Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Gaza in Trümmern Niemand sollte sich etwas vormachen
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Der Gazastreifen wird zur Riviera des Nahen Ostens. Das ist der Plan von Donald Trump. Gibt es auch eine vernünftige Idee?
Können wir einmal die Politik außen vor lassen? Und nur die Menschen in den Blick nehmen? Stellen Sie sich bitte vor, Gaza sei Ihre Heimatstadt. Sie sind vor Israels Bomben in den Süden geflohen, von einem Zeltlager ins nächste, Sie haben den ganzen Schrecken dieses Krieges aus der Nähe erlebt. Jetzt, im fragilen Waffenstillstand, kommen Sie zurück, suchen Ihr Haus, Ihre Wohnung – und finden eine trostlose Trümmerlandschaft vor. Es wird Jahre, vielleicht Jahrzehnte dauern, bis hier wieder ein zivilisiertes Leben möglich sein wird.
In dieser Lage erreicht Sie ein Angebot: Ein paar Kilometer weiter, auf der ägyptischen Seite der Grenze, werden neue Häuser, neue Siedlungen gebaut. Sie können dort in Sicherheit leben, es gibt Schulen für Ihre Kinder, einen Supermarkt und ein Krankenhaus. Wäre das eine Drohung, Sie aus Ihrer Heimat zu vertreiben? Oder ein Versprechen auf eine bessere Zukunft?
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Zur Person
Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt. Bei t-online erscheint jeden Dienstag seine Kolumne "Elder Statesman".
Donald Trump hat diese Option ins Spiel gebracht. Ja, ich weiß: Der Gazastreifen als Riviera des Nahen Ostens – zynischer kann schon die Sprache kaum sein. Amerika werde den Gazastreifen "übernehmen", sagt er – die Anmaßung einer Großmacht. Sein Blick auf die Landkarte ist der eines geifernden Immobilienmoguls. Aber hinter dieser ganzen Egomanie steckt auch eine Erkenntnis: Gaza ist zerstört. Und nun?
Unsere gerade abgewählte Außenministerin Annalena Baerbock wendet sich gegen eine Vertreibung der Palästinenser. Die EU lehnt jede Lösung "über die Köpfe der Palästinenserinnen und Palästinenser hinweg" ab. Die UN sprechen von ethnischer Säuberung. Empörung im Westen, strikte Ablehnung bei den arabischen Regierungen.
Taten eher nicht
Hat der US-Präsident eine zwangsweise Umsiedlung der Einwohner von Gaza, gegen alle Regeln des Völkerrechts, gefordert? Oder hat er ein Angebot formuliert, wie ich es oben nahegelegt habe? Für Trump sind das anscheinend nur Unterschiede im Detail, mal sagt er so, mal so. Er hat jedenfalls auch gesagt: "Der einzige Grund, warum die Menschen über eine Rückkehr nach Gaza sprechen, ist, dass sie keine Alternative haben." Niemand weiß, woher er das weiß. Aber woher weiß Baerbock, dass die Palästinenser sich ihre Zukunft nur im verwüsteten Gazastreifen vorstellen können?
In Syrien herrschte ein Jahrzehnt lang Bürgerkrieg. Das Nachbarland Türkei nahm mehr als drei Millionen Flüchtlinge auf. Auch in Deutschland leben zurzeit mehr als 700.000 Syrer, die meisten suchten Schutz vor dem Krieg. Haben sich die Türkei und Deutschland der Beihilfe zur Vertreibung schuldig gemacht? Deutschland gewährt mehr als einer Million Menschen aus der Ukraine, überwiegend Frauen und Kinder, Schutz vor dem Krieg in ihrem Heimatland. Hätten sie in Charkiw, in Mariupol, in Saporischschja bleiben müssen? Aus Prinzip, weil ihre Flucht Putin die Sache leichter macht?
Im Nahen Osten gelten Prinzipien alles, Humanität gilt nichts. Nach dem Überfall der Hamas auf Israel wurde die Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu Geiseln des Terrorregimes und zu Opfern der israelischen Bomben. Ägypten öffnete seine Grenze auch nicht einen Spalt breit, um wenigstens schwer verletzte palästinensische Kinder im Krankenhaus zu versorgen. Jordanien, die Emirate, Saudi-Arabien: Wortreich erklären sie sich solidarisch mit den Schwestern und Brüdern in Gaza. Taten? Fehlanzeige.
Machen wir uns nichts vor: Europa findet das ganz in Ordnung so. Man wendet sich gegen die Vertreibung – eine Vertreibung aus der Hölle, nicht aus dem Paradies. Das heißt zugleich, dass es keinen Fluchtweg gibt. Die Flucht könnte und würde für viele nicht nur in Ägypten oder Jordanien enden, sondern auch in Europa, auch in Deutschland. Das will nicht einmal die grüne Noch-Außenministerin. Man nennt es Realpolitik.
