungen. Im September 2021 verbreitete er auch einen Aufruf. Unter dem Motto "Zeit es zu beenden" sollten Millionen Menschen nach Berlin kommen. Lowien orakelte, wenn alles klappe, werde man danach montags im Kanzleramt frühstücken. t-online schrieb von der "vielleicht peinlichsten Revolution aller Zeiten".

Lowien war auch das Gesicht eines "DDay 2.0", für den bundesweit Gruppen mobilisiert werden sollten, um Autobahnknotenpunkte mit Fahrzeugen zu blockieren. Dafür warb er gemeinsam mit dem inzwischen aus dem Dienst entfernten Polizisten Michael Fritsch. Fritsch ist einer der Beschuldigten aus der mutmaßlichen Putsch-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß, den früheren Bundeswehr-Oberst Maximilian Eder und die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Diese Verschwörer wurden bei dem bislang größten Polizeieinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik am 7. Dezember 2022 festgenommen.

Bei den wichtigen Treffen dabei?

Doch Lowien hatte auch Verbindungen zur kleineren Gruppe der "Vereinten Patrioten" um Birkmann, die aktuell in Koblenz vor Gericht steht. Auch sie hatte Kontakte zur Prinzen-Gruppe, flog jedoch bereits im April 2022 auf. Die Theologin Elisabeth R. ist unter den Angeklagten, Birkmann und Thomas O., zwei frühere NVA-Soldaten, gelten als Rädelsführer.

Die "Vereinten Patrioten" sollen ab Ende 2021 bei mehreren Treffen ihre Pläne konkretisiert haben, wie die Regierung gestürzt werden könnte. Und: Markus Lowien soll bei den wichtigsten Treffen dabei gewesen sein.

Das sagt zumindest Anwalt Martin Nitschmann. Er verteidigt im Koblenzer Prozess Thomas O., einen früheren NVA-Soldaten, der mit gewaltbereiten Neonazis vernetzt war und von Birkmann schwer belastet wurde. Wie das Gericht und die übrigen Verteidiger erhielt er am Mittwoch neue Unterlagen – und fand darin die Aussagen von Lowien: 15 Seiten, aus denen mehr über dessen Beteiligung hervorgehe.

Nach diesen Angaben, so Nitschmann, müsse man sich auch fragen, warum Lowien nicht als Beschuldigter geführt werde. Es sei "fast schon eine Unverschämtheit", dass er stattdessen als Zeuge befragt worden sei. Bislang ist nicht öffentlich bekannt, was genau Lowien ausgesagt hat. Bei seiner Rolle und Beteiligung könnte Nitschmann also auch übertreiben, um der Aussage mehr Bedeutung zu geben. Lowien selbst hatte vielfach betont, es ginge ihm um "friedliche" Lösungen.

Strafrechtler Nitschmann hatte 2010 schon in Darmstadt den bis dato größten Prozess um Missbrauchsdarstellungen von Kindern zum Platzen gebracht. Der Prozess, in dem es um erschütternde Aufnahmen von bis zu 500 Missbrauchsfällen ging, musste wegen Befangenheit einer Schöffin neu starten. Nun hat er wegen der gefundenen Zeugenaussage die Aussetzung des Prozesses in Koblenz beantragt. Die Anwälte der übrigen Angeklagten haben sich seinem Antrag angeschlossen.

Vernehmung war Wochen vor Prozessbeginn

Nitschmann behauptet: Die Aussagen von Lowien seien von "elementarer Bedeutung". Dass der Prozess seit Wochen läuft, ohne dass sie bekannt waren, sei ein Missstand, der nur durch seine Aussetzung zu beheben sei. Um Angeklagte richtig verteidigen zu können, seien Anwälte schließlich darauf angewiesen, sämtliches Beweismaterial zu kennen. Wenn es Nachermittlungen gebe, dürften die Ergebnisse nicht vorenthalten werden. Er will zeigen: Der Prozess könnte Fakten geschaffen haben, die nicht mehr zu revidieren sind. "Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Sven Birkmann in Kenntnis der Aussage ganz anders oder gar nicht ausgesagt hätte", so Nitschmann. Sein eigener Mandant hätte umgekehrt vielleicht selbst auch schon ausgesagt.

Oberstaatsanwalt Wolfgang Barrot von der Anklagebehörde der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe sieht offenbar in seinem Haus kein Versäumnis. Er hatte die Ermittlungsergebnisse am Mittwoch mitgebracht, das Vernehmungsprotokoll sei aber auch bei der Bundesanwaltschaft selbst erst am 7. Juli angekommen. Demnach hat das zuständige Landeskriminalamt Monate gebraucht, um das Gespräch auf 15 Seiten zu Papier zu bringen und zur Verfügung zu stellen.

Denn: Als der Prozess am 17. Mai begann, hatte Lowien längst bei der Polizei ausgesagt. Die Bundesanwaltschaft hatte am 27. Februar 2023 angeordnet, dass Lowien in dem Komplex zu befragen sei. Das geschah dann am 18. April. Doch wieso erfuhren Gericht und Verteidiger erst jetzt davon?

Anwälte wollten nicht mehr verhandeln

Der Anklagevertreter sagt, in "vorauseilendem Servicegedanken" würden Akten für die Verteidiger gescannt und durchnummeriert sehr zeitnah zur Verfügung gestellt. Nitschmann ärgerte sich über die Darstellung: "Das ist keine Serviceleistung, sondern die Erfüllung eines Rechtsanspruchs, der für ein faires Verfahren nötig ist." Er sagt, in den am Mittwoch neu übergebenen Unterlagen seien auch andere Beweismittel von der Polizei, die auf den 30. Juni datiert sind, also sehr schnell zur Verfügung gestellt worden seien.

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Die Verteidiger wollen, dass gar nicht weiterverhandelt wird. Nitschmann beantragte deshalb eine sofortige Entscheidung über den Antrag. Erst lehnte die Vorsitzende Richterin das ab, dann bestätigte der gesamte Senat auf Antrag ihren Beschluss, die Verhandlung fortzusetzen. Entschieden werden soll, wenn der Antrag schriftlich vorliegt.

Das Vorgehen zeigt, dass es den Anwälten nicht nur um inhaltliche Fragen geht: Die Verteidiger wollen auch taktisch Anlässe schaffen, die mögliche Rechtsfehler provozieren. Bei einer Verurteilung könnte dann damit eine Revision begründet werden.

Deshalb kann es auch sein, dass die Anwälte die Bedeutung der Aussage von Lowien hochspielen und wenig Aussicht auf Erfolg sehen. Eine Aussetzung ist nur bei wirklich großer Tragweite wahrscheinlich. Ob und wie es im Prozess nun weitergeht, wird das Gericht wohl am nächsten Verhandlungstag verkünden: Der ist am 26. Juli geplant. Weitere Prozesstermine sind bis in den Januar 2024 angesetzt – bislang.

Update, 27. Juli: Der Senat hat den Antrag auf Aussetzung abgelehnt, das Verfahren wird fortgeführt. Aus Sicht des Gerichts kommt den Aussagen von Lowien keine so große Bedeutung zu.

Verwendete Quellen
  • sueddeutsche.de: Darmstadt - Kinderporno-Prozess geplatzt
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