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Querdenkerker-Szene erlebt peinlichste Revolution aller Zeiten


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Querdenker wollten Macht übernehmen
Die peinlichste Revolution aller Zeiten


Aktualisiert am 21.09.2021Lesedauer: 7 Min.
Entspannte Polizisten: Die Berliner Beamten mussten am Samstag wenig tun, um "das System" vor dem groß angekündigten Umsturz zu bewahren (Archivbild)Vergrößern des Bildes
Entspannte Polizisten: Die Berliner Beamten mussten am Samstag wenig tun, um "das System" vor dem groß angekündigten Umsturz zu bewahren (Archivbild) (Quelle: Bernd Elmenthaler/imago-images-bilder)
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Angela Merkel ist nicht aus dem Kanzleramt vertrieben und die Macht in Deutschland ist nicht übernommen worden. Hier erfahren Sie, was Sie am Wochenende verpasst haben beim wohl peinlichsten Revolutionsversuch aller Zeiten.

Vielleicht, sagte der Mann in seinem Video, vielleicht werde man am Montag im Kanzleramt frühstücken. Wenn alles klappt am Wochenende. Allerdings sei er auch darauf eingestellt, länger zu bleiben. Falls die Kanzlerin doch nicht so schnell den Kaffeetisch räumt für die Machtübernahme durch "das Volk".

Der Mann heißt Markus L., und er hat Erfahrung damit, "das Volk" gegen die Regierung in Stellung zu bringen. Er gehörte schon zum Team des "DDay 2.0", das zum Jahreswechsel die "Corona-Diktatur" mit Blockaden auf Autobahnen zum Abdanken bringen wollte. Es gab hier und da ein wenig Stau und auch ein wenig Ärger mit der Polizei. Das war es aber schon.

Revolution schon am 19. Juni

Aber Markus L. konnte bald darauf Georg H. unterstützen bei dessen Versuch, Schluss zu machen mit der Regierung. Georg H. rief für den 19. Juni auf zur "letzten Möglichkeit, diesen Kampf ein für alle Mal zu beenden" und wollte Millionen in Berlin sehen. Es kamen tatsächlich ein paar Hundert Menschen in die Hauptstadt und ließen sich von der Polizei freundlich Platzverweise geben.

An diesem Samstag sollte es, mal wieder, die neue "letzte Gelegenheit" geben. Diesmal war nicht mal Georg H. dabei, der hatte es wohl kommen sehen: Es kamen noch weniger Leute als im Juni.

Vielleicht waren es auch mehr, und sie haben sich nur nicht gefunden. Denn in den Gruppen zur Koordination gab es wildes Durcheinander und viele absichtlich verbreitete Falschmeldungen, wo sich gerade "Freiheitskämpfer" versammeln. Als sich dann doch tatsächlich rund 100 Menschen gefunden hatten, war die Machtübernahme auch nicht greifbar: Die Gruppe landete zwei Mal im Polizeikessel. Alles blieb friedlich.

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Aber es war dann doch nicht ganz die "R-E-V-O-L-U-T-I-O-N", von der Markus L. gesprochen hatte. Er hatte erwartet, dass von Berlin "Bilder ausgehen, die hohe Anziehungskraft haben. Wir werden immer mehr werden". Unter dem Druck der Massenproteste sollte die Kanzlerin freiwillig das Feld räumen.

Gerede von Diktatur stachelt an

Man könnte über die kleine, verirrte Gruppe schmunzeln. Wenn, ja, wenn es einfach eine schlechte Satire wäre. Aber wie gefährlich das Gerede von der Befreiung von einer vermeintlichen Diktatur, gefühlter Unterdrückung und vom angeblichen Widerstandsrecht ist, hat sich am Wochenende gezeigt: Ein Maskenverweigerer schoss einem 20-jährigen Kassierer in den Kopf, weil er sich durch die Maskenpflicht in der Tankstelle bedrängt fühlte und "ein Zeichen setzen" wollte. Dazu kommen vermehrt Meldungen von Angriffen auf Impfzentren.

Viele Beobachter machen die aggressive Rhetorik von Querdenken und Co., die immer noch viele Zuhörer und Anhänger haben, mitverantwortlich. Und dort gibt es viel Sympathie für den Sturm aufs Kapitol in Washington.

Bauern kamen nicht nach Berlin

Doch zurück zum Scheitern der Revolution in Berlin. Das lag vielleicht auch daran, dass die versprochenen Heerscharen von Bauern eben nicht nach Berlin gefahren waren. Die Landwirte haben zwar manchen Anlass zur Unzufriedenheit. Und sie hätten ja angeblich überhaupt erst den Anstoß gegeben zum Beenden: "Erst an der Ahr aufräumen, dann in Berlin" – die Idee sei von ihnen, hieß es immer wieder.