Drei Varianten
Realpolitik nennen EU, UN und viele andere auch die Zweistaatenlösung. Also: Die Palästinenser leben in einem eigenen Staat, neben Israel. Das sei der Schlüssel zum Frieden in der Region, heißt es. Vor mehr als dreißig Jahren, in einem kurzen Moment der Zeitgeschichte, schienen die zwei Staaten tatsächlich eine Lösung zu sein.
13. September 1993: Israels Ministerpräsident Jitzchak Rabin und der Palästinenserführer Jassir Arafat geben sich die Hand zur Versöhnung. Auf dem historischen Foto ist im Hintergrund US-Präsident Bill Clinton zu sehen, er hat das Abkommen von Camp David vermittelt. Israelis und Palästinenser wollen künftig in friedlicher Koexistenz, in Würde und Sicherheit als Nachbarn leben. Rabin und Arafat werden mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Frieden, Würde und Sicherheit bleiben aus. Rabin wird von einem jüdisch-religiösen Fanatiker ermordet, auf beiden Seiten setzen sich die Gegner des Friedensprozesses durch. Im Jahr 2000 unternimmt Clinton noch einmal einen Versuch, wieder in Camp David. Er scheitert, damit ist die Zweistaatenlösung gescheitert.
Seit einem Vierteljahrhundert setzt die internationale Diplomatie auf einen Plan, der vor einem Vierteljahrhundert gescheitert ist. Das ist irreale Realpolitik.
Gibt es eine Alternative? Ja, die Einstaatenlösung, es gibt sie in drei Varianten. In der israelischen Variante heißt das: Annexion des Westjordanlandes, Übernahme des Gazastreifens. Ein jüdischer Staat, in dem notgedrungen auch Palästinenser leben. Die Rechtsextremen in der Regierung wollen das, Netanjahu bahnt ihnen den Weg.
Die zweite Variante ist die der Hamas und ihrer Sympathisanten. Sie skandieren auch auf deutschen Straßen ihre Parolen: "Free Palestine! From the River to the Sea!" Ihr Land ist ein Palästina ohne Israel. Ein Staat ohne Juden. Die Juden sollen ins Meer getrieben werden. 80 Jahre nach dem Holocaust wieder ein Aufruf zur Judenvernichtung. Beschämend.
Einfach bizarr
Es gibt eine dritte Variante der Einstaatenlösung: "A land for all" – ein Land für alle. Das klingt wie eine Verheißung. Niemand müsste das Land verlassen, auf dem er lebt. Weder jüdische Siedlungen noch palästinensische Dörfer würden geräumt. Israelis und Palästinenser könnten sich im ganzen Land frei bewegen. Jerusalem wäre die gemeinsame Hauptstadt, die heiligen Stätten würden von den Religionsgemeinschaften und den Vereinten Nationen gemeinsam verwaltet.
Klar, das haben sich ein paar Träumer auf beiden Seiten ausgedacht. Intellektuelle, leider sehr naiv. Die Israelis wollen in einem jüdischen Staat leben, im Land für alle wären die Palästinenser in der Mehrheit. Die Palästinenser wollen nicht in einem jüdischen Staat leben. Deshalb verschwendet die Politik keinen Gedanken auf dieses Land. Das ist doch eine Illusion! Ja, aber die Zweistaatenlösung ist auch eine Illusion.
Was bleibt, ist der Status quo: Anarchie im Gazastreifen. Vermummte Hamas-Kämpfer, die eine perfide Terror-Show abziehen, bevor sie einige ihrer Geiseln freilassen. Übergriffe militanter Siedler im Westjordanland. Ein Waffenstillstand, der jederzeit wieder in den Krieg münden kann. Kein Plan weit und breit, wer künftig die staatliche Autorität im Gazastreifen ausüben könnte. Mahmut Abbas, der Palästinenserpräsident? Ein 89-jähriger Greis, ein übler Antisemit, den die Hamas nicht einmal ernst nimmt.
Fazit: Es wird alles bleiben, wie es ist. Es ist schrecklich. Schuld daran ist nicht Donald Trump, so bizarr seine Vorstellungen auch sein mögen, so rüde seine Worte. Gegen Vertreibung zu sein, ist richtig. Aber dafür zu sein, die Palästinenser im Gazastreifen einzusperren, ist falsch.
Genau darauf läuft es hinaus. Europa hält an alten Illusionen fest. Netanjahu setzt auf seine überlegene Armee. Abbas kultiviert den Opfermythos der Palästinenser. Die Mullahs im Iran werden die geschwächte Hamas wieder stärken. Die arabischen Nachbarn und die reichen Emirate schauen diskret weg. Politik aus Prinzip. Die Menschen bleiben auf der Strecke.