Es ist aber kein Aufruf der Bauern für den 18. September zu finden. Und es waren keine Bauern in Berlin.

Pleite auf ganzer Linie – vielleicht kann man es der Revolutionszentrale nachträglich nicht verdenken, dass für den Aufruf niemand verantwortlich sein will. Er sei es nicht gewesen, sagte Markus L. schon im Vorfeld, er sei nur einmal bei einem Treffen von Organisatoren dabei gewesen.

Ein Initiator auf Foto mit Max Otte

Nur: Wer dann? In diesem Text wird es um einige Figuren gehen, die offensichtlich eine Rolle spielten bei der peinlichsten Revolution aller Zeiten. Denn auch mit der Geheimhaltung hat es bei den Verschwörern nur so mittelprächtig geklappt.

Vor allem Rainer M. hätte vielleicht besser bei der Internetseite zur Aktion aufpassen sollen: Dort steht sein Name, und der taucht auch im Twitteraccount zur Aktion mit gerade einmal 22 Followern auf. Wenn man seinen Namen googelt, findet man ihn auf einem Foto mit Max Otte, dem Vorsitzenden der "Werteunion", der auch der CDU-Politiker Hans-Georg Maaßen angehört: Otte steht auf dem Bild umrahmt von Rainer M. und "Querdenken"-Gründer Michael Ballweg bei "Querdenken" in Darmstadt. Rainer M. kommt aus der Reichsbürger-Szene und ist jemand, der "Kinder rettet", besonders vor dem Jugendamt, das Kinder "raube".

Kinder gerettet hat Rainer M. im vergangenen Jahr noch zusammen mit Frank Z.. Doch es gab Knatsch, so dass Z. inzwischen nicht mehr "Kinder rettet", sondern heute "Kinder schützt". Zu diesem "Schutz" hat er auch schon mal der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern einen "Sturm" angekündigt, wenn sie sich nicht sofort mit einem angeblichen "Kinderraubfall" befasst.

Hoffnung: Offenes Fenster an Botschaft

Jetzt haben der Kinderretter und der Kinderschützer sich offenbar auf eine gemeinsame Sache verständigen können: Beenden. Frank Z. rief in Videos zur Teilnahme in Berlin auf, und er war auch selbst dort. Aber dazu kommen wir später noch, denn für Frank Z. hatte der kläglich gescheiterte Revolutionsversuch irgendwie auch gute Seiten.

Auch Dea H. spielt eine wichtige Rolle. Sie war beim Plan fürs "Beenden" ganz früh am Start: Schon direkt nach Erstellen des ersten Aufrufs für den 18. September, gepostet am 2. September um kurz nach 22 Uhr, hatte sie ihn in andere Kanäle weitergeleitet.

Dea H. kennt die Kinderretter. Sie stand am 29. August 2020 mit ihnen bei der großen "Querdenken"-Demo in Berlin mit Lautsprecher vor der russischen Botschaft. Von dort wäre – beinahe – Hilfe gekommen, "die Fenster gingen schon auf!", berichtete Dea H. hinterher. Sie hatte den Ruf "Wir sind der Souverän" angestimmt, und die Russen hätten ja dem "Souverän" helfen können. Doch "Querdenken" ließ das Grüppchen irgendwie nicht so machen. An dem Tag blieb es bei einem Reichstagstreppen-Sturm.

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Verbündet mit Wagenknechts Ex-Mann

Dea H. versuchte sich danach mit Markus L. beim bereits erwähnten "DDay 2.0" Anfang 2021 mit lokaler Beteiligung an vielen Orten und wenig Erfolg. Von Rückschlägen lassen sich überzeugte Umstürzler ("Es gibt keine Lösung innerhalb des Systems") aber offenbar nicht so schnell entmutigen. Dea H. ist weiter damit beschäftigt, bundesweit Organisationen im Widerstand zu vernetzen. Das sagte sie gerade in einem Video. Sie bereitet auch eine "verfassungsklärende Versammlung" bei einem Deutschlandkongress vor, gemeinsam mit Ralph T. Niemeyer. Er ist der Ex-Mann von Sahra Wagenknecht.

Vielen Größen der Szene war der Ausgang der Revolution aber vielleicht zu unsicher oder sie wollten nicht als Spendenritter dargestellt werden. Es gab ohnehin wenig Unterstützung.

Immerhin warf sich Sarah "Sunny" S.* ins Zeug. Ihre "Freien Bürger Kassel" stecken hinter einer aus dem Ruder gelaufenen Demo im März. Sie spielt aber auch in einer anderen Liga: Sie steht in Verbindung mit der "World Wide Demonstration", die weltweit Anti-Corona-Proteste orchestriert.

Im Kanal "World Wide Demonstration" gab es auch am 18. September Bilder aus einigen Großstädten. Aus Berlin nicht. Aber Sunny war dort, und auch für sie hatte der Revolutionsversuch am Abend noch irgendwie seine netten Seiten.

"Tag verspricht viele schöne Momente"

Erst landen wir am Morgen des eigentlich ereignislosen 18. September: "Dieser Tag verspricht viele schöne Momente", postet das Zentralkomitee der Revolution um 8 Uhr und lässt das Volk los. "Heute steht die Welt auf! Zeit es zu beenden!"

Das Zentralkomitee muss aber irgendwann zum Schluss gekommen sein, dass die Aufgewachten lange im Bett gelegen haben. Um 11.24 Uhr kommt der Zwischenstand, man habe gehört, "dass viele Menschen noch frühstücken".

Aber die Frage ist auch: Wo denn wie denn beenden? Es gibt immerhin ein Foto von Markus L. vor dem Kanzleramt. "Also ich wäre da." Am Tor, nicht am Frühstückstisch.

Damit sich alle finden, soll die "Schwarmintelligenz" helfen: Kurzerhand (?) hat sich eine Telegram-Gruppe angeboten, in die die Revolutionäre selbst Informationen posten können, um "in die Selbstverantwortung zu gehen" und sich zu koordinieren.

Trolle schickten Revoluzzer quer durch die Stadt

Es ist eine Gruppe des österreichischen Busunternehmers Alexander E. und seines Mitarbeiters "Frank der Reisende". "Frank der Reisender" war auch schon beim "DDay 2.0" dabei und er war auch schon im Einsatz zur "Kinderrettung", und ist der große Vernetzer auf Telegram.

Aber die "Schwarmintelligenz" in der Gruppe steht doof da: Der Link zur Selbstorganisations-Gruppe ist auf Twitter verbreitet worden. Das dortige Volk zeigt wenig Lust auf die Revolution und sucht buchstäblich Zerstreuung. Also posten Nutzer von dort mit Telegram-Accounts kreativ Tipps zu Orten, an denen gerade auf jeden Fall ganz bestimmt die Revolution Fahrt aufnimmt.

Es wird eine Schnitzeljagd durch die Stadt für die echten Revolutionswilligen, und keiner weiß mehr, was jetzt echt ist. Wo immer sie hinkommen, ist die Polizei auch schon. Berlins Innenverwaltung hatte im Vorfeld unaufgeregt erklärt, man kenne die Veranstaltung und die Sicherheitsbehörden stünden darüber im Austausch.

Busunternehmer E. schwant bald, dass er hier besser nicht eingestiegen wäre. Und weil die Traktoren auch nicht kommen, mosert er: "Manche unseriösen Demo-Organisatoren arbeiten mit Fake-Meldungen in der Hoffnung, eine selbsterfüllende Prophezeiung dadurch auszulösen." Es ist wahrscheinlich einer der wenigen klugen Sätze des Umsturzversuchs.

Mission "Beenden" vorzeitig beendet

Um 16.55 Uhr endet der Beendigungsversuch: "Wir brechen ab", meldet der anonyme "Zeit es zu beenden"-Kanal. Ein Dank geht an "alle Freiheitskämpfer, die den weiten Weg auf sich genommen haben, um für ihre Freiheit zu kämpfen." Warum auch immer – es hat Stunden gedauert, um zu merken, "dass wir noch zu wenige sind."

Aber für Sarah S. und Frank Z. ist der Tag noch nicht vorbei. Sarah S. ist noch lachend auf einem Foto mit Anselm Lenz zu sehen, dem Gründer des "Demokratischen Widerstands" und Erfinder der Hygienedemos in Berlin. Sie halten die druckfrische neue Ausgabe des in großer Auflage verbreiteten Kampfblatts "Demokratischer Widerstand" in Händen. Schlagzeile: "Dankt endlich ab".

In Berlin, so steht da, hätten sich "couragierte Demokratinnen und Demokraten jenseits des im Unrecht versinkenden Parteienstaats" versammelt. "Viele bleiben in ihrer Hauptstadt, um auch am 25. September, am Tag vor der Bundestagswahl, ihren Standpunkt klarzumachen."

Frank Z. ist am Montag heimgefahren. Der 18. September sei zwar ein Rohrkrepierer gewesen, räumt er ein. "Wir hatten aber noch einen schönen Abend. Wir konnten nur keinen Aufruf machen, kommt mal da und da hin." Aber man habe in der Runde "Ergebnisse erzielt, was der ideale Weg sein könnte."

Sie beenden es einfach nicht.

*Wir hatten an dieser Stelle zunächst Sandra S. geschrieben. Sie heißt mit Vornamen Sarah.

Verwendete Quellen
